Trotzdem gibt es in der Politik bis heute offiziell keine Klimaflüchtlinge. Als Begründung wird darauf hingewiesen, dass sie nicht in das Raster der Genfer Flüchtlingskonvention passen. Anerkannte Flüchtlinge sind demnach Menschen, die verfolgt werden aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung. Klima kommt in diesem Kanon nicht vor. Zwar sagt zum Beispiel UN-Generalsekretär Antonio Guterres, dass die Erderhitzung den Wettstreit um Ressourcen wie Wasser, Nahrungsmittel und Weideland weiter verschärfen werde. Dennoch verhallt die Forderung, den Klimawandel endlich als Fluchtgrund anzuerkennen, ungehört.
Wie das Leben der Betroffenen aussieht, zeigte sich bereits vor einem Jahrzehnt am Rande der nigerianischen Hauptstadt Niamey. Auf einem staubigen und mit ein paar Sträuchern bewachsenen Stück Land nahe einer der Hauptverkehrsadern hatten sich mehr als 200 Familien niedergelassen. Auch Hama Harouna gehörte dazu. Zusammen mit seiner Frau und sechs Kindern war der 36-Jährige wegen einer schweren Dürre in der Sahelregion geflohen, so wie viele andere auch im Lager.
Harouna erzählte, dass es in dem Dorf, in dem sie lebten, nichts mehr zu essen gab. Seit Monaten hatte es nicht mehr geregnet. "Wegen der Trockenheit ist das Getreide auf den Feldern vertrocknet. Wir konnten nichts mehr ernten." Als die Vorräte zu Ende gegangen sind, ist Harouna mit seiner Familie in die Hauptstadt gekommen, wo er in einer Hütte aus Ästen und Stoff lebt. Die Kinder konnten nicht mehr zur Schule gehen. Die Männer lebten vom Verkauf von Trinkwasser, die Frauen versuchten, mit Hausarbeit etwas Geld zu verdienen.
Neun Monate ohne Regen
In der Sahelregion fällt die Ernte wegen Trockenheit in vielen Gegenden immer wieder ganz aus. Schon vor zehn Jahren hieß es, dass es mal wieder zu wenig geregnet habe. "Deshalb sind unsere Viehherden immer kleiner geworden", erläuterte damals Boubacar Oumarou. Der 54-Jährige war Sprecher des Vertriebenencamps in Niamey. Auf die Frage, ob sie eines Tages in ihre Dörfer zurückkehren könnten, zuckte er mit den Achseln. Auch wenn es regnen würde, wäre es schwierig. Sie haben kein Saatgut, keine Werkzeuge und kein Vieh mehr. Es sind Aussagen, die bis heute wiederkehren, allerdings in immer kürzer werdenden Abständen.
Vor zehn Jahren hatte es neun Monate lang nicht regnet. Wegen der verheerenden Dürre ist die letzte Ernte fast ganz ausgefallen. Insekten hatten den Rest vernichtet. Besonders betroffen waren die Menschen im Niger, in Burkina Faso oder im Tschad. Immer wieder gibt es dort Dürren. Aber keine sei bislang so schlimm gewesen, sagte damals Adama Djibrilla. Der 75-Jährige war einer der Dorfältesten in Boulo Koogo im westlichen Niger. Hier sieht man deutlich, wie sich die Wüste stetig ausdehnt. Der Menschenrechtsaktivist Idrissa Ali sieht darin eine Folge des Klimawandels. Immer weniger Niederschläge habe es in den vergangenen Jahren gegeben, sagt er 2012. An den Wasserstellen gebe es nur noch zwei bis drei Monate Wasser anstatt sechs Monate wie früher.
Die Dürre hat dramatische Folgen für die Lebensbedingungen in den betroffenen Regionen. So haben sich im tschadischen Dorf Katambargui die Frauen mit Hacken und Körben aufgemacht. Sie suchen den Boden in der Umgebung des Dorfes ab. Wenn sie einen Ameisenbau entdecken, hacken sie die Erde auf und plündern die Vorratskammern. Die Samen, die die Tiere gesammelt haben, werden zu Mehl gemahlen. Die Ausbeute ist nicht groß. Oft dauert es über einen Tag, bis sie etwas finden. Die Menschen ernähren sich inzwischen auch von Brei, den sie aus Blättern kochen, oder von Heuschrecken.
Warum bleiben? Wenn sie fliehen, vegetieren sie recht- und schutzlos dahin, wie die Menschen am Rande von Niamey. Oder die Familien treten den lebensgefährlichen Weg nach Europa an oder schicken einen der Söhne auf die Reise. Das sind Menschen, die abschätzig als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet werden, obwohl sie Folgen ausbaden, die großenteils von den reichen Industrienationen zu verantworten sind. Aber gegen die Folgen konsequent vorzugehen, dazu fühlen sich diese nicht wirklich verpflichtet.
Inzwischen kommt die Trockenheit alle zwei Jahre
Annalena Baerbock hat bei ihrem Besuch im Niger darauf hingewiesen, wie der Krieg in der Ukraine und die dadurch ausgelöste Verteuerung der Getreidepreise durch Lieferausfälle und Lieferstopps zu einer explosiven Lage führen. Früher hat es laut Baerbock alle zehn Jahre eine Dürre in der Region gegeben, mittlerweile aber alle zwei. Dies treibe die Lebensmittelpreise in unglaubliche Höhen und nehme den Menschen in der Sahel-Region den Raum zum Leben, sagte die Ministerin. Dazu kämen die Extremisten im Land: Islamistische Terrormilizen haben Niger als Rückzugsgebiet auserkoren.
1 Kommentar verfügbar
Schmiddi
am 01.05.2022...wenn das Gute liegt so nah. Wie wäre es denn mit Bewässerung und Solarprojekten in der Sahelzone, anstatt alle ins kalte Deutschland zu holen. Israel schafft es mit recht wassereffizienten Techniken selbst in der Negev Pfirsichplantagen anzulegen, in Be'er Sheva…