Eine kurze Geschichte, die ich in einer Rede von David Foster Wallace gefunden habe. Sie geht so: "Schwimmen zwei junge Fische des Weges und treffen zufällig einen älteren Fisch, der in die Gegenrichtung unterwegs ist. Er nickt ihnen zu und sagt: "Morgen, Jungs. Wie ist das Wasser?" Die zwei jungen Fische schwimmen eine Weile weiter, und schließlich wirft der eine dem anderen einen Blick zu und sagt: "Was zum Teufel ist Wasser?"
"Was zum Teufel ist Wasser?" ist eine Frage, die Ihnen womöglich vom Tenor her bekannt vorkommt. Was Tag für Tag verkündet und praktiziert wird, was alltäglich, was selbstverständlich ist, wird als gegeben und unveränderlich wahrgenommen, als alternativlos.
Ich habe das Glück, schon einmal miterlebt zu haben, dass sich die Welt von Grund auf verändern lässt und dass dies, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, friedlich und ohne Blutvergießen möglich war. Sie haben hier Gewalt erlebt, die es an Brutalität mit den Knüppeleien mancher DDR-Polizeieinheiten im September und Anfang Oktober 1989 durchaus aufnehmen kann. Ein Unterschied zu damals ist, dass Sie keine Angst vor einer chinesischen Lösung haben müssen, vor der wir uns im Herbst 89 fürchteten. Trotz dieser Angst war die Atmosphäre in Leipzig am Montagabend heiter. Es war die Freude darüber, dass sich so viele, die einander nicht kannten, zusammenfanden und etwas riskierten. Auf Transparenten und in Sprechchören entfaltete sich ein Sprachwitz, der eine Freiheit praktizierte, die es erst noch zu erobern galt.
Deutschland hat die Chance der Vereinigung vertan
Für mich sind die Erfahrungen des Herbstes von 1989 als Ermutigung wichtig. Andererseits wurde vieles, was damals als gesellschaftliche Alternative entstand, zum Beispiel, dass in Betrieben, Instituten, an Schulen und Universitäten die Leiter und Direktoren von den Beschäftigten selbst gewählt werden konnten, nach der Währungsunion und dem Beitritt wieder rückgängig gemacht. Der Umbruch, der Weltenwechsel von 1989/1990, ist aber auch deshalb so wichtig, weil er zur Geburtsstunde unserer heutigen Welt wurde. Denn der Schein, im Westen habe sich damals nichts verändert, trügt. Deutschland hat die Chance einer Vereinigung vertan. Hätte es eine Vereinigung gegeben und nicht nur einen Beitritt des Ostens zum Westen, dann hätte auch der Westen die Chance gehabt, sich selbst zu überprüfen und zu verändern. Da dies nicht geschah und sich stattdessen eine Sieger-Mentalität breitmachte, verlor die neue Bundesrepublik viel von ihrer demokratischen und sozialen Kultur.
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leoloewe
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