Alles gesagt
Von Susanne Stiefel
Wer bei Kontext in die Suchfunktion "Corona" eingibt, erhält fast 600 Treffer. Ob es um die "Querdenken"-Demos geht, die vor unserer Haustür entstanden sind. Ob es um die Impfunwilligkeit der Anthroposophen ging, die bei Kontext schon im Juli 2020 Thema war, oder um unfähige Politik, die bei der inzwischen vierten Welle fast die gleichen Fehler macht wie vor bald zwei Jahren. Oder um die Frage, ob es sein kann, dass Nichtgeimpfte keine Lohnfortzahlung bekommen, wenn sie wegen Corona in Quarantäne müssen. Wir haben uns mit den wissenschaftlichen Argumenten auseinandergesetzt, mit den Gleichgültigen und den Ängstlichen. Mit Impfzwang und mit Freiheitsrechten. Eigentlich ist alles gesagt. An der Notwendigkeit des Impfens zweifeln nur noch Unvernünftige. Jetzt wird nur wiederholt, wie bei einer Platte mit Sprung. Das nervt.
Genauso wie die Unerbittlichkeit, mit denen sich Impfgegner und Impfwillige bekriegen. Die Aggressivität, mit der ein junger Mann in der Bäckerei angeherrscht wird, weil er vergessen hat, die Maske überzuziehen. Der Egoismus, mit dem Impfgegner behaupten, dass es nur ihre Sache sei, wenn sie der Impfung nicht vertrauen oder keinesfalls eine Maske aufsetzen. Fast jeder hat im Freundeskreis oder in der Familie Menschen, die Angst vor einer Spritze haben. Die Corona nicht für gefährlich halten. Und man hat keine Worte mehr. Man redet nicht mehr miteinander. Man hat recht. Super.
Klar, diskutieren ist schwierig mit CoronaleugnerInnen. Oder mit Echsenmenschen, Aluhüten oder Rechtsradikalen. Doch es gibt noch die anderen, die sich dennoch fragen, warum zum Beispiel so wenig von der Medikamenten-Therapie geredet wird, den Antikörpern, die in Dessau seit März eingesetzt werden und erstaunliche Erfolge aufweisen? Warum arme Länder auf die Impfung warten müssen, während hier geboostert wird? Warum in so einer Notlage am Patentschutz festgehalten wird? Es nervt, dass sich mit der Angst um die eigene Gesundheit ein neuer Eurozentrismus entwickelt hat.
Der Lockdown wird kommen
Von Gesa von Leesen
Am allermeisten nervt mich natürlich Corona selbst. Aber dann kommt gleicht die erschreckend stümperhafte Politik. ExpertInnen sagen Entwicklungen voraus wie die vierte Welle, aber das stört beim Wahlkampf. In Ländern und im Bund wurde nicht nachgedacht, nicht mit ExpertInnen beraten, nichts geplant. Wahl war vorbei, zack, geht es weiter wie seit Pandemiebeginn: zu spät reagieren, ein bisschen was machen, aber nicht zu viel, bis die Situation eskaliert. Der Lockdown wird kommen.
Besonders übel ist, dass die regierenden PolitikerInnen so gar nichts getan haben, um die Personalnot im Gesundheitswesen anzugehen. Alle wissen – und wussten schon vorher –, dass PflegerInnen, ÄrztInnen und Servicepersonal in Krankenhäusern und Altenheimen unter extrem stressigen Bedingungen arbeiten. Aber soll halt nicht zu viel Geld kosten.
Dann dieses breitflächige Organisationsversagen. Es wird zum Impfen aufgerufen und wochenlang klappt die Terminvergabe nicht. Überlastete Gesundheitsämter. Kommunalverwaltungen verschwanden im Homeoffice und die BürgerInnen konnten sehen, wo sie bleiben. Das kommt dabei raus, wenn man jahrzehntelang den öffentlichen Dienst kaputtspart. So konstruiert man eine neoliberale Wahrheit: Der Staat kann es nicht, also wird Personal abgebaut, dann kann der Staat es tatsächlich nicht mehr – voilà, recht gehabt.
Natürlich nervt auch mich diese Minderheit (!) der Bevölkerung, die mehr Angst hat vor der Impfung als vor der Erkrankung an Corona. Und die, die von einem großen Plan fabulieren. Ja ja, ich weiß: Ich habe keine Ahnung, weil ich die "echten" Informationen "im Internet" nicht gelesen habe. Is' gut. Ich bitte darum, von "guten" Ratschlägen sowie Beleidigungen abzusehen. Nützt nichts.
Doch um nicht nur negativ zu sein: Nicht nur die Inzidenzen steigen und die Inflation, auch der Dax. Das ist doch toll. Zumindest für ein paar wenige.
Nebelschwaden
Von Josef-Otto Freudenreich
Am Wochenende nach Oberschwaben gefahren. Viel Nebel. Vor der Stadthalle lange Schlangen von Menschen, die sich impfen lassen wollen. Nur der Bürgermeister von Aulendorf weigert sich. Aber Zaunpfahl (Impfpflicht!) wirkt. Der Arbeitsplatz, Weihnachten und die Fasnet wackeln. In dieser Reihenfolge. Viele drehen jetzt bei, sogar im Epizentrum der Corona-Kritiker. Der Staat hilft, das Gesicht zu wahren, wenn Gesetz wird, was bis dato freier Wille schien. Dann bleibt einem ja nichts anderes übrig …
In den Zeitungen war einst zu lesen, dass Corona das Wir-Gefühl stärken könnte. Der Beifall für die Pflegekräfte sei ein Beispiel. Diverse Feuilletons schrieben bereits vom Ende des Neoliberalismus, weil sich der Glaubenssatz, der Staat sei das Problem und der Markt die Rettung, umgedreht hätte. Heute wissen wir, dass das voreilig war. Die Ausbeutung (etwa in der Pflege) geht weiter, die Reichen werden reicher, der Rest schnallt den Gürtel enger.
Die Ökonomisierung aller Lebensbereiche hat sich durchgesetzt, immer mit dem Argument, das müsse sein, um das Wohlergehen des Gemeinwesens zu sichern. Es steckt fest in den Köpfen, selbstredend auch in denen von Spahn & Co., wobei nicht Peanuts wie Maskendeals gemeint sind. Sie stehen für eine Privatisierung des Systems, in der es nicht in erster Linie um Gesundheitsschutz, sondern um Wachstum und Gewinne geht. Generell um die Wirtschaft, um die Aufrechterhaltung der Produktion, und die Verfügbarkeit der Produzenten. Mensch, Milaneo und Natur folgen auf den Plätzen.
Das Gesülze um Weihnachten, die Familie unter dem Baum, der Besuch bei der Oma sind die üblichen Weihrauchschwaden, die den ideologischen Überbau liefern. Wer's glaubt, wird selig.
Und der Mensch ist Mensch
Von Minh Schredle
Ein vernünftiges Leben wäre vernünftig, aber wäre es auch ein Leben? Gerade seine trivialste Dummheit, ist bei Dostojewski zu lesen, werde man sich unbedingt erhalten wollen. Und sei es nur, "um sich selbst zu bestätigen, dass die Menschen immer noch Menschen und keine Klaviertasten sind". Wer sich nicht zum Drehorgelstift degradieren lassen will, werde sich daher den aller folgenschwersten Unsinn wünschen, "einzig, um in diese ganze positive Vernünftigkeit sein eigenes verhängnisvolles Element einfließen zu lassen".
Wo zwar kein Zwang, aber ein nachdrücklicher Drang vorliegt, wird das verhängnisvolle Subjekt misstrauisch: Warum genau wird das so forciert? Und wer profitiert davon? Aus dem eigenen Unbehagen macht das Bauchgefühl eine gesunde Skepsis – denn wem soll man in dieser Welt noch vertrauen können, wenn nicht sich selbst? "Inzwischen müssen wir hier auf der Station", hat jüngst ein Lungenarzt der FAZ erzählt, "auch über unsere Therapien und sogar über den medizinischen Nutzen von Sauerstoff diskutieren."
Natürlich sind nicht alle Impfunwilligen vergleichbar blöd. Wie viele Nadelfeinde sind wohl ernsthaft überzeugt, dass die Regierung in Kooperation mit der Antifa Impfmücken gezüchtet hat?
Wer aber ein Überlegenheitsgefühl daraus speist, sich keinen Expertenkonsens aufschwätzen zu lassen, hat auch kein allzu genaues Differenzieren verdient. In einer Republik, deren erwachsene Menschen, ohne aufzumucken und aller technologischen Fortschritte zum Trotz, mehr Zeit am Tag malochen als Leibeigene im Mittelalter, besteht die Freiheit, die sie meinen, darin, während eine Seuche die Welt erwürgt, ein Mittel, das hilft, nicht nehmen zu müssen. Und viel trivialer kann eine Dummheit kaum sein.
In Trümmern
Von Johanna Henkel-Waidhofer
Wer dem Zwang entgehen will, tut gut daran, seine Pflicht zu erfüllen. Klingt konservativ und passt mitnichten zu allen Lebenslagen. Ist aber trotzdem geeignet als Wegweiser im Falle von Corona. Denn ohne Pflichten und ihre Erfüllung gäbe es weder Individuen noch Gesellschaften, schon allein deshalb, weil wir als Kinder in den ersten Lebensjahren nicht überlebensfähig wären ohne andere, die ihren Fürsorgepflichten nachkommen.
Fürs freiwillige soziale Ja zum Anti-Covid-19-Stich reicht ganz und gar, wenn der Erfüllung der Pflicht die Einsicht in ihre Notwendigkeit vorausgeht. Das Bild meiner Wahlheimat Deutschland liegt nach 41 Jahren in Trümmern, weil dieser leicht fassliche Zusammenhang nicht ausreichend greift. Denn sogar unser Alltagssprachgebrauch hilft weiter mit seiner semantischen Grauzone Pflicht und Zwang. Erstere zwingt Eltern, ihre Kinder zur Schule zu schicken, AutofahrerInnen, den Gurt anzulegen, und beim Erben hat der Pflichtteil erst recht sein Gutes. Pflicht, sogar die Wehrpflicht, kennt oft aber Ausnahmen. Zwang wiederum hat etwas Gewalttätiges an sich, er verweigert den Kompromiss und winkt bei Ungehorsam mit drakonischen Sanktionen.
Genau deshalb geht es jetzt um Pflicht und nicht um Zwang. Ärger oder Unmut sind viel zu schwache Begriffe für das, was mich befällt, wenn ich die gelben Sterne auf den sogenannten "Querdenken"-Demos sehe, lese, wie sie im Netz ihr verwirrtes Zerrbild von der Corona-Diktatur als einer Scheindemokratie zeichnen. Gefährliche Ammenmärchen, ignorante Egozentrik oder einfach nur Wurstigkeit sind gegenwärtig noch mehr als in anderen, einfacheren Zeiten ganz schlechte Ratgeberinnen. Ich empfehle in verzweifelter Hoffnung darauf, zumindest einen Teil der VerweigerInnen zu erreichen, einen Merksatz von Immanuel Kant: "Je mehr der Mensch moralisch, durch die bloße Vorstellung der Pflicht, kann gezwungen werden, desto freier ist er." Und das sind keine Fake-News.
Danke schön
Von Anna Hunger
Ich habe einen Freund bei Facebook, den ich nicht näher kenne. Surfer, macht gerne Party. Zu Anfang der Pandemie schrieb er auf Facebook in größter Empörung über die Menschenrechte, die durch die Politik eingeschränkt würden. Aber jedes Mal, wenn die Öffnungen Surf-Urlaub oder Saufen zuließen, hat er davon glückliche Bilder gepostet. Am Strand, im Stadl. Bei jedem Einschnitt ging es wieder – erhitzt – um Menschenrechte. Ich frage mich, welchen Stellenwert sie bei diesem Kerl genießen, wenn halt grade Surfen angesagt ist. Die Pandemie hat massenhaft solche Leute hervorgebracht. Und sie nerven mich.
Deshalb sage ich mal danke. Danke, an all die Millionen Menschen in Deutschland, die aus dieser ätzenden Situation das Beste machen. Danke denen, die sich haben impfen lassen. Danke an all die Jugendlichen, die vor lauter Coolness nicht wissen wohin mit sich, aber in der Bahn die Maske trotzdem über die Nase ziehen. Danke denen, die einem an der Kasse nicht ins Genick atmen. Die sich die Sorgen anderer anhören und ihnen helfen.
Gerade, auf dem Weg zur Bahn, Gespräch zwischen zwei Frauen: Sie kenne jemanden, sagt die eine, der sei nach der Impfung einseitig erblindet. "Aber in Deutschland ist ja alles geprüft, haha!", spöttelt sie. "Keine neue Weltordnung, nein nein!", ätzt die andere.
Danke denen, die sich sowas seit Monaten anhören, in der Familie, auf der Arbeit, im Freundeskreis. Die mit Querdenkern verwandt sind, ohne Amok zu laufen. Danke denen für Geduld in nicht enden wollenden Diskussionen. Ja, es gibt viele, die finanziell am Abgrund stehen und fürchterliche Angst vor der Zukunft haben. Es gibt viele, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, die kein Homeoffice machen können, die beengt leben, viel zu viel arbeiten. Denen die Kinder auf den Sack gehen, die nicht auftreten können, die einsam sind und verzweifelt. Und dann gibt es Menschen, die keine IntensivpflegerInnen sind, nichts Tolles leisten, nicht exponiert leiden, und dennoch seit Monaten auf Dinge verzichten, die sie lieben. Danke, dass man mit euch allen während einer Pandemie ein bisschen Solidargemeinschaft machen kann.
Saddam und die Herdplatte
Von Oliver Stenzel
Für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass die Geschichte der vierten Corona-Welle in Deutschland einmal verfilmt werden sollte, sollte man die Regie auf keinen Fall Roland Emmerich übertragen. Denn in den Katastrophenschinken des gebürtigen Sindelfingers gibt es im Angesicht großen Unheils, auch wenn davor die halbe Welt zu Kleinholz wurde, am Ende immer ein Einsehen in die Notwendigkeit rationalen und kollektiven Handels, eine Art globalen Ruck, um das Schlimmste doch noch abzuwenden. Nein, das passt nicht.
Bestens geeignet wären dagegen die Animationsfilmer der US-Serie "Simpsons", sie müssten nicht einmal den Hauptcharakter groß anpassen. Die Rolle eines beliebigen deutschen Politikers (allerdings nicht Karl Lauterbach) könnte Homer Simpson übernehmen, die Einstiegsszene wäre schon so gut wie geschrieben: Eine Gruppe aufgeregter Virologen und Epidemologen redet auf ihn ein, zeigt Tabellen und erzählt von exponentiellem Wachstum, während Homer die Gruppe mit großen Augen und leichtem Trottel-Lächeln anschaut, die Miene nicht verzieht, nur ab und zu blinzelt, und am Ende den versammelten Kassandras sagt: "Danke, Leute, das klingt sehr aufregend. Jetzt will ich erstmal drei Donuts, dann einen Weihnachtsmarkt eröffnen und dann mit Bart und Carl ins Baseballstadion."
Alles zu ernst für Satire? In Zeiten, in denen der Chef des Weltärzteverbands Frank-Ulrich Montgomery in einer Talkshow Politikern vorwirft: "Ihr habt völlig versagt", und der mit angesprochene FDP-Quartals-Irre Wolfgang Kubicki ihn wenig später als "Saddam Hussein der Ärzteschaft bezeichnet", da entstehen eben gewisse Bilder im Kopf. Montgomerys Vorwurf war dabei eher eine nüchterne Bestandsaufnahme, genauso wie die Beobachtung von taz-Autor Uli Hannemann, in Deutschland habe man "die Lernfähigkeit toter Meerschweinchen" und "die heiße Herdplatte weist bei uns schon abgegriffene Stellen auf". Da hilft nur noch Satire. Grandiose in Bildform liefert aktuell, ach was, immer der Karikaturist Klaus Stuttmann, seine Reflexionen zu Impfpflicht für Pflegekräfte oder Querdenkern treffen es auf den Punkt. Und vielleicht hilft es auch manchmal, den Blickwinkel zu wechseln und das ganze aus Virus-Perspektive anzuschauen, wie es die britischen Latexfiguren-Satiriker von "Spitting Image" in dem nicht mehr ganz neuen, aber sehr schönen Clip "Coroni is getting back out there after a tough year" tun. Und jetzt bitte alle die Hände auf die Herdplatte! Vielleicht ist sie ja nicht an.
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Andreas G
am 27.11.2021