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Ehrenmann Wolfgang Marguerre

Leserbrief auf Umwegen

Ehrenmann Wolfgang Marguerre: Leserbrief auf Umwegen
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Wolfgang Marguerre, einem sehr reichen Mann, wurde kürzlich die Ehrenbürgerwürde der Stadt Heidelberg verliehen. Ein Bürger hält das für falsch und versuchte, einen kritischen Leserbrief in der örtlichen Zeitung unterzubringen. Vergeblich. Nun erscheint er eben bei uns.

Es war im Jahr 2016 im Sommer, als der Heidelberger Mäzen und Milliardär Wolfgang Marguerre den sonst öffentlich zugänglichen Heidelberger Schlossgarten mietete, um dort mit maximalem Brimborium seinen 75. Geburtstag zu feiern. Inklusive Hostessen in Elfenkostümen, sogar geflügelt. "Eine echte Frechheit" befand ein damaliger grüner Stadtrat, der mit einigen Heidelberger:innen dagegen protestierte ("Party für alle!", "Keine Privilegien für Reiche"), dass ein öffentliches Wahrzeichen der Stadt plötzlich für Normalbürger gesperrt wurde, damit ein Superreicher seine Privat-Sause veranstalten konnte. Der Garten am Schloss, Touristenziel und Wahrzeichen der Stadt, wurde damals zum Symbol für Gerechtigkeit.

Ausgabe 271, 08.06.2016

Der feine Herr Marguerre

Von Anna Hunger

In Heidelberg gab's am Wochenende eine ganz besondere Sause: Wolfgang Marguerre, Milliardär und Mäzen der Stadt, feierte seinen 75. Geburtstag. Drei Tage lang. Dass er dazu den Schlossgarten des Heidelberger Wahrzeichens blockiert hat, hat nicht allen gefallen.

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Reich geworden ist Wolfgang Marguerre durch seine Firma Octapharma, Hauptsitz in der Schweiz, die Medikamente aus Blutplasma herstellt ("Spende Plasma. Rette Leben."). Derzeit ist Marguerre Vorstandsvorsitzender und CEO. In Heidelberg lebt er in bester Lage, selbstverständlich. Mit all seiner Kohle sponsert der Milliardär immer wieder Städtisches und das großzügig. Für Geflüchtete gab er 2015 eine Million Euro, die Sanierung des Heidelberger Theaters finanzierte er mit, für seine 15-Millionen-Spende benannte die Stadt in der Spielstätte sogar einen Saal nach Marguerre.

Vergangenen Monat, am 24. November, hat Oberbürgermeister Eckard Würzner (parteilos) Marguerre die Ehrenbürgerwürde verliehen für herausragende Dienste an seiner Stadt und sein "überragendes Engagement zum Wohle unzähliger Menschen in aller Welt". Marguerre selbst sagte zu diesem Anlass, dass er es mal zum Ehrenbürger bringen würde, davon habe er als kleiner Junge nicht mal träumen können.

Geschäfte mit Blutplasma

Sein Engagement, vor allem auf der Welt, ist unbestreitbar, möglicherweise aber nicht immer so rosarot als großer Player in einer Branche, die nicht nur einmal von Skandalen gebeutelt wurde. Octapharma betreibe fünf Produktionsstätten in Europa, sagte Marguerre im Oktober in einem Interview, und gewinne "den größten Teil an Plasma aus mehr als 190 eigenen Spenderzentren in den USA und Deutschland". Und weiter: "Das Wachstum von Octapharma wird durch unsere Plasmaspender und unsere Mitarbeitenden auf der ganzen Welt ermöglicht, die sich gemeinsam dafür einsetzen, die Plasmagewinnung zu steigern, die Produktion voranzutreiben und die Sicherheit unserer Produkte zu gewährleisten."

Das Schweizer Magazin "Reportagen" hat sich vor zwei Jahren auf die Suche gemacht nach den Plasmaspender:innen, die sich da "gemeinsam dafür einsetzen", dass Octapharma dem Heidelberger Marguerre die Kassen füllt. Und herausgefunden, dass Spenderzentren, vor allem in den USA, meistens da stehen, wo die Bevölkerung sehr arm ist. Denn Marguerres Firma zahlt für das Blutplasma, beschreibt der Artikel: "100 Dollar denjenigen ... , die im Verlauf von zwei Wochen viermal Plasma spenden. Und nochmals 50 Dollar kriegt, wer Freunde anwirbt, die mindestens dreimal spenden. Mit allen Entschädigungen und Boni können neue Spender so mehr als 700 Dollar im Monat verdienen ... ." In einer Film-Dokumentation zum Thema sprach ein Plasma-Spender davon, "gemolken" zu werden.

Bis in die 1990er-Jahre sammelte die Plasma-Branche auch in Gefängnissen ihren Rohstoff, schreiben die Autoren. Später wurden Bluter durch verunreinigte Plasma-Spenden mit AIDS oder Hepatitis infiziert und weil einige Firmen den Hals nicht voll genug bekommen konnten, verkauften sie die unsauberen Margen eben günstig an arme Länder. Es geht um Korruption, um Betrug, die Blutplasma-Branche ist ein Metier wie eine Räuberpistole.

Nebenbei handelt der "Reportagen"-Artikel auch von der Rhein-Neckar-Zeitung (RNZ), "Marguerres publizistische Leibgarde". Chefredakteur Klaus Welzel sei "für die schier unzählbaren positiven Artikel über den Octapharma-Chef verantwortlich", schreiben die Autoren.

Das hat auch Dierk Helmken, ein Heidelberger Bürger, zu spüren bekommen. Kurz nachdem Marguerre die Ehrenbürgerwürde verliehen bekam, versuchte Helmken mehrfach einen Leserbrief zum Thema in der RNZ zu platzieren. Chefredakteur Wenzel lehnte ab, unter anderem mit dem Hinweis auf "einige Ungereimtheiten", zudem beklagt der Chef, fehlten dem Leserbrief "die Belege (Beweise)" für Helmkens "Tatsachenbehauptungen. Deshalb sehen wir von einer Veröffentlichung ab – und sind dazu von Rechts wegen auch verpflichtet."

Auf Kontext-Nachfrage will sich Welzel nicht äußern. Und weil es der Brief bis jetzt nicht auf die Leserbriefseite geschafft hat, bringen wir die zweite, überarbeitete Version, die Helmken der RNZ angeboten hatte, eben bei uns:

Dank ja, Ehrenbürgerschaft nein

Zweifellos hat Wolfgang Marguerre, der am vergangenen Freitag zum Ehrenbürger Heidelbergs ernannt wurde, für seine großzügigen Spenden bzw. Spendenzusagen in einer Höhe von über 50 Millionen € unser aller Dank verdient. Dies gilt auch unter den Gesichtspunkten, dass 50 Millionen € nur 0,5 bis 1% seines zwischen 5,5 (Nov. 2023) bis über 9 (Juli, 2021) Milliarden US-Dollar pendelnden geschätzten Vermögens ausmachen und er sein Einkommen überwiegend in einer Schweizer Steueroase versteuert.

Was sich Wolfgang Marguerre jedoch nicht verdient hat, ist die Verleihung der Ehrenbürgerschaft der Stadt Heidelberg. Insoweit hätte der Gemeinderat, der der Ehrung mit 2/3-Mehrheit zugestimmt hat, und OB Würzner nicht übersehen dürfen, dass der Name Marguerre bzw. Octapharma, seine im Alleineigentum stehende Firma, seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts immer wieder mit Skandalen in Verbindung gebracht wurde, bei denen es sich um verseuchtes Blutplasma und Korruption im Ärzte- und Pharmabereich handelte. Eine gute Zusammenfassung befindet sich im Internet unter der Überschrift "Geschäfte mit Blutplasma".

Die Stadt hat durch die Verleihung der Ehrenbürgerschaft möglicherweise die Reputation von Wolfgang Marguerre vergrößert. Ihre eigene hat sie dadurch jedoch beschädigt.

Dr. Dierk Helmken, Heidelberg

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1 Kommentar verfügbar

  • Siegfried Heim
    am 20.12.2023
    Antworten
    Liebe Kontext-Kolleg*innen,
    "verkauften sie die unsauberen Margen..." ist falsch - es muss heißen "verkauften sie die unsauberen Chargen..." Eine Marge ist das was man im Deutschen als "Gewinnspanne" bezeichnet, eine "Charge" ist eine Produktmenge, die in einem einzigen Produktionsdurchgang erzeugt…
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