Der Umgang mit dem Medikament Ivermectin wirft Fragen nach der Motivation beziehungsweise der Kompetenz der führenden Gesundheitspolitiker in Deutschland auf. Es ist erstaunlich, dass keine systematische Überprüfung der von der Wissenschaft als Möglichkeit der Covid-19-Therapie diskutierten Anwendung eines weltweit verbreiteten, preiswerten, nebenwirkungsarmen Medikamentes erfolgt. Noch unverständlicher ist, dass in Europa nicht zugelassene Arzneimittel, deren Potential durch die Wissenschaft ähnlich eingestuft wird wie das des Ivermectin, im Auftrag von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in nicht nachvollziehbarem Aktionismus für Millionen Euro eingekauft werden – dies ohne die im Raum stehende Frage der Mutationen des Coronavirus bei Anwendung dieser Medikamente zu klären.
Wenn sinnvolle Forschung auf der einen Seite unterbleibt, aber unerforschte Arzneien auf der anderen Seite teuer eingekauft werden, muss die Frage erlaubt sein: Wird die Finanzierung der Wissenschaft aus politischen oder finanziellen Gründen manipuliert? Zweifellos ein schwerer Vorwurf, und im vorliegenden Fall muss die Antwort – noch – offen bleiben. Aber dass es entsprechende Einfluss- und Manipulationsstrukturen gibt, dass ein "medizinisch-politischer Komplex" regelmäßig politische Entscheidungen beeinflusst, prangerte erst kürzlich das renommierte "British Medical Journal" an. Zwar mit Fokus auf Großbritannien in der Corona-Pandemie – doch das Grundproblem lässt sich problemlos auch auf andere Staaten wie zum Beispiel Deutschland übertragen.
Die Versäumnisse bei der Forschung zu medikamentösen Covid-19-Therapien werfen aber auch ein Licht auf andere Versäumnisse im politischen Umgang mit der Corona-Krise. Nach einem Jahr chaotischer politischer Reaktionen auf die Pandemie müssen die politisch Verantwortlichen der BRD endlich die organisatorischen und finanziellen Grundlagen für einen Masterplan für den derzeitigen und zukünftigen Umgang mit Pandemien schaffen: Politische Prävention, medizinische Prävention, Arzneimittelforschung, Qualifizierung des Gesundheitswesens und unabhängige Berichterstattung müssen mit dem Mut auch zu unpopulären Maßnahmen auf den Weg gebracht werden.
Darüber hinaus wird die qualifizierte Digitalisierung des Gesundheitswesens entscheidenden Einfluss auf den Erfolg der Bekämpfung der Pandemie haben. Das heißt, die Degradierung der Digitalisierung des Gesundheitswesens zu einer potenziellen Plattform der Industrie muss zu Gunsten der Entwicklung und Durchsetzung einer patientenbezogenen elektronischen Patientenakte beendet werden; auch Widerstände der Leistungserbringer wie etwa von Zahnärzten dürfen nicht mehr bestimmend sein.
Diese Ziele können nur erreicht werden, wenn unter anderem:
- jede Möglichkeit der Einflussnahme der Pharmaindustrie auf politische Entscheidungen beendet wird,
- die Frage des Vorrangs der Daseinsvorsorge für die Bevölkerung vor dem Datenschutz geklärt wird, und
- wenn (frei und analog nach MdB Özdemir) eine qualifizierte gesundheitsökonomische Ausbildung und Berufstätigkeit kein Hindernis mehr für eine gesundheitspolitische Karriere sein wird.
Verfehlen die Politiker der Bundesrepublik Deutschland diese Ziele, bedrohen sie nicht nur die Gesundheit der Bevölkerung, sondern auch die demokratischen Grundsätze der BRD.
Peter Schwoerer (Jahrgang 1941) war 25 Jahre lang Allgemeinarzt in Neustadt (Schwarzwald) und danach in führenden Funktionen der Ärzteschaft und des Medizinischen Dienstes der gesetzlichen Krankenversicherungen (MDK) Baden-Württemberg tätig.
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Arnold Weible
am 07.03.2021