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Verlage und Datenschutz

Bezahlen mit Daten

Verlage und Datenschutz: Bezahlen mit Daten
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DatenschützerInnen wie Stefan Brink wollen den großen Zeitungsverlagen Einhalt gebieten beim Datensammeln. Auch weil sie dort zahlreiche Verstöße vermuten. Gleichzeitig bastelt die EU aber an noch großzügigeren E-Privacy-Regeln.

Niemand, der im Netz unterwegs ist, entkommt dieser harschen Aufforderung, entweder alles zu akzeptieren oder die Einstellungen zu verändern. Geht es aber nach den Datenschutzbeauftragten der Länder, müssen vor allem Zeitungsverlage ihre Praxis grundlegend ändern. Denn sie können schwerlich ein "berechtigtes Interesse" nachweisen, um ihren LeserInnen auf Schritt und Tritt durchs Netz zu folgen.

Es ist, als müsste ein Kabelsalat entwirrt werden: Wer an den falschen Stellen zieht, bekommt neue Probleme anstatt alte zu lösen. Seit bald drei Jahrzehnten funktioniert kein Modell, die klassischen Tages- und Wochenzeitungen zur Zufriedenheit aller und wirtschaftlich auskömmlich in die www-Welt zu transformieren. Der versunkenen Goldgräberstimmung mit den vom Printangebot getrennten Online-Redaktionen in den Neunzigern folgen immer neue Wellen der Ernüchterung. "Die Einnahmen aus der Bannerwerbung decken in der Regel nicht alleine die Kosten", heißt es schon 2003 in einer Forschungsarbeit der Technischen Uni in Illmenau, "und hinzu kommt: Die Bereitschaft der Nutzer, für Inhalte zu zahlen, ist ausgesprochen gering." In der Folge würden "die Ausgaben stark gesenkt und verstärkt Überlegungen angestellt, neue Strategien zur Finanzierung der Online-Auftritte zu entwickeln"."

Weil keine bisher wirklich leistete, was sie leisten sollte, ist eine höchst unübersichtliche Gemengelage entstanden. Die EU bastelt seit vier Jahren an einer Fortschreibung der E-Privacy-Verordnung. Seit wenigen Tagen liegt eine erste Version vor, die bei DatenschützerInnen die Zornesader schwellen lässt. Nicht nur die Zeitungsverlage sind an der Fortschreibung oder sogar am Ausbau bisheriger Querfinanzierung dringend interessiert.

Es drohen Bußgelder in Millionenhöhe

Bereits im vorigen Jahr haben Stefan Brink, der baden-württembergische Beauftragte, und seine KollegInnen in Bund und Ländern eine Prüfung jener Medienhäuser mit einer besonders reichweitenstarken Online-Präsenz angestoßen. Bundesweit wurden gleichlautende Fragen verschickt, wenn alle Antworten vorliegen, werden die Datenschutzbeauftragten gemeinsam an die Öffentlichkeit gehen, um gegebenenfalls alle Verstöße bekannt zu machen und zu sanktionieren. Immerhin erlaubt die Europäische Datenschutzgrundverordnung Bußgelder von bis zu 20 Millionen Euro.

Und dann sind da noch die, die eigentlich im Mittelpunkt stehen (sollten), die aber etlichen Studien zufolge nicht einmal den blassen Schimmer einer Ahnung haben, was passiert, wenn sie auf "Akzeptieren" oder auf "Einstellungen" klicken. Details gefällig? Wissen um Vorlieben der LeserInnen ist deshalb Macht, weil nicht wie in der guten alten Zeitung Anzeigenplatz verkauft wird, sondern die zielgenaue Platzierung von Werbung auf Internetseiten. Noch während die eine lädt, klären damit beauftragte Unternehmen, die natürlich ebenfalls ordentlich mitschneiden wollen am großen Kuchen, welche Erkenntnisse über die jeweiligen BesucherInnen vorliegen. Ein anderes dickes Kabel im Salat gehört den Werbeagenturen. "Je mehr Daten über einen Nutzer aggregiert wurden, umso besser kann die Automatik abschätzen, ob der Besucher für eine bestimmte Werbung attraktiv ist", schreiben die Fachleute von Netzpolitik. Bei den besser bekannten Besuchern seien die Gebote zwar entsprechend höher, trotzdem nur Bruchteile eines Cents. Die meistbietende Werbeagentur darf dann die Werbung ihres Kunden in die ladende Nachrichtenseite integrieren: "Das alles geschieht in Millisekunden."

Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar hat sich schon im Tätigkeitsbericht 2019 mit den inkriminierten Praktiken befasst. "Die Vergabe der Werbeflächen auf der Webseite der Verantwortlichen erfolgt mittlerweile fast ausschließlich durch einen automatisierten Prozess, der Werbeplätze in Echtzeit verkauft und ausliefert", schreibt er. Das sei "unter dem Begriff Real-Time-Bidding oder Real-Time-Advertising bekannt" und von ihm regelmäßig als nicht datenschutzkonform bewertet worden. Nicht nur den Nutzern, sondern größtenteils sogar den Verantwortlichen fehle der Überblick über die "Verkettungen von Daten durch eingesetzte Drittdienstleister, die an dem Prozess der Ausspielung zielgenauer Werbung beteiligt sind".

Gefräßige Cookies, gierige Werbeindustrie

Auch der Bundesgerichtshof hat entschieden und im vergangenen Mai unter anderem vorausgefüllte Cookies-Einstellungen untersagt. Mit ihnen werden NutzerInnen erst recht hinter die Fichte geführt. Wer sich gegen "Akzeptieren" entscheidet, bekommt dann doch das Gesamtpaket untergejubelt beim Klick auf "Auswahl speichern": vom "personalisierten Anzeige-Profil" bis zur "Marktforschung, um Erkenntnisse über Zielgruppe zu gewinnen". Wer einsteigen will in Einzelheiten der geldwerten Angaben, die abgegriffen werden, muss nur einmal die Kachel "Anbieter" anklicken. Die erscheinenden Listen haben Überlänge und illustrieren den Umfang des Handels. "Da wird in einer Währung bezahlt", beklagt Stefan Brink, "deren Wert überhaupt nicht transparent ist." Die 20, 30, 50 oder 70 Anbieter zeigten, "dass die Daten jedes Einzelnen viel wert sind."

Für die Medienhäuser ist die Lage so vertrackt, weil die vom Gesetzgeber vorgesehene Möglichkeit, ein "berechtigtes Interesse" geltend zu machen, nicht greift. Denn Zeitunglesen online funktioniert im Prinzip ohne Nachverfolgung. Wer einkaufen will im Netz möchte, dass die eigene Auswahl im Warenkorb landet. Cookies zu verwenden, um genau dies sicherzustellen, ist erlaubt. 

"Cookies können nützlich sein", sagt Brink und betont "können". Aus der Sicht des Landesbeauftragten von entscheidender Bedeutung ist "das Niveau der Information und der Aufklärung". Der promovierte Jurist ist auch für die Informationsfreiheit zuständig und betont: "Wer seine Daten zur Verfügung stellen oder sein Frühstücksei posten will, muss das dürfen." Allerdings müssten die Folgen transparent sein. Für die Einzelnen und für die Gesellschaft: Gerade der Zugang zu klassischem seriösem Journalismus kann KonsumentInnen mit kleinem Geldbeutel ermöglicht werden, wenn sie stattdessen Privates geben. In anderen europäischen Ländern, beispielsweise in Österreich, wird offensiv geworben mit der Bezahl-Variante "Pur" oder dem Angebot, das die Cookie-Einwilligung voraussetzt.

Lobbyisten leisten ganze Arbeit

Ordnend eingreifen könnte die EU im Zusammenarbeit mit ihren Mitgliedstaaten, zumal sich BGH und Europäischer Gerichtshof schon mehrfach auf die Seite der VerbraucherInnen geschlagen haben. Zumindest die bisherigen Vorstöße zur veränderten E-Privacy-Verordnung zugrunde gelegt, fährt der Zug aber in eine ganz andere Richtung. Unter der kroatischen Ratspräsidentschaft kam die Idee auf den Tisch, einfach den Begriff "berechtigtes Interesse" extrem auszuweiten. Das Papier liest sich laut einer der vielen Stellungnahmen "passagenweise wie die Parodie eines Lobbyistentextes". Unter den KennerInnen im Netz ist die Aufregung groß, während zugleich viel zu viele KonsumentInnen Tag für Tag dutzendfach oder noch öfter ganz ohne Bedenken durchs Netz surfen, ohne zu ahnen, dass der globalisierte Kommerz sie verfolgt im Netz.

Also müssten, wie bei jedem Kabelsalat, erst einmal ausreichend viele Stecker gezogen werden. Oder, wie Brink verlangt, die gesamte Diskussion auf "eine ehrliche Ebene" gehoben. In Wirklichkeit werde "nur an den Symptomen eine ganz anderen Problematik herumgedoktert". Es müsse endlich geklärt werden, wie mit dem Urheberrecht im Netz umgegangen werden soll. Konkret: Welche Konsequenzen es hat, "wenn die gut recherchierte Nachricht extrem leicht und urheberrechtsfrei geteilt werden kann." Mit Daten zahlen kann jedenfalls nicht der Ausweg sein.


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1 Kommentar verfügbar

  • Gerald Fix
    am 20.02.2021
    Antworten
    Nicht nur in Österreich gibt es das Pur-Angebot, auch Heise online praktiziert das. Heise verlangt 5 € im Monat oder die Kompletteinwilligung. Für mich bedeutet das, dass ich diese Seite nicht mehr aufrufen werde. Dabei geht es mir nicht um die Werbung - ich habe einen Werbeblocker, schalte ihn aber…
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