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Ausgabe 8b
Schulklasse

Letzte Generation

"Was gewaltfrei ist, können wir machen"

Letzte Generation: "Was gewaltfrei ist, können wir machen"
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Alle kennen die Bilder von den "Klima-Klebern". Aber warum machen die das? Und was haben sie eigentlich gegen Autos? Über diese Fragen haben wir uns mit dem Aktivisten Mischa Bareuther von der Letzten Generation unterhalten.

Also, Dankeschön, dass Sie mit uns reden möchten. Wir haben Fragen an Sie. Manche sind auch persönlich und auch krass sozusagen. Wenn Sie die nicht beantworten wollen, ist auch okay. Was machen Sie denn beruflich?

Nach dem Abitur bin ich zur Sparkasse gegangen, habe dort eine Ausbildung zum Bankkaufmann gemacht und bereue das auch nicht. Das war echt cool. Aber ich wollte nicht mein ganzes Leben in der Sparkasse versauern. Dann habe ich ein Jahr lang soziale Arbeit in Bolivien gemacht und mich dazu entschieden, ein Studium anzufangen zu Umweltthemen. Also habe ich Ökosystem-Management studiert in Göttingen. Da geht es um Umwelt, um Landwirtschaft, um Wälder, um Geografie und Geologie. Da ging es um Fehler. Jetzt in Stuttgart habe ich das Thema Landwirtschaft und Umweltschutz. 

Okay. Gut zu wissen. Das war die Einstiegsfrage. Aber jetzt kommen die harten. Sie sind bereit?

Mischa Bareuther, 35, studiert Umweltwissenschaft in Hohenheim. Der frühere Sparkassen-Mitarbeiter sorgte im April 2023 für internationale Schlagzeilen, als die Berliner Polizei mit einem Presslufthammer anrücken musste, um ihn vom Asphalt zu lösen. Für seine Blockade-Aktionen musste er bereits Geldstrafen zahlen und sagte, er sei bereit, für den Klimaprotest ins Gefängnis zu gehen. 

Ja, ich bin bereit. 

Warum machen Sie bei der Letzten Generation mit?

Das ist keine leichte Entscheidung. Ihr kennt ja vielleicht Bilder aus dem Fernsehen oder aus dem Internet. Da geht es teilweise ganz schön heiß her bei so Protesten. Aber für mich hat es damit angefangen, dass ich durch mein Studium nicht mehr ignorieren konnte, was gerade mit der Umwelt passiert. Als ich noch bei der Sparkasse gelernt habe – das ist etwa zehn Jahre her –, da gab es noch nicht diese großen Klima-Proteste, da war das noch nicht so Thema. Aber inzwischen ist mir klar, dass wir als Menschheit vor großen Problemen stehen, die mit Umweltschutz zusammenhängen. Da geht es teils um drastische Fragen. Etwa: Haben wir morgen noch genügend Essen auf dem Teller? Und was passiert, wenn die Länder nahe am Äquator so heiß werden, dass dort niemand mehr wohnen kann? Wo gehen die Leute hin? Ab 2019 gab es dann ja immer größere Klima-Proteste, da bin ich auch zum ersten Mal mit auf die Straßen gegangen. Da gab es große Hoffnungen, die Politik hat ja damals auch versprochen, viel zu machen beim Klimaschutz. Und das höchste Gericht in Deutschland hat gesagt, die kommenden Generationen müssen geschützt werden durch Klimaschutz. Aber passiert ist dann viel zu wenig. Vor eineinhalb Jahren war ich dann so enttäuscht von der Politik, dass sie uns unsere Zukunft so verrät, dass ich zur Letzten Generation gestoßen bin. Eigentlich wollte ich mich nie auf die Straße setzen oder festkleben.

Und wie machen Sie das, wenn Sie auf die Toilette müssen?

Das ist eine echt gute Frage. Einmal habe ich mich an den Leitplanken von der Autobahn festgeklebt und mit einem Kupfer-Rohr, wo ich meine Finger rein geklebt habe. Das konnte die Polizei zwei Stunden nicht lösen. Da kann man tatsächlich eine Erwachsenen-Windel anziehen. Ich habe das aber noch nie gebraucht. Ich muss einfach nicht aufs Klo, wenn ich nicht trinke. Dann halte ich es auch mal fünf Stunden durch. 

Und was haben die Aktionen bis jetzt gebracht? 

Eine riesige Aufmerksamkeit, das hat ja jeder mitbekommen. Es gibt fast niemanden, der nicht von den Klima-Klebern gehört hat. Natürlich gibt es genügend Leute, denen gefällt das gar nicht, dass sie so konfrontiert werden mit dem Klimaversagen und mit ihrer Bequemlichkeit. Ich mache da mit, weil ich Hoffnung habe, dass dieser Protest etwas anstößt. Erfolgreich sind wir, wenn wir die Politik unter Druck setzen. Und die Bewegung wächst weiterhin.

Viele reagieren verärgert auf blockierte Straßen. Glauben Sie nicht, dass solche Aktionen mehr schaden als nutzen? 

Es stimmt natürlich, dass solche Protestformen, die aufregen, uns oftmals keine Freunde machen. Denn sie stören – und das müssen sie auch. In den Medien wird es so dargestellt als müssten die Protestformen mehrheitliche Zustimmung bekommen, um erfolgreich zu sein. Das ist natürlich nicht richtig, denn Mehrheiten für unsere Forderung nach Klimaschutz und der Erhaltung unserer Lebensgrundlagen sind da. Wir erleben ja heute schon, wie Wälder in Kanada abbrennen, die so groß wie Bayern sind, und Fluten, wie wir sie noch nie gesehen haben. Um erfolgreich zu sein, müssen wir die falschen Versprechen und das Versagen der Regierung bloßstellen. Dazu müssen Leute es nicht gut finden, wenn Farbe auf dem Brandenburger Tor landet oder wir uns auf die Straße setzen im Berufsverkehr. Weil das Unrecht, das den jungen Menschen und ihrer Zukunft durch die Politik angetan wird, mittlerweile so groß ist, greifen wir zum in unseren Augen letzten Mittel: Dem friedlichen zivilen Widerstand. Als in den 60er Jahren in den USA die schwarze Bürgerrechtsbewegung rund um den berühmten Martin Luther King zu Sitzstreiks, Blockaden und anderen Gesetzesübertretungen griffen, wurden sie massenhaft eingesperrt. Und in Umfragen sagten 70 Prozent der Weißen: "Sie schaden durch den Protest ihrem Anliegen sogar." Aber nein, der Protest war nur ein notwendiger Aufreger, ein Startpunkt, der für Druck sorgte für eine positive Veränderung. 

Wo wäre Ihre Grenze des Protests? 

Die Grenze ist die Friedlichkeit. Was gewaltfrei ist, können wir machen, wenn es in die Strategie passt. Wir setzen bei den Protesten vor allem unsere eigene Gesundheit aufs Spiel, aber lassen zum Beispiel immer Rettungswagen durch und würden nicht mal zurückschimpfen, wenn man uns beleidigt, bedroht oder sogar angreift. Es kann passieren, dass durch Plakate oder Farbe auch mal Sachbeschädigung auftritt, aber selbst das ist selten, weil wir abwaschbare Farbe oder verglaste Kunstwerke nutzen. Es sind meist einfach symbolische, ruhige, entschlossene Protestaktionen und wir stellen uns auch immer den rechtlichen Konsequenzen und gehen nicht weg, sondern warten bis die Polizei kommt und uns teilweise auch mitnimmt in Polizeigewahrsam und später auch vor Gericht anklagt. Das ist Teil unseres Protests.

 

Dieser Artikel ist Teil des Medienprojekts der Kontext-Wochenzeitung mit der Bismarckschule in Stuttgart-Feuerbach. Zur gesamten Schulausgabe geht es hier.


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