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Papst und Beißschrecken

Papst und Beißschrecken
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Halleluja. Benedikt XVI. besucht Freiburg, und mehr als 100 000 Pilger werden erwartet. In der Studentenstadt herrscht jedoch eine ungeahnte Proteststimmung ob der teuren Vorbereitungen auf Kosten des Steuerzahlers. Dass der Münsterplatz einen anderen Belag bekomme, nur damit das Gebiss des Oberhaupts der katholischen Welt nicht klappere, erweist sich jedoch als böses Gerücht. Und die riesige Papstbühne auf dem Flugfeld wird die Braunfleckige Beißschrecke, eine seltene Insektenart, auch kaum beeinträchtigen.

Nicht ganz Freiburg zeigt dem Papst die Kehrseite – wie dieser Wasserspeier am Münster. Aber der Protest erreicht ungeahnte Dimensionen.

"Das ist ein freies Land!", brüllt ein Passant in grasgrüner Windjacke, wild gestikulierend und mit vor Zorn rotem Kopf. Er zeigt auf den Aktionsstand von "Freiburg ohne Papst". Es ist Samstag, eine Woche vor dem Papstbesuch. "Wegsperren sollte man die", giftet er und schreit "Pack" und "Unverschämtheit", so voller Inbrunst, dass ihm fast die Halsschlagader platzt. Albrecht Ziervogel steht neben seinem Stand und grinst. Dann sagt er: "Genau."

Albrecht Ziervogel, 71 Jahre alt, Sozialarbeiter und Jurist im Ruhestand, ist der Sprecher und Initiator der Initiative "Freiburg ohne Papst". Er ist schwul, trägt bunte Kettchen am Arm und weiße Bartstoppeln zwischen den Gesichtsfalten und hat einen unschlagbar amüsanten Sarkasmus. Auf seinem T-Shirt ist das Freiburger Münster zu sehen, der Glockenturm steckt in einem rosaroten Kondom. "Hat für Aufregung gesorgt", sagt Ziervogel, zupft an seinem Shirt und sieht dabei sehr zufrieden aus. Ein Münster mit Gummi, so was gab's in der Stadt von Erzbischof Robert Zollitsch noch nie.

Das Bündnis "Freiburg ohne Papst" ist ein Zusammenschluss von Initiativen, Vereinen, Frauen und Männern, die gegen den Papstbesuch in Freiburg protestieren. Die Stadt mache ein Riesen-Halligalli um den "ersten" Papstbesuch, sagt Ziervogel und macht eine gewichtige Pause. "Als würde der jetzt dauernd herkommen." Dann rattert er die gesamte Palette aller Anti-Papst-Argumente herunter, die seine Initiative sich auf die Fahnen geschrieben hat: Der Papst samt seiner Kirche sei frauenfeindlich, demokratiefeindlich, schwulen- und lesbenfeindlich sowieso, habe ein schon von Anbeginn tief sitzendes Misstrauen gegen alles Sexuelle, sei nicht bereit, die Missbrauchsfälle anständig aufzuarbeiten und sei – vor allem – verdammt teuer.

"Heidenspaß statt Höllenangst"

Ziervogel sticht mit seinem Zeigefinger in Richtung einer Tafel, die auflistet, wie viel Geld regelmäßig vom Staat für die Kirche abgestellt werde: In der Summe 19 290 000 000 Euro. Mehr als 19 Milliarden für Religionsunterricht, Militärseelsorge, Kirchenbaulasten und so weiter, Stand 2009, gezahlt auch von Muslimen, Buddhisten, Atheisten, kurz – vom Steuerzahler.Benedikt XVI. lächelt selig aus einem Portal des Münsters. Die Marktfrauen müssen leider vom Münsterplatz weichen, wenn der Papst kommt. Dabei sei der Vatikan selbst milliardenschwer, bezahle aber nicht mal die 30-Millionen-Euro-Deutschlandreise seines Chefs selbst und lasse dann auch noch die Klimperkasse rumgehen für den "Benedikt-Ostafrika-Fond". Zur Rettung der Dritten Welt müssten also wieder die Schäfchen ran. "Weltmission zum Nulltarif." Ziervogel schnaubt, schiebt kämpferisch das Kinn nach vorne und rudert theatralisch mit den Armen. Halleluja.

Der Papst kommt also am Wochenende nach Deutschland. Zuerst nach Berlin, dann nach Erfurt, dann nach Freiburg. Das freut zwar viele, aber viele auch nicht. In Berlin hat das Bündnis "Der Papst kommt" zur erhofft 10 000 Mann und Frau starken Gegendemo aufgerufen. "Heidenspaß statt Höllenangst" heißt die Anti-Papst-Vereinigung in Erfurt, und in der Freiburger Kaiser-Joseph-Straße herrscht eine Woche vor dem Papstbesuch geballte Anti-Stimmung.

Vor dem Basler Hof stehen Ziervogel und Konsorten, gegenüber die Evolutionären Humanisten mit grünen Anti-Papst-Faltblättern, ein paar hundert Meter weiter vorne Die Linke. Die prangert den "Kreuzzug" der Kirche gegen den Islam an, das Minarettverbot in der Schweiz und vor allem die Rehabilitation des Holocaust-Leugners Williamson, eines Bischofs der Pius-Bruderschaft. Das sei ein Riesenskandal gewesen, sagt Daniel Anton spitz, den Papst scheine das aber nur wenig gekümmert zu haben. Anton trägt einen schwarzen Vollbart, der ihn selbst ein bisschen wie einen jungen Jesus aussehen lässt, passend dazu ein T-Shirt, auf dem selbiger mit Heiligenschein gekrönt auf einem Dinosaurier reitet.

Die Linke hat sich ein paar Aufkleber drucken lassen: gelbe Straßenschilder, auf denen "Benedikt 16" steht, durchgestrichen. Geklaut. Zugegeben. Aber passend, findet Anton.

Protest, als komme Muammar al-Gaddafi persönlich

Der Trend zur Bürgerinitiative hat auch vor der Studentenstadt im Breisgau nicht haltgemacht, und deshalb ist Freiburg derzeit so gespalten wie Stuttgart nach dem Stresstest-Desaster. Allein die Leserbriefe in der "Badischen Zeitung" lesen sich, als komme nicht der Papst vorbei, sondern Muammar al-Gaddafi persönlich. Das Schlimmste: Benedikt XVI. soll sich in das Goldene Buch der Stadt eintragen. 4000 Unterschriften hat die Initiative "Freiburg ohne Papst" in den vergangenen Monaten gesammelt, damit man dem Papst das verwehrt.

"Eine absurde Forderung", findet Walter Preker, der Pressesprecher von Freiburgs Oberbürgermeister Dieter Salomon. Ein Eintrag ins Goldene Buch bedeute ja nicht, dass die Stadt zu hundert Prozent hinter der Einstellung der jeweiligen Person stehe. "Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass ein hochrangiger Gast da reinschreibt", sagt er. Und der Papst sei eben die hochrangigste Persönlichkeit seit Kaiser Maximilian, der 1498 auch mal in Freiburg war. Außerdem habe sich kürzlich der Großmufti von Syrien eingetragen, da habe sich auch keiner aufgeregt.

"Wo Gott ist, da ist Zukunft", lautet das Motto der päpstlichen Deutschlandreise. Welche Zukunft vor der zwischen konservativem Werteerhalt und Modernisierung zerstrittenen katholischen Kirche liegt, darüber lässt sich trefflich streiten. Einig sein kann man sich aber darin: Wo der Papst ist, wird's zumindest voll. Gestopft, wie eine Weihnachtsgans. 107 000 Pilger haben sich alleine zur Messe auf dem Flugplatz angekündigt, die Freiburger Hotels werden überbelegt sein. Wer nicht mindestens am Freitagabend anreist, wird im Umkreis von geschätzten fünfzig Kilometern keinen Parkplatz mehr finden.

Am Münsterplatz darf kein Anwohner ans Fenster

Zur päpstlichen Sicherheit hat die Stadtverwaltung deshalb Zonen eingerichtet, die auf ausladenden Schildern an Freiburgs Straßenrändern erklärt werden. Die grüne Zone, die gelbe, und die rote – vom Amtsgericht rund um die Kaiser-Joseph-Straße bis zum Münster.

Die Innenstadt ist abgesperrt, das bedeutet keine Bestuhlung für Cafés, keine Schilder für den Einzelhandel, ab fünf Uhr morgens dürfen hier keine Fahrräder mehr geparkt sein, und ohne Ausweis kommt sowieso keiner durch die Absperrungen. 4000 Einsatzkräfte der Polizei sind für die Sicherheit des Papstes zuständig. Der Papst wird als Staatsoberhaupt des Vatikans vom Bundeskriminalamt (BKA) bewacht, das Landeskriminalamt (LKA) kümmert sich um Terroristen und Anschlagsplaner. Sogar Atilla S., ehemals Mitglied der Sauerlandgruppe, derzeit auf Bewährung in Freiburg, muss die Stadt am Wochenende verlassen. Die Flüge für die Transplantate der Freiburger Uniklinik werden auf die Flughäfen Lahr, Bremgarten und Basel verlegt, der Himmel über Baden-Württemberg wird ganz besonders streng überwacht – falls da was passiert, starten zwei Kampfjets und holen jeden ungebetenen Gast binnen Minuten vom Himmel. Die Gullideckel sind zugeschweißt, ein Möbelhaus gleich neben dem Flugfeld hat geschlossen.

Kitsch verkauft sich jetzt unheimlich gut. Da wird der Papst zum Teddybären.

Die Achillesferse sei der Münsterplatz, sagt Marco Toll, der Sprecher des Polizeisonderkommandos "Besondere Aufbauorganisation Mitra". Denn dort steigt der Papst aus seinem Papamobil, und deshalb darf dort kein Anwohner das Fenster aufmachen. Worst Case: "Ein Terroranschlag, ein Psychopath", sagt Marco Toll. "Und hoffentlich fährt der Benedikt mit seinem Papamobil nicht ins Bächle", die Wasserrinne in der Freiburger Fußgängerzone. "Das wäre unschön."

Die Braunfleckige Beißschrecke ist der Juchtenkäfer Freiburgs

Ein Jenseits-Zinnober sei das, sagt ein Freiburger Bürger. Er steht im Münsterladen und kauft eine CD mit Dommusik. Er werde wegbleiben, grade aus Protest, sagt er und verdreht die Augen. Die Sicherheitsvorkehrungen nervten, das ganze Tamtam, und um die Braunfleckige Beißschrecke kümmere sich ja auch keiner mehr.

Die Braunfleckige Beißschrecke ist – wie der Juchtenkäfer in Stuttgart – eine seltene Insektenart, prima geeignet, um Großprojekte zu behindern wie den Bau der neuen Freiburger Messe vor ein paar Jahren. Gott sei Dank liegt nur ein kleiner Teil des Wohnzimmers der Beißschrecke dort, wo der Papst sich seine Bühne hat hinbauen lassen.

Diese Bühne steht am Samstag schon – rechts eine Musikbühne, links der Altar, drum herum 5000 Papstbänke aus heimischem Tannenholz (für 410 Euro nach dem Papstbesuch zu erwerben), und in der Mitte drängen sich Ansammlungen blauer Dixiklohäuschen für die weltlichen Geschäfte der Besucher des Vertreters Christi auf Erden.

Hartnäckig hielt sich das Gerücht, das Asylbewerberheim am Flugfeld habe irgendwer mit Folie verkleiden wollen, damit Freiburg im Fernsehprogramm der katholischen Weltglaubensgemeinschaft schön sauber aussehe. Das sei eine Ente, sagt der Sprecher des Bürgermeisters. Ebenfalls ein Gerücht sei, dass der Münsterplatz einen neuen Bodenbelag bekomme, damit das Gebiss von Benedikt nicht klappere, oder die Geschichte mit der überlebensgroßen Büste des Heiligen Vaters im Eingang des Münsters. "Die Kirche ist ein Ort Gottes, da gibt es keine Papstbüsten", sagt Georg Auer, der Pressesprecher der Erzdiözese, etwas pikiert. "Wer hat denn so was erzählt?"

Papst-Tassen, Papst-Leuchtkerzen, aber kein Papst-Fingerhut

Ob es auch Papst-Fingerhüte zu kaufen gebe, fragt eine Kundin in strahlend rosaroter Windjacke und mit goldenen Ohrringen an der Kasse des Münsterladens. Für den Setzkasten zu Hause. Ob sie schon am Papst-Merchandising-Stand hinter dem Münster gewesen sei, fragt der Verkäufer zurück. War sie. Da gibt es zwar Papst-Tassen, Papst-T-Shirts, Papst-Kerzen, Papst-Kühlschrankmagnete, Papst-Leuchtkerzen aus Plastik, Papst-Foto-Kalender, aber keinen einzigen Fingerhut.

Wenn der Papst schon mal da ist, dann gehen viele auch hin. Sie werden das schließlich nicht noch mal erleben.

Die Frau in Rosa ist eine treue Katholikin und freut sich sehr auf den Heiligen Vater. Sie sei schon dreimal in Rom gewesen, das habe sie in ihrem Glauben bestärkt, sagt sie. Was da gelaufen sei mit dem Kindesmissbrauch, sei natürlich nicht vertretbar. "Das darf nicht sein." Aber wenn der Papst schon mal da sei, müsse man da auch hingehen, sagt sie. "Das erlebe ich nicht mehr."

Währenddessen hängt ein Techniker im Münster Flachbildschirme um die Säulen mit den Jüngern. Vier für Johannes, drei für Petrus, drei für Markus, damit auch die letzte Reihe den Papst in High Definition sehen kann. Ob das eine besondere Aufgabe ist? "Ne", sagt der Techniker. Er habe in seinem Leben schon drei Papstbesuche verkabelt, immer dasselbe. "Der kommt, dann geht er wieder", sagt er. Draußen singen die Domsingmädchen von der Mädchenkantorei in höchsten Tönen die Messe in A-Dur von Joseph Gabriel Rheinberger. Außer den Leuten vom BKA und den Ministranten sind sie dem Papst bei der Messe am nächsten. Dreimal die Woche proben sie seit Neuestem, jeweils drei Stunden lang. Für den Papst zu singen sei natürlich eine große Ehre, erzählen sie.

Weniger geehrt fühlen sich die Marktfrauen auf dem Münsterplatz. Kürzlich sei das Weinfest gewesen, dann noch der Wissenschaftsmarkt und jetzt auch noch der Benedikt, sagt Erika Franka von der "Münsterblume". "Nichts gegen den Papst", aber der Samstag sei halt der verkaufsstärkste Tag in der Woche. Und in der vergangenen Zeit seien sie eben zu oft mit ihren Ständen auf den Kartoffelmarkt ausgelagert worden. Dort dürfe man nur drei Meter aufbauen und keinen Hänger mitbringen. "Es kommt doch keiner, wenn die Kundschaft nicht weiß, wo wir sind", sagt sie. Drum herum stehen Gerbera in Gelb und Rosa, duftende Rosen in Wassereimern und strahlend blaue Hortensien.

Der Markthändler rät zu mehr Gottvertrauen

Ein paar Meter weiter wartet Paul Hettich auf Kundschaft. Seit 30 Jahren kommt er mit seinem Gemüsestand auf dem Markt, grauer Schnauzer, grüne Hosenträger über dem braun karierten Hemd. Das sei alles kein Weltuntergang, sagt er, und stapelt eine Kiste Pfifferlinge auf eine andere. "Aber was einen schon nervt, sind die ganzen Leute, die da dauernd rumstiefeln." BKA, Delegationen aus Rom, Leute, die Mülleimer abmontieren. "Alles, damit dem Papst nichts passiert", sagt er und grinst spitzbübisch. Dabei dürfe man beim Papst ja wohl davon ausgehen, dass er eine kurze Leitung zu "dem da oben" habe. Und wenn der finde, nun reicht's mit Benedikt, dann wäre es ja fast schon Gotteslästerung, einen Gulli zuzuschweißen. Hinter ihm verstreut Benedikt der XVI. auf einem Riesenplakat über dem Münstereingang sein seliges Lächeln.

Albrecht Ziervogel steht noch immer vor dem Basler Hof. Neben ihm eine Passantin, Hildegart, die erzählt, wie die katholische Kirche ihr Leben zerstört und sie zum Natur-Spiritualismus gebracht habe. Nun umarme sie Bäume. "Schön", sagt Ziervogel, weil er nicht weiß, was er sonst darauf antworten soll.

Manchen in Freiburg lässt das ganze Tamtam kalt. Hauptsache, man hält seine Füße ins kühle Bächle.

Kürzlich, erzählt er, als die Frau fort ist, habe ihm einer eine Nachricht auf den Anrufbeantworter gesprochen. "Sind Sie das dumme Arschloch, das so sehr gegen die Papstsache wettert?" Ziervogel lacht. Am Samstag wird der Papst mit seinem Papamobil durch die Freiburger Fußgängerzone rollen, wird Albrecht Ziervogel seinen Stand am Rathausplatz aufbauen. Zwei Tische, vier Stellwände und einen Sonnenschirm gratis von der Stadt genehmigt, weil die sich nicht nachsagen lassen will, man würde hier die Meinungsfreiheit unterdrücken.

Freiburg sei ja sowieso protestgestählt, sagte der Oberbürgermeister Dieter Salomon vor ein paar Tagen der "Badischen Zeitung". "Hier kann man keinen Zebrastreifen bauen, ohne dass einer protestiert. Warum sollte es beim Papst anders sein?"


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1 Kommentar verfügbar

  • peterwmeisel
    am 21.09.2011
    Antworten
    "much a do about nothing" (Shakespeare). In der Bibel habe ich die Kirche nicht gefunden. Auch keinen Papst. Es gibt dort den demokratischen Begriff "ecclesia" (gr.). Das bedeutet aber Volksvertretung!
    Kein Wunder, daß Hans Küng sich fragt: "IST DIE KIRCHE NOCH ZU RETTEN?" Was uns fehlt, außer…
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