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Zum Interview Prayon

Betreutes Lachen

Zum Interview Prayon: Betreutes Lachen
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Für das ZDF war das Programm lange eine satirefreie Zone. Heute böte sich eine Fachkraft aus der "heute-show" als Regierungssprecher an, meint Kabarettist Matthias Deutschmann. Was ist passiert?

Es ist lange her: Gerhard Polt, Gisela Schneeberger und Konstantin Wecker waren eingeladen, der Verleihung des ehrwürdigen Grimme-Preises im westfälischen Marl durch "Einwürfe aus der Kulisse" satirische Würze zu verleihen, da mischte sich das ZDF als übertragende Rundfunkanstalt inhaltlich in das Programm ein.

Wir schreiben das Jahr 1980. Es ging um den Politiker Dr. jur. Friedrich Zimmermann, Vorsitzender der Landesgruppe der CSU im Bundestag und stellvertretender Vorsitzender des Fernsehrates des ZDF. Erstinstanzlich 1960 wegen Meineids verurteilt, aber dann aufgrund verminderter geistiger Leistungsfähigkeit infolge einer Unterzuckerung freigesprochen. Keine Frage, der Mann war satirisch äußerst attraktiv. Polt beabsichtigte – das verriet jedenfalls das vorgelegte Skript – den CSU-Rechtsaußen bei seinem satirischen Kosenamen "Old Schwurhand" zu rufen, was den Programmdirektor Dr. Dieter Stolte auf den Plan rief. Er schickte den betreuenden Redakteur in Polts Garderobe. Dieser bat freundlich darum, "Old Schwurhand" aus dem Text zu entfernen, sonst dauere die Sendung zu lange.

Foto: Anja Limbrunner

Matthias Deutschmann will schon lange ein Buch schreiben über das Kabarett. Da kam die Debatte um das Kontext-Interview mit Christine Prayon wie ein Weckruf: Was ist Satire? Unterhaltung, Aufklärung oder einfach bloß Entspannung in Krisenzeiten? Für Kontext hat er sich darüber in einem Essay Gedanken gemacht. Der 64-Jährige ist seit Jahrzehnten im Geschäft, war im Studentenkabarett, Texter beim Düsseldorfer Kommödchen und auch im "ZDF-Morgenmagazin" zu sehen. Neben seinen Soloprogrammen stand er immer wieder gemeinsam mit Kollegen wie Georg Schramm auf der Bühne. Deutschmanns Markenzeichen ist das Cello, mit dem er seinen bissigen Humor spielend begleitet. Er wurde 1992 mit dem Deutschen Kabarett-Preis, 1994 mit dem Deutschen Kleinkunstpreis und 2014 mit dem baden-württembergischen Kleinkunstpreis ausgezeichnet.  (sus)

Ein guter Witz, der Polt motivierte, das Programm zu verschärfen. Er forderte, die Zensur abzuschaffen und stattdessen Redakteure einzustellen, welche die Schere bereits im Kopf hätten. Das Publikum in Marl war damals aus dem Häuschen und der Fernsehdirektor machte ein langes Gesicht.

Wenige Monate später wurde in einer ZDF-Live-Sendung im Mainzer Unterhaus der Deutsche Kleinkunstpreis in der Sparte "Kabarett" an Gerhard Polt verliehen. Polt betrat die Bühne, setzte sich an seinen Tisch, stellte eine Sanduhr auf und ließ die Zeit verrinnen. "Aus mir ist nix herauszubringen. I bin doch net bleed, I hob doch koane Rechtsabteilung." Nach sieben spannenden Minuten mit gelegentlichen Hinweisen auf die Sanduhr und die Sendezeit, begann er ein Gespräch mit einem imaginären Deutschen Schäferhund zu seinen Füßen. "Das ist ein scharfen Vollschäfer!"

Satire ab in den Kleinkunstkeller

Im folgenden Jahr hatte das "Zweite Deutsche Fernsehen" keine Lust mehr, für diese Art von politischer Kultur Öffentlichkeit herzustellen, denn für den Intendanten Stolte war das satirefreie Programm eine Herzensangelegenheit. Er hatte bereits 1979 Dieter Hildebrandts "Notizen aus der Provinz" nach 66 Folgen aus der Anstalt verbannt, und ich selbst hatte 1993 die Ehre, auf seine Anordnung hin nach 23 Auftritten aus dem "ZDF-Morgenmagazin" geworfen zu werden.

Sein Credo galt im ZDF jahrelang als strenges Gebot: Das politische Kabarett gehört nicht ins Fernsehen, sondern in den Kleinkunstkeller, vor Fachpublikum. Satire ist nichts für die Millionen vor den Bildschirmen. Ironie führt dort nur zu Missverständnissen.

Ich habe es nicht glauben wollen, als ich 2006 von einem befreundeten ZDF-Redakteur erfuhr, das ZDF plane ein Satireformat und man diskutiere, in welches Ressort das besser passe: Unterhaltung oder Politik. Kabarett und Politik? "Neues aus der Anstalt" – der Titel stammt von Georg Schramm – wurde dann doch in die Unterhaltung eingewiesen.

Auch wenn sich viele Kollegen das heimlich wünschen: Satire im TV ist ohne enge redaktionelle Betreuung nicht zu haben. Der Redakteur ist verantwortlich und steht selbst unter Beobachtung. Vertrauen und Fingerspitzengefühl sind hier ganz entscheidend, sonst leidet zuerst die Kreativität und dann die Präsenz. Ich kenne keinen politischen Kabarettisten, der nicht einen Live-Auftritt in einem gut besuchten Theater, einem Fernsehauftritt im Studio vorzieht. Live ist besser. Andererseits ist klar, dass ein Bühnenkünstler, der durch die Lande touren will, ohne Luftunterstützung durch den Rundfunk normalerweise nicht allzu weit kommt. Also nimmt man, wenn sich die Gelegenheit bietet, etwas Fernsehpräsenz gerne als flächendeckende Werbemöglichkeit mit. Die große Kabarett-Fernsehkarriere ist natürlich ein Glücksfall, der allerdings nicht unbedingt glücklich macht. Es gibt Kollegen, die könnten mehr dazu sagen, aber Schweigen gehört halt zum Geschäft und da hat das Fernsehen nicht nur seinen Intendanten und Intendantinnen eine Menge zu bieten.

Bei Welkes Unterhaltungsmüsli stimmt die Mischung

Warum ist Oliver Welke in der "heute-show" immer so unerträglich gut gelaunt? Weil er weiß, dass bei seinem Unterhaltungsmüsli die Mischung stimmt. Bis zu fünf Millionen Zuschauer bringen einen Marktanteil von über 20 Prozent. Die "heute-show" rangiert deutlich vor dem "heute journal" und liegt damit in einem Trend, der in den USA bereits deutlicher zu erkennen ist: Immer mehr Menschen bevorzugen den unterhaltsamen Kontakt mit der Wirklichkeit. Dunkle Wolken am Horizont? Davon geht die Welt nicht unter! Die Realität wird humoristisch aufbereitet. Betreutes Lachen ist erste Hilfe.

Foto: Kiron Guidi

Ausgabe 639, 28.06.2023

Birte spielt nicht mehr mit

Von Susanne Stiefel (Interview)

Christine Prayon alias Birte Schneider tritt nicht mehr in der "heute-show" auf. Welke & Co. machten "Stimmung gegen Andersdenkende", kritisiert die Kabarettistin. Und bezieht "Die Anstalt" und Böhmermann mit ein. Mit Satire, die keinen Diskurs zulasse, könne sie nichts anfangen, sagt sie.

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Christine Prayon hat sich von der "heute-show" auf die Bretter, die die Zeit bedeuten, zurückgezogen und erntet dafür Respekt vom "Spiegel" bis zum "Neuen Deutschland". Im Netzkommentar gibt es das übliche Panaschee aus Hurra und Pfuideibel. Das war zu erwarten, denn ihre Kritik zielt vor allem auf den Umgang mit der Pandemie und dem Krieg in der Ukraine und auf den Vormarsch der Propaganda an allen Fronten. "Da werden Narrative und Positionen von Gruppen, die gesellschaftlich in der Hierarchie weit oben stehen, unablässig wiederholt und gleichzeitig wird Stimmung gegen Andersdenkende gemacht." Ja ist das noch Satire?

Ob die "heute-show" gehobenen satirischen Qualitätskriterien standhält oder ob sich hier Propaganda satirisch camoufliert, wie Prayon nahelegt, ist eine schöne Streitfrage, die dem beliebten Unterhaltungsformat vielleicht doch etwas zu viel der Ehre erweist. Warum also Welkes politisches Klimbim an die große Glocke hängen? Es ist etwas kleinkariert, der "heute-show" Stimmungsmache gegen Andersdenkende vorzuwerfen. Sich selbst als Opfer zu entdecken, ist Mode geworden, und für den woken Zeitgeist ist selbst die feinste Satire schon eine Mikroaggression.

Humor muss in Krisenzeiten positiv daherkommen

Kurt Tucholsky hat bereits 1919 betont, dass Satire "ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht" ist. Auf dem Schlachtfeld der Satire kämpften zu Lebzeiten Tucholskys die Enttäuschten für die Wahrheit. "Satire darf alles", das war sein Schlachtruf. Heute führt der Weg zum satirischen Hauen und Stechen nur noch selten über Erwartung, Erfahrung, Enttäuschung und Empörung im eigenen Leben. Das dauert zu lange! Was muss ich machen, um schnell Erfolg zu haben? Das ist heute die Frage, und Sarah Bosetti scheint die Antwort zu haben: ganz schnell reden und aufsagen, was angesagt ist. Fernsehsatire regiert die Stunde. Kurzatmig und selten zu Ende gedacht. Angerissen und weggeschmissen. Massenkompatibel und marktgerecht. Wenn die Demokratie – so Angela Merkel – marktkonform sein muss, warum sollte dann die Satire abseits stehen? Alles für die Quote. Und immer nur Lächeln. Volker Pispers wurde beim RBB die Moderation des Satirefestivals entzogen. Begründung: Er sei kein Sympathieträger. Jawohl! Humor muss gerade in Krisenzeiten positiv daherkommen. Das hat schon Dr. Joseph Goebbels gefordert.

Die "heute-show" hat Erfolg. Sie hat schnell ihr Millionenpublikum gefunden. Wer hätte 1980 gedacht, dass sich das ZDF mal eine eigene Satireshow nach amerikanischem Vorbild bastelt? Nonsens, Kalauer, Collagen, Videoschnipsel und hin und wieder eine politisch korrekte Ansage des Anchorman, der das Flachschiff der kritischen Fernsehunterhaltung souverän durch alle Untiefen steuert. Ja, ja! Der Demokratie droht Gefahr. Aber auch der Ampel mit ihrem wirren Farbenspiel. Welke bekämpft die AfD nicht, er pisst sie nur an. Erstaunlich gut gelaunt und mit öffentlich-rechtlicher Strahlkraft. Ist Oliver Welke ein Staatskabarettist? Ja, warum denn nicht? Merkel hatte ihren Regierungssprecher aus dem "heute journal" bezogen. Die irrlichternde Ampel könnte sich bei der "heute-show" bedienen. Könnte? Nein, sie sollte es schleunigst tun, denn wenn die Ampel erlischt, dann gilt zunächst mal: rechts vor links.


Ende Juli und Ende September ist Matthias Deutschmann mit seinem neuen Programm "Mephisto Consulting" auf Tour in Baden-Württemberg. Am 25. Juli in Freiburg, am 28. September in Singen, einen Tag später in Kaufbeuren und am 30. September in Bad Waldsee. Zu den Tourdaten.


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3 Kommentare verfügbar

  • gerhard manthey
    am 13.07.2023
    Antworten
    Was ist das alles gegen die Realsatire der Landesregierung, die sich beim RBB durch staatsnahe
    Einflußnahme eine frühere Pressesprecherin von Frau Dr. Merkel zur Intendantin gemacht werden lässt-ich weiß nicht, wie man:frau das korrekt ausdrücken soll?
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