KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

PFAS und TFA

Asbest 2.0

PFAS und TFA: Asbest 2.0
|

Datum:

Die Versicherungswirtschaft und die Landesbank warnen vor Milliardenschäden durch giftige Ewigkeitschemikalien und die Politik lässt sich Zeit. Weil sie auf die Chemielobby hört.

In der Fachwelt ist das Problem seit Jahren bekannt. So meldeten 2012 die Wasserwerke Rastatt extrem viel PFAS, synthetische Fluorverbindungen, im Grundwasser. Die Aufregung war groß und die Werke wurden für bislang 24 Millionen Euro auf- und umgerüstet. Bezahlen müssen das bis heute die Bürger:innen mit steigenden Wasserpreisen. Ins Wasser gekommen waren die Ewigkeitschemikalien durch mit Papierschlämmen versetzten Kompost, der über Jahre auf landwirtschaftlichen Flächen verteilt worden war.

Großartig über Rastatt hinaus wurde der Skandal und dessen Ursachen allerdings wenig thematisiert, die breite Öffentlichkeit nahm die Gefahr durch Ewigkeitschemikalien kaum zur Kenntnis. Dabei sind sie mittlerweile überall. Im Wasser, im Boden, im Regen. Und weil die Verbindungen unter dem Oberbegriff PFAS schwer bis gar nicht abbaubar sind, werden sie immer mehr. Besonders im Fokus steht derzeit Trifluoracetat (TFA), das als besonders gesundheitsschädlich gilt und – bislang jedenfalls – überhaupt nicht abbaubar ist. Ewigkeitschemikalie eben. In der Industrie kommt TFA ziemlich oft vor.

"Unsere Umwelt ist PFAS-imprägniert", fasst Janna Kuhlmann vom BUND jüngst in Bad Wimpfen bei Heilbronn zusammen. Sie war eine der Fachleute, die der BUND-Regionalverband Heilbronn-Franken eingeladen hatte, um darüber zu informieren, welche Folgen die anhaltende Verschmutzung hat. Mittlerweile warnen auch das Umweltbundesamt und das Bundesinstitut für Riskobewertung offiziell vor TFA: Die Säure könne das Kind im Mutterleib schädigen und die Fruchtbarkeit beeinträchtigen, teilten die Ämter vor sechs Wochen mit. Fast zeitgleich warnte die Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke Bodensee-Rhein vor der stetig wachsenden TFA-Belastung des Trinkwassers, das irreversibel geschädigt werden könnte.

Vergiftet in alle Ewigkeit

PFAS steht für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen und bezeichnet synthetische Fluorverbindungen, von denen es mindestens 5.000 verschiedene chemische Varianten gibt. Da sie in der Umwelt nur sehr schwer abbaubar sind, werden sie auch Ewigkeitschemikalien genannt. Trifluoracetat (TFA) ist ein Unterstoff mit giftigen Eigenschaften. Die europäischen Wasserversorger fordern seit Langem, dass Konzentrationen in der Größenordnung von maximal fünf Tropfen in einem olympischen Schwimmbecken keinesfalls überschritten werden sollten.  (lee)

In Bad Wimpfen interessiert das Thema besonders. Denn dort leitet die Firma Solvay, die Fluorprodukte für die Auto- und Elektroindustrie herstellt, seit Jahren TFA in den Neckar. Mit behördlicher Genehmigung vom Regierungspräsidium Stuttgart darf sie ein Kilo TFA pro Stunde in den Fluss entsorgen (Kontext-Autor Gunter Haug berichtete darüber hier, hier und hier). Auf erhöhte TFA-Konzentrationen und die Schließung mancher Trinkwasserbrunnen reagierten die Behörden – von Bürgermeistern, Gemeinderäten bis zum Regierungspräsidium – wahlweise mit Schweigen oder nicht-öffentlichen Sitzungen.

Die Lobbykampagne fruchtet

Dass gesundheitsschädliche Chemikalien ziemlich ungehindert verbreitet werden dürfen, liegt an der Politik. Die hinkt mit klaren Verboten hinterher. Lange war nicht bekannt, was TFA anrichten kann – ähnlich wie einst Asbest. Also wurde und wird es munter ein- beziehungsweise freigesetzt, vor allem von der Chemie-Industrie. In den vergangenen Jahren häuften sich aber Studien, die TFA-Verseuchungen von Trinkwasser, TFA-Funde in Lebensmitteln, TFA im Blut nicht mehr harmlos fanden. So reichten Anfang 2024 Behörden aus Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, Schweden und Norwegen bei der Europäischen Chemikalienagentur den Vorschlag ein, die Stoffe in der EU so weit wie möglich zu verbieten.

Dann ging eine selten gesehene Lobbykampagne los. Politiker:innen aller Ebenen wurden mit teils 1.000 Seiten langen Dossiers bombardiert, Lobbyist:innen gaben sich in Parlamenten die Klinken in die Hand. Und siehe da: Im September vergangenen Jahres erklärte der damalige Kanzler Olaf Scholz (SPD) beim Pharma-Summit, zwar seien PFAS zum Teil giftig. "Ein undifferenziertes Totalverbot dieser ganzen chemischen Stoffgruppen lehnen wir aber ab. Dort, wo der Einsatz von PFAS schädlich ist und es bessere Alternativen gibt, sollten die Stoffe verboten werden. Dort, wo es noch keine Alternativen gibt und ihr Nutzen überwiegt, muss ihr Einsatz mit Übergangsfristen und Ausnahmen möglich bleiben, zum Beispiel bei Medizinprodukten, Halbleitern oder Elektrolyseuren." Was nützlicher ist als eine intakte Gesundheit in diesem Zusammenhang, ist leicht zu erraten: Gewinne. Das sagte Scholz damals natürlich nicht. Das gesamte Ausmaß der Pro-PFAS-Lobbyschlacht recherchieren 25 Medien aus 16 Ländern gemeinsam im "Forever Lobbying Project".

Auch die neue Regierung aus CDU/CSU und SPD bleibt dabei – siehe Koalitionsvertrag, Seite 30: "Ein Totalverbot ganzer chemischer Stoffgruppen wie per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) lehnen wir ab." Das wiederum freut die Wirtschaftsminister:innen der Länder, die erst Anfang Juni auf ihrer Konferenz die Koalition in Berlin ausdrücklich dafür lobten.

Bei der BUND-Veranstaltung in Bad Wimpfen kritisierte auch Michael Müller, Professor an der Uni Freiburg und einer der führenden PFAS-Forscher, wie Politiker:innen auf die Lobbyarbeit der Industrie hereinfallen. Er erläuterte vor den rund 100 Interessierten, dass es für fast alle PFAS-Anwendungen Alternativen gebe, besonders in der Medikamentenherstellung. Doch nur klare Verbote würden die Industrie dazu bringen, Alternativen auch einzusetzen oder weitere zu entwickeln. Einfach an alten TFA-/PFAS-Zöpfen festzuhalten, dürfte wohl eher zu einer Deindustrialisierung führen. Müller: "Manche Versicherer versichern schon gar nicht mehr gegen PFAS-Schäden."

Versicherungen fürchten Schadenersatzforderungen

In der Tat ist die Versicherungs- und Finanzwirtschaft weiter als die Politik. 2024 veröffentlichte die Landesbank Baden-Württemberg eine Pressemitteilung, in der sie vor den Kosten der PFAS-Ausbreitung warnt. Es bestehe "das Risiko, dass Schadenersatzforderungen wegen extrem langlebiger per- und polyfluorierter Chemikalien (PFAS) zu einer größeren finanziellen Belastung als der weltweite Asbest-Skandal Mitte des vergangenen Jahrhunderts werden könnten", schreibt die Landesbank. Und warnt: "Investoren sollten das Thema im Auge behalten."

Und der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) informierte im April dieses Jahres, dass er eine neue Vertragsklausel anbietet. "Mithilfe dieser PFAS-Klausel können Versicherer Schäden durch diese Chemikalien grundsätzlich erst einmal ausschließen", lässt sich Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des GDV, zitieren. Grund ist das hohe finanzielle Risiko.

Wahrscheinlich hat der Verband gen USA geschaut: Der US-Bundesstaat Maryland klagt gegen Gore-Tex, weil der Outdoorhersteller die gesundheitlichen Risiken von PFAS-Chemikalien ignoriert haben soll und jahrelang Luft und Wasser mit PFAS-Substanzen verschmutzt habe. Etwa 12,5 Milliarden Dollar zahlte 2023 der US-Konzern 3M, nachdem Wasserversorger ihn wegen langfristiger Belastung des Grundwassers mit PFAS-Chemikalien durch seine Feuerlöschschäume verklagt hatten. Bis Ende diesen Jahres will 3M nach eigenen Angaben aus der PFAS-Produktion und -Verwendung aussteigen. 2024 einigte sich BASF mit mehreren US-Wasserversorgern auf einen Vergleich und zahlte 300 Millionen Dollar wegen der Verunreinigung von Trinkwasser mit Ewigkeitschemikalien. Vergleiche wegen PFAS-Verunreinigungsklagen schlossen auch die Unternehmen DuPont, Chemours und Corteva und zahlten insgesamt knapp 1,2 Milliarden Dollar.

Zwar sind in Deutschland Verursacher von Umweltschäden schwer zu verklagen, dennoch bereitet nach Medienberichten der deutsche Jurist Klaus Nieding eine Klage gegen Chemiekonzerne vor. Bekannt ist Nieding, weil er Anleger im VW-Dieselskandal vertritt. Nun kündigt er an, einen Umweg über die USA nutzen zu wollen, um PFAS-Produzenten zu verklagen. Er glaubt, das könnte vor allem für Kommunen und Wasserwerke interessant werden.

Derweil häufen sich die Meldungen über TFA/PFAS-Verschmutzungen. Rund um den Flughafen Basel-Mulhouse trinken 60.000 Anwohner:innen seit Jahren PFAS-belastetes Trinkwasser, auch im Blut einiger Anrainer:innen wurde es nachgewiesen. Offenbar kommt die Wasserverseuchung vom Feuerlöschschaum, den der Flughafen nutzt. Laut einer Recherche von NDR, WDR und SZ vor zwei Jahren sind mehr als 1.500 Orte in Deutschland PFAS-belastet, in ganz Europa mehr als 17.000 Orte, "darunter gut 2.000 Hotspots mit erheblichen Gefahren für die menschliche Gesundheit".

Viel zu hohe PFAS-Werte wurden im Blut der Inuit, der Bewohner:innen Grönlands, gemessen. Offenbar weil sie Eisbären und Ringelrobben essen und gerade deren Leber besonders stark mit PFAS belastet ist. Rat der Forscher:innen: Die Inuit sollen etwas anderes essen.

Wir brauchen Sie!

Kontext steht seit 2011 für kritischen und vor allem unabhängigen Journalismus – damit sind wir eines der ältesten werbefreien und gemeinnützigen Non-Profit-Medien in Deutschland. Unsere Redaktion lebt maßgeblich von Spenden und freiwilliger finanzieller Unterstützung unserer Community. Wir wollen keine Paywall oder sonst ein Modell der bezahlten Mitgliedschaft, stattdessen gibt es jeden Mittwoch eine neue Ausgabe unserer Zeitung frei im Netz zu lesen. Weil wir unabhängigen Journalismus für ein wichtiges demokratisches Gut halten, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein sollte – auch denen, die nur wenig Geld zur Verfügung haben. Eine solidarische Finanzierung unserer Arbeit ermöglichen derzeit 2.500 Spender:innen, die uns regelmäßig unterstützen. Wir laden Sie herzlich ein, dazuzugehören! Schon mit 10 Euro im Monat sind Sie dabei. Gerne können Sie auch einmalig spenden.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Stefan Weidle
    vor 2 Tagen
    Antworten
    Erinnert mich etwas an das gute Bleitetraethyl. Haben Alle noch im Blut, zumindest die von vor 2000.
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!