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Ermordete Zwangsarbeiter in Baden

Himmlers Todesurteile

Ermordete Zwangsarbeiter in Baden: Himmlers Todesurteile
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Weil er mit einer deutschen Frau ein Kind hatte, wurde der polnische Zwangsarbeiter Wladyslaw Repetowski von der Gestapo im Schwarzwald ermordet. Die Täter blieben ungestraft. Lange gab es keinen Gedenkort für den Ermordeten, auch weil es seine Nachkommen so wollten. Das ändert sich nun.

Es muss furchtbar gewesen sein: Am Morgen des 5. Juni 1942, einem Freitag, mussten die etwa 150 polnischen Zwangsarbeiter:innen von den Schwarzwaldhöfen des badischen Dorfes Tennenbronn in den Zinken Unterschiltach kommen. Stumm gingen sie an einem Ahornbaum vorbei. Dort hing ihr Kamerad Wladyslaw Repetowski. Von einem Gestapo-Kommando aufgehängt, weil er mit Agnes Kunz "geschlechtsvertraulich" gewesen war.

80 Jahre nach Kriegsende und 83 Jahre nach diesem Verbrechen gedenken die Stadt Schramberg, zu der Tennenbronn heute gehört, ders ermordeten Repetowskis sowie Kunz' und des gemeinsamen Sohns Franz Xaver. Stadtarchivar Carsten Kohlmann, Oberbürgermeisterin Dorothee Eisenlohr, Robert Hermann und Alfred Moosmann, zwei Vertreter des Dorfmuseums "Tennenbronner Heimathaus", berichteten am 28. Oktober im Rathaus über das Geschehen von damals. Die NS-Zeit aufzuarbeiten, das beschäftige die Heimathausgruppe schon lange, sagte Moosmann. Auch das Schicksal des polnischen "Fremdarbeiters" Repetowski.

Er kam nach Dachau, sie nach Ravensbrück

Der war gerade 16 Jahre alt, als er 1940 aus seinem Heimatdorf Iwkowa im Süden Polens als Zwangsarbeiter auf den Baschenjockelshof in Tennenbronn geschickt wird. Agnes, die älteste Tochter des Bauern, und der gleichaltrige Repetowski verlieben sich – und Agnes wird schwanger. Jemand aus dem Dorf denunziert sie, die Gestapo verhaftet beide im März 1942, verhört sie und schickt sie ins KZ: Er kommt nach Dachau, sie nach Ravensbrück, später in das "Jugendschutzlager Uckermark". Sie haben sich nie wieder gesehen.

Brief um Brief schrieb Agnes' verwitweter Vater, um seine Tochter auf den Hof zurückzubekommen. Das Baby ziehen Verwandte auf. Die Nazis entließen Agnes schließlich im Oktober 1942. Um sie zu demütigen, schoren sie ihr vorher die Haare vom Kopf. Zu der Zeit hatte das Gestapo-Kommando ihren Geliebten wegen "GV-Verbrechen" ("geschlechtsvertraulich") bereits umgebracht.

Mit deutscher Gründlichkeit hatten die NS-Schergen Repetowski vor seiner Hinrichtung noch gezwungen, seine Vaterschaft anzuerkennen und sich zu Unterhaltszahlungen zu verpflichten. Seine Leiche kam nach Freiburg in die Anatomie. "Repetowski hat kein Grab bekommen", stellt Stadtarchivar Kohlmann fest.

Die Akte eines mutmaßlichen Täters

Repetowski war einer von 38 polnischen Zwangsarbeitern, die die Gestapo in Baden zwischen 1940 und 1942 hinrichten ließ. Alle wegen "GV-Verbrechen", immer nach demselben fürchterlichen Schema. Die badische Gestapo sei besonders rabiat gewesen, sagt Kohlmann, nirgendwo sonst seien in Deutschland so viele polnische Zwangsarbeiter aus diesem Grund hingerichtet worden.

Der Archivar ist auf etliche Männer gestoßen, die an der Hinrichtung in Tennenbronn beteiligt waren oder gewesen sein könnten: etwa Kriminaloberassistent Walter Werner von der Gestapo-Außenstelle in Singen. Auch der damalige Bürgermeister von Tennenbronn, Josef Kaltenbacher, sei gut informiert gewesen. Oder etwa der Jurist Walter Schick, ein gebürtiger Schramberger. Er war zu dieser Zeit Chef der Gestapo-Zentrale in Karlsruhe und später in Königsberg Inspekteur der Sicherheitspolizei. 1944 ist er bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

Zwei, die möglicherweise vor Ort waren: Bernhard Steinhoff, ein gebürtiger Schlesier. Er hat wahrscheinlich das Urteil auf Polnisch übersetzt. Und Heinrich Faber vom "Fremdarbeiterreferat" der Gestapo in Baden, Schicks Stellvertreter. Nach dem Krieg liefen gegen ihn zwei Ermittlungsverfahren. Die Akte über ihn umfasst 250 Seiten und enthält Details über Repetowskis Ermordung und die beteiligten Täter.

Der promovierte Altphilologe Faber wechselte 1926 zur Polizei und arbeitete ab 1937 in Karlsruhe bei der Gestapo im Rang eines SS-Sturmbannführers und Kriminaldirektors. Nach Kriegsende lebte er zunächst im Untergrund. In einem Entnazifizierungsverfahren stufte ihn die Spruchkammer 1951 als "Mitläufer im NS-Regime" ein. Bis 1958 arbeitete er in der norwegischen Hauptstadt Oslo, kehrte dann nach Deutschland zurück.

Faber: Die Polen waren selbst schuld

Bei einer Vernehmung im März 1960 erklärte Faber, er habe die "Anordnungen von Hinrichtungen damals für rechtmäßig" gehalten. Er habe immer geglaubt, dass es sich um ein "gesetzmäßig zustande gekommenes Urteil handele" und "die Polen, denen vorher die Androhung der Todesstrafe auf Geschlechtsverkehr bekannt gegeben worden war, waren an ihrem Schicksal selbst schuld".

Die SS hatte ein festgelegtes Verfahren: Wenn ein polnischer Zwangsarbeiter denunziert wurde, verhaftete die Gestapo den Mann und meist auch die Frau. Die "Beschuldigten" wurden bei Verhören brutal misshandelt und kamen in Haft oder in ein KZ. Der Gestapochef schickte die Akte nach Berlin, dort entschied der Reichsführer SS Heinrich Himmler meist auf "Sonderbehandlung": Hinrichtung durch den Strang. Die Akte mit dem Himmler-Befehl ging zurück an die zuständige Gestapo-Stelle, die dann die Hinrichtung durchführte. Es gab kein Gerichtsverfahren, keinen Verteidiger, es gab nicht einmal ein Gesetz, lediglich einen Erlass des Reichsführers SS.

Steinhoff, der Mann aus Oberschlesien, fungierte bei der Gestapo in Karlsruhe als Dolmetscher. Noch in seiner Zeit in Oberschlesien war er 1929 der Hitlerjugend beigetreten, ab 1932 Mitglied in der SA und der NSDAP. Er hat an etwa 20 dieser Morde teilgenommen und das Urteil auf Polnisch verlesen, vermutlich eben auch bei Repetowski. Im Verfahren gegen Faber hat Steinhoff berichtet, dass manchmal die polnischen Zwangsarbeiter ihre Kameraden aufhängen mussten.

Emil Haas, ein anderer Gestapo-Mann aus Karlsruhe, hat laut Faber-Akte am 19. April 1961 ausgesagt, es sei trotz der Androhung der Todesstrafe vorgekommen, "dass Polen sich an deutsche Frauen herangemacht und mit diesen Geschlechtsverkehr ausgeübt haben". Haas' Aussage ist es auch, in der sich ein einziges Mal in der gesamten Akte Widerspruch gegen die Hinrichtungen aus der Bevölkerung herauslesen lässt. Ein Kriminalsektretär, der in Gernsbach einen Polen exekutieren sollte, habe ihm berichtet, "dass die Bevölkerung über die Hinrichtung sehr aufgebracht sei. Die Besitzerin des Kirschbaums, an dem der Pole aufgehängt werden sollte, erklärte, sie wolle den Kirschbaum vorher absägen." Der Karlsruher Gestapo-Chef Schick hat dann einfach einen anderen Beamten beauftragt, der die Hinrichtung vollzogen hat.

Laut Gericht "nicht hinreichend verdächtig"

Die Staatsanwaltschaft hat am 23. März 1962 beantragt, das Verfahren gegen Faber wegen Mordes außer Vollzug zu setzen. Der Beschuldigte habe aus Befehlsnotstand gehandelt. Das Landgericht Karlsruhe folgte diesem Antrag knapp zwei Jahre später: Faber sei der Beihilfe zur Tötung "nicht hinreichend verdächtig".

Nach der Befreiung Tennenbronns im April 1945 bildeten die ehemaligen polnischen Zwangsarbeiter das "Polnische Komitee Tennenbronn". Am 5. Juni 1945, dem dritten Jahrestag der Ermordung von Wladyslaw Repetowski, hat es eine hölzerne Gedenktafel an dem Ort seiner Hinrichtung angebracht. Darauf stand auf Polnisch und Deutsch: "Schande über diejenigen, die Gesetze gegen Gottes Willen geschaffen haben. Schande den Erfindern der Rassengesetze. Es lebe die Freiheit!" In einem Familienalbum von Agnes Kunz fand Archivar Kohlmann drei Fotos von der Enthüllung der Tafel. Darauf zu sehen: ein langes Blumengebinde mit rot-weißer Schleife, den polnischen Nationalfarben. In der Gruppe steht Agnes Kunz mit ihrem Sohn. Ernst schauen sie in die Kamera. Sie zieht Franz Xaver auf dem elterlichen Hof groß, heiratet 1970 wieder.

Seit den 1970er-Jahren ist die Gedenktafel verschollen. Vor vier Jahrzehnten habe sich ein SPD-Gemeinderat bemüht, am Ort des Verbrechens wieder eine Gedenktafel aufzustellen, berichtet Alfred Moosmann vom Heimathaus. In einer Chronik der Stadtgeschichte aus dem Jahr 2006 schreibt Hans-Joachim Losch über die Hinrichtung, schwärzt aber den Namen der damals noch lebenden Agnes Kunz. Aus Rücksicht ihr gegenüber. Im Dorf würden die Frau und ihr Sohn immer noch verspottet, weil sie sich mit dem Polen einließ, berichtete damals Oberbürgermeister Herbert Zinell. Die Familie habe sich deshalb auch gegen eine Gedenktafel ausgesprochen.

Nun kommt ein Gedenkort

Vor sieben Jahren hat Stadtarchivar Kohlmann dann den Kontakt mit der Familie Kunz gesucht. Agnes Kunz starb 2010, ihr Sohn sieben Jahre darauf. Die Jüngeren waren für eine neue Gedenktafel, "aber die Älteren wollten nicht an die Grausamkeiten von damals erinnert werden", berichtet Moosmann. Inzwischen hat man sich mit der Familie geeinigt: Am Volkstrauertag, 16. November, wird ein Gedenkkreuz zur Erinnerung an Wladyslaw Repetowski enthüllt.

Die Heimathausgruppe hat Kontakt zu Verwandten von Repetowski in dessen Heimatdorf Iwkowa aufgenommen, berichtet Robert Hermann. Seine jüngste Schwester lebe noch. Die Angehörigen hätten lange nicht gewusst, dass er von den Nazis ermordet worden war. Sie seien dankbar, dass Tennenbronn nun mit einem Mahnmal an Wladyslaw erinnere. Eine Gruppe der Familie wird zum Volkstrauertag nach Tennenbronn kommen. 

Zu Lebzeiten hat Kunz Anträge auf Wiedergutmachung, Witwen- und Waisenrente gestellt, erzählt Kohlmann. Beides sei abgelehnt worden: Sie sei kein NS-Opfer im Sinne des Gesetzes gewesen. Für den Stadtarchivar ist die Arbeit nach ihrem Tod mit dem Gedenkkreuz nicht getan: Er will Unterlagen der Arbeitsämter, der Gesundheitsämter, des Landratsamtes und der Gemeinde Tennenbronn auswerten und weiter nach den Tätern suchen. Beim Gespräch über Wladyslaw und Agnes habe er den Nichten ein Bild von ihm gezeigt, erzählt Kohlmann noch. Sie hätten das Bild betrachtet und gemeint: "Die haben sich sehr geliebt."

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1 Kommentar verfügbar

  • G. Günther
    vor 5 Stunden
    Antworten
    Ergänzender Lektüre-Vorschlag: Rolf Hochhuth "Eine Liebe in Deutschland":

    Rolf Hochhuth hat mit seinem 1978 erschienenen Buch "Eine Liebe in Deutschland" (1983 von Andrzej Wajda mit Hanna Schygulla verfilmt) bereits eindrücklich über die tragische Liebe einer jungen Frau mit einem polnischen…
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