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Kompliziert

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Es ist alles sehr, sehr kompliziert! Und es wird noch komplizierter. Deshalb brauchen wir den aufklärenden Journalismus: Leute, die mit gehörigem Abstand sagen, was die Gesellschaft richtig und was sie falsch macht.

Es ist alles sehr, sehr kompliziert! Und es wird noch komplizierter. Deshalb brauchen wir den aufklärenden Journalismus: Leute, die mit gehörigem Abstand sagen, was die Gesellschaft richtig und was sie falsch macht – natürlich nur im Kommentar. Alles andere sind harte Fakten, die wir auch brauchen: Nachrichten, wertfreie Berichte. Wertvoll statt wertfrei ist immer und überall auf der Welt die Auswahl der Fakten: Ihre Summe erst macht Meinung – dann aber nicht selten von hinten durch die Brust ins Auge.

Auch der Faktenchecker hat seine Tage, seine Launen, seine Stimmungen und ist abhängig – mindestens vom Platz, meistens von der Zeit, manchmal vom Wetter. Wer wollte es einem Journalisten zumuten, etwa die Anzahl der Züge zu zählen, die jenen viel geschmähten Bahnhof pro Stunde passieren, ankommen, abfahren? Und fast kein Mensch würde im Ernst von einem Journalisten verlangen, beispielsweise die Zahl der Teilnehmenden an einer Demonstration oder Kundgebung selbst festzustellen, eigenhändig – denn dafür gibt es die Polizeischätzungen, das Peilen über den Daumen, Mutmaßungen der Veranstalter oder den schieren Augenschein. Nun macht andererseits die Teilnehmerzahl allein einen Event nicht besser oder überzeugender. Wäre es so, dann hätte "Bild" recht.

Zugegeben, natürlich gibt es neben diesem unsäglichen (warum eigentlich?) Bahnhofsthema – das wohl, so stand's in dieser Zeitung zu lesen, sogar Leute von der Straße endlich wieder nach Hause treibt oder zum Psychiater oder zu Tränen rührt oder alles zusammen – durchaus auch andere Probleme, die die Republik, ja, die Welt bewegen. Nehmen wir, passend zum April, den Rettungsschirm. Ein noch komplizierteres Thema: noch mehr Fakten, noch mehr Zeit, um der Materie Frau zu werden – und bestens geeignet, ein lesefreudiges Publikum zu verwirren, ja, vom Weiterlesen abzuhalten.

Peter Grohmann. Foto: Martin StorzZum Rettungsschirm, schreibt eine andere seriöse, jedoch größere Zeitung, werde die Öffentlichkeit "weiter nur teilinformiert" – und neuerdings gar in zwei komplett gegensätzlichen Versionen. Ja, es dränge sich gar der Verdacht auf, dass das Publikum beim Rettungsschirm bewusst im Unklaren gelassen wird. Die Geldmenge werde bei Bedarf kleingerechnet oder, wie's der Teufel will, großgerechnet. Exakt wie beim Bahnhof und den Protestanten.

Uns, der Öffentlichkeit zuliebe, bitte Fakten. Das ist, ich weiß es, häufig der unbezahlte Teil der Arbeit. Aber so viel Aufklärung sollte sein. Die Bewertung kommt dann von alleine.

Peter Grohmann ist Kabarettist und Gründer des Bürgerprojekts Die AnStifter.


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