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Präsidentschaftswahlen in Rumänien

Wendepunkt

Präsidentschaftswahlen in Rumänien: Wendepunkt
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Ausnahmezustand in Rumänien: Die Ereignisse rund um die annullierte Präsidentschaftswahl, in deren erster Runde der Rechtsextreme Călin Georgescu fast ein Viertel der Stimmen gewann, zeigen nicht nur das Potenzial von Fake News und Social Media. Sondern auch die Bedeutung eines starken, unabhängigen Journalismus.

Es ist laut, eine Sirene dröhnt, ein Wagen mit Blaulicht rast an den Demonstrierenden vorbei. Alle sind aufgeregt. Etwa 500 Menschen haben sich am Abend des 27. November in Cluj-Napoca versammelt, Rumäniens zweitgrößter Stadt, und demonstrieren für pro-europäische Werte. Das Land erlebt gerade einen politischen Schock. Die Nachrichten überschlagen sich, überall wird diskutiert und debattiert. Rumänien, ein Land, dessen Bevölkerung gerade beginnt zu verstehen, dass sie tief gespalten ist – ohne es bislang geahnt zu haben.

Am 25. November wählten die Rumän:innen in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen einen rechtsextremen, pro-russischen Kandidaten mit 22,95 Prozent an die Spitze: Călin Georgescu, der bei Umfragen zwischen zwei und fünf Prozent lag und den meisten Rumän:innen unbekannt war, sorgte mit seinem kometenhaften Aufstieg bei jungen, progressiven Menschen für Entsetzen und Unglauben. In Cluj-Napoca ragen Banner mit politischen Botschaften in den Himmel. Die Stimmung ist friedlich, richtige Wut ist nicht zu spüren, die Versammlung wirkt eher wie ein Versuch, gemeinsam die Schockstarre abzuschütteln. Rumänien ist EU- und Nato-Mitglied, der plötzliche Richtungswechsel sorgt für große Verunsicherung.

Georgescu und die Eiserne Garde

Drei Jungs stehen auf einer Mauer und stimmen lautstark einen Sprechgesang an: "O țară ca afară, nu e legionară!" – auf deutsch etwa: "Wir wollen ein Land wie im Westen, ein Land ohne Legionäre". Denn Călin Georgescu sympathisiert offen mit einer faschistischen Bewegung, die 1927 unter dem Namen "Legion Erzengel Michael" gegründet wurde. Sie wurde später als "Eisernen Garde" bekannt. Deren "Legionäre" waren in der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg in verschiedene politische Attentate und Machtkämpfe verstrickt. Während des Zweiten Weltkriegs gingen sie mit dem rumänischen Staatsführer Ion Antonescu ein Bündnis ein, das in einer Militärdiktatur endete. Unter Antonescu war Rumänien von 1940 bis 1944 ein Alliierter Nazideutschlands, 300.000 bis 400.000 rumänische Jüdinnen und Juden wurden ermordet, 25.000 Roma deportiert, viele starben an den Folgen von Hunger, Kälte und Krankheiten. Georgescu bezeichnete Zalea und Antonescu während einer Fernsehsendung als "Helden und Märtyrer" und relativierte deren Gräueltaten.

"Es ist ein absoluter Schock, dass so ein Typ plötzlich das Rennen um die Präsidentschaft anführt", sagt Teodor Preluca, einer der Demonstrierenden. Der junge Softwareingenieur, 1995 geboren, erzählt, er sei 2011 durch die Anschläge des norwegischen Rechtsterroristen Anders Breivik politisiert worden, der 77 Menschen ermordete. Und er sieht Parallelen zwischen Breivik und Călin Georgescu, beide sprächen von "Kulturmarxismus".

"Wir haben mit einer knappen Wahl zwischen Marcel Ciolacu und Elena Lasconi gerechnet." Es kam anders. Ciolacu, derzeit Premierminister und Mitglied der sozialdemokratischen PSD, kam mit 19,1 Prozent auf Platz drei, knapp überholt von Elena Lasconi, Kandidatin der liberalen Oppositionspartei USR. "Georgescu war eine völlige Randnotiz, niemand hat je von ihm gehört", sagt Preluca.

"Recorder", ein angesehenes investigatives Journalistenteam, recherchierte, dass Georgescu bereits in den 1990er-Jahren durch Kontakte zu den mächtigsten postkommunistischen Entscheidern Rumäniens verschiedene Posten in diversen Ministerien bekleidete. 2013 fiel er erstmals öffentlich dadurch auf, als er den Klimawandel einen globalen Schwindel nannte. Preluca nennt Georgescu "eine klassische Figur im postkommunistischen Rumänien. Kurze Amtszeiten in verschiedenen kleineren politischen Positionen, um Diäten abzustauben." Er sei alles in allem ein Typ, der von seinen Kontakten zu der politischen Elite profitiert und abgesehen von seinen kruden Verschwörungstheorien keine weitere Bedeutung gehabt habe.

Die Botschaft ist: Romania First

Das ändert sich drastisch mit der Auszählung der Stimmzettel. Medien fangen an, darüber zu spekulieren, ob eine massive Social-Media-Kampagne für das Wahlergebnis verantwortlich ist. Das bestätigt sich am 4. Dezember: Georgescus überraschende Popularität ist auf eine äußerst gut organisierte Werbekampagne zurückzuführen, die vorwiegend auf der Plattform "TikTok" lief.

In den Clips erscheint Georgescu als väterliche Figur, die Rumänien retten will. EU und Nato beschwört er als Gefahren herauf, die das Land in den Abgrund reißen und Rumänien in einen Krieg gegen Russland verwickeln würden. Er verspricht den Rumän:innen, ausländische Investitionen einzuschränken und nationale Interessen in den Vordergrund zu stellen. "Seine Botschaft ist mehr oder weniger: Romania First", sagt Teodor Preluca.

Der amtierende Präsident Klaus Johannis veröffentlicht einen Bericht des Externen Nachrichtendienstes, der zeigt, dass 25.000 "TikTok"-Konten daran beteiligt waren, Georgescus poltische Botschaften massenhaft zu verbreiten. Der Bericht legt nahe, dass die Kampagne gezielt Mechanismen nutzte, um möglichst viele Likes und Kommentare unter den Videos zu erzeugen. Der Algorithmus der Plattform bevorzugt Inhalte mit vielen Interaktionen, was dazu führte, dass die Videos öfter verbreitet wurden. Ebenso bestätigten rumänische Influencer gegenüber der Nachrichtenseite "Hotnews.ro", bezahlt worden zu sein, um für Georgescu zu werben, ohne die Clips mit der gesetzlich geforderten Kennzeichnung als politische Werbung zu versehen.

Hashtags wie "verticalbalance" und "călingeorgescu" erreichten von September 2024 bis einschließlich November 120 Millionen Aufrufe. Die Reichweite dieser Kampagne lässt auf eine enorme digitale Infrastruktur schließen, ermöglicht durch massive finanzielle Unterstützung, strategisches und technisches Know-how. Dabei behauptete Georgescu, sein Wahlkampfbudget liege bei null Euro. Eine Analyse des unabhängigen Investigativ-Mediums "snoop.ro" ergab, dass die Kampagne mit zwei Millionen Euro durch das digitale Werbeunternehmen "AdNow" mit eindeutigen Verbindungen zum Kreml unterstützt wurde. Statistische Daten der "AdNow"-Plattform verzeichneten allein im vergangenen Monat russische Anzeigen mit 441 Millionen Aufrufen, die auf rumänischen Websites geschaltet wurden.

Die OSZE bestätigte am 5. Dezember, dass rumänische Behörden dabei sind, den russischen Versuch aufzudecken, die jüngsten Präsidentschaftswahlen – in großem Umfang und mit erheblichen finanziellen Mitteln – entgegen den OSZE-Standards zu beeinflussen. Unterdessen steht die Plattform TikTok massiv in der Kritik, die Kennzeichnung von politischen Inhalten, trotz Aufforderung der rumänischen Behörden, nicht durchgesetzt zu haben. Inzwischen reagierte auch die EU-Kommission und forderte TikTok auf, alle Daten bezüglich der Wahl einzufrieren und die Algorithmen transparent zu machen.

"Jeden Tag kommen neue Dinge ans Licht", sagt Prelacu, es sei "der absolute Wahnsinn, was hier gerade passiert". Einige Tage nach der ersten Wahlrunde wurden die Stimmen neu ausgezählt, allerdings ohne, wie sonst üblich, neutrale Wahlbeobachter zuzulassen. "Seit 1989 kämpfen viele Rumänen für eine faire und korrekte Demokratie. In jedem Wahlzyklus hoffen wir auf eine Veränderung, aber am Ende werden immer dieselben Leute von den etablierten Parteien gewählt."

4,4 Millionen Likes für einen Rechtsextremen

Korruption ist dabei eines der zentralen Themen. 2017 und 2018 kam es zu massiven Anti-Korruptions-Protesten, nachdem die Regierung eine Notverordnung erlassen hatte, die das Stehlen von Geldern ab einer bestimmten Höhe straffrei stellte. Hunderttausende demonstrierten, verändert hat sich nichts. Viele Rumänen seien es leid und wählten mit Georgescu gegen dieses System, glaubt Preluca. "Georgescu selbst ist allerdings Teil des Systems, doch durch seine Desinformationskampagne gelang es ihm, viele Wähler davon zu überzeugen, dass er anders ist, eine Alternative." Um klarzumachen, dass das nicht der Fall ist, gehen Preluca und seine Mitstreiter:innen auf die Straße. Es sei ermüdend. Während sie damit beschäftigt seien, mühselig Beweise und Belege für Falschnachrichten zu sammeln, produziere die andere Seite in hohen Schlagzahl immer weiter Fake News.

Die aktuellen Entwicklungen in Rumänien reihen sich in einen weltweiten Trend ein, rechte Ideologien verfangen gerade in vielen Ländern. In Deutschland, wo am 23. Februar Bundestagswahlen anstehen, benutzt die AfD ähnliche Methoden wie Georgescu in Rumänien: Mithilfe von "TikTok"-Konten hat sie 2024 bereits in den Europa- und drei Landtagswahlen starke Stimmengewinne erzielt. In Baden-Württemberg wirbt der AfD-Landtagsabgeordnete Miguel Klauß besonders erfolgreich um junge Menschen. Sein Konto hat 357.000 Follower, 4,4 Millionen Likes hat er inzwischen gesammelt. Momentan verlost er einen Adventskalender mit dem Titel "Die 12 schönsten Abschiebeflieger". Wie wichtig es ist, eine Debatte über den Einsatz von Sozialen Medien in Wahlkämpfen zu führen, haben nun die Wahlen in Rumänien noch einmal besonders drastisch gezeigt.

Am 8. Dezember sollte die Stichwahl zwischen Georgescu und der Liberalen Elena Lasconi stattfinden, doch zwei Tage zuvor erlebt Rumänien noch ein politisches Erdbeben: Das rumänische Verfassungsgericht CCR annulliert am 6. Dezember in letzter Sekunde die Wahlen und kündigt für das Frühjahr 2025 Neuwahlen an. Grundlage dieser Entscheidung sind Geheimdienstberichte, die eine schwerwiegende Einflussnahme Russlands nachweisen. Eine Entscheidung, die auch im neu gewählten Parlament kontrovers aufgenommen wird. In all dem Chaos und zwischen den zwei Runden der Präsidentschaftswahlen wählten die Rumänen am 1. Dezember ein neues Parlament. Mit herben Verlusten, aber wiederholt als stärkste Kraft mit 22 Prozent, begrüßte der aktuelle sozialdemokratische Premierminister Ciolacu die Entscheidung des Gerichts. Es sei "die einzig richtige Lösung".

Elena Lasconi hingegen, die gegen Georgescu in der Stichwahl angetreten wäre, bezeichnet die Entscheidung als rechtswidrig und unmoralisch, spricht gar davon, dass die Demokratie in Rumänien "mit Füßen getreten" wurde. George Simion, Parteivorsitzender der rechtspopulistischen AUR – mit 18 Prozent zweitstärkste Kraft im Parlament –, bezeichnet die Annullierung als einen Putschversuch der etablierten Parteien. Die zwei neuen Parteien im Parlament, die rechtsnationalistische S.O.S. und POT – auch Rechtsextreme –, jeweils mit 7,4 Prozent und 6,5 Prozent gewählt, stimmen in den rechten Kanon mit ein.

"Ja, das System ist teilweise kaputt, diese Wahlperiode hat das ziemlich klar gemacht", resümiert der Demonstrant Teodor Preluca. Was sagt er als Vertreter des jungen, progressiven Rumäniens zur Annullierung der Wahlen? "Es kann die richtige Entscheidung gewesen sein, das wird sich aber noch zeigen müssen." Er räumt ein, dass an der Kritik, die Regierungspartei PSD sei aus eigenem Interesse maßgeblich an der Entscheidung beteiligt gewesen, etwas dran sein könnte. Doch die Beweislast der russischen Einflussnahme sei so erdrückend gewesen, dass etwas habe geschehen müssen. "Meiner Meinung nach ist Demokratie nicht nur eine Idee, sondern ein Prozess, der Richtlinien und Gesetzen unterliegen muss", betont Preluca. "Und wenn ein Kandidat sie derart verletzt und deshalb gewählt wird, darf der Prozess gestoppt und neu bewertet werden."

Die Bedeutung von unabhängigem Journalismus

Rumänische Journalist:innen haben in den vergangenen zwei Wochen Tag für Tag Recherchen vorantrieben und neue Erkenntnisse publiziert. Medien wie "Snoop", "Recorder", "Euronews" und "Context" haben die Bevölkerung informiert und einen so hohen öffentlichen Druck aufgebaut, dass Politiker im In- und Ausland reagieren mussten. Ein Wegschauen war nicht mehr möglich. Dabei legten sie nicht nur offen, wie es einem bislang unbekannten Extremisten unter Einflussnahme Russlands gelang, eine Wahl zu drehen, sondern auch eine tatsächliche Spaltung innerhalb Rumäniens.

Rumänien ist ein Land, das durch Subventionen der EU ökonomisch in den letzten Jahren prosperierte, aber auch ein Land, in dem 34 Prozent an der Armutsgrenze leben und nicht am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben. Junge Menschen ziehen auf der Suche nach besseren Perspektiven in den Westen, mit vier bis fünf Millionen Menschen im Ausland hat Rumänien die drittgrößte Diaspora in Europa.

Georgescus Kampagne dockte an der Unzufriedenheit der Menschen an und weckte diffuse Ängste. Und sie machte auf frappierende Weise deutlich, was für enorme Mobilisierungseffekte Social-Media-Kampagnen haben können. Im Zeitalter der Informationskriege sind wir alle aufgerufen, wachsam zu bleiben und unabhängige Medien zu unterstützen. Zugleich zeigte sich in Rumänien die Bedeutung eines starken, unabhängigen Journalismus, nicht nur als eine wesentliche Säule der Demokratie, sondern auch, weil er ermöglicht, die Bedürfnisse und Zusammenhänge innerhalb einer Gesellschaft besser zu verstehen.


Lukas Braun studiert seit einem Jahr in Rumänien an der Babeș-Bolyai-Universität in Cluj-Napoca, der zweitgrößten Stadt Rumäniens. Er macht dort seinen Master im Fach Dokumentarfilm. Teodor Preluca, geboren 1995, arbeitet als Softwareingenieur in Cluj-Napoca.

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3 Kommentare verfügbar

  • Peter Nowak
    am 17.12.2024
    Antworten
    Finde es auch einen Wendepunkt, wenn in bürgerlichen Demokratien Wahlen auf Grund von unbewiesenen Behauptungen annulliert werden.

    Es darf ja nicht vergessen werden, dass das Verfassungsgericht eine Woche vor der Wahl eine Neuauszählung vorgenommen und eine mögliche Annullierung diskutiert hat -…
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