Doch was sagt die örtliche Wirtschaft zu Megastaus und Schneckentempo, verpassten Anschlüssen und verspäteten Mitarbeitern? "Nur mit einem hohen Maß an Mobilität können Wirtschaftsstandorte heute erfolgreich sein. Die Region Stuttgart mit ihren exportorientierten Unternehmen kann ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit für die Zukunft nur dann sichern, wenn die notwendige Verkehrsinfrastruktur mit den Anforderungen der gewerblichen Wirtschaft Schritt hält", heißt es in einem Positionspapier der Stuttgarter Industrie- und Handelskammer (IHK). Doch Kritik am Bahnprojekt Stuttgart 21 ist damit nicht gemeint. "Mit dem kompletten Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofes und dem Ausbau der Schnellbahntrasse nach Ulm (Stuttgart 21) wird bis zum Jahr 2019 ein wichtiger Meilenstein zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes im europäischen Wettbewerb realisiert werden", lobpreist die IHK das Megaprojekt auf ihrer Website, auch wenn das Fertigstellungsdatum längst Makulatur ist. Während einer IHK-Sondersitzung am vergangenen Dienstag wurde eine Diskussion über Behinderungen des Einzelhandels in der Stuttgarter Innenstadt durch Baumaßnahmen durch trickreiche Geschäftsordnungsanträge unterbunden.
Stuttgarts Staus kosten jährlich knapp eine Milliarde
Dabei generieren Stau- und Stopp-and-go-Verkehr enorme volkswirtschaftliche Schäden. "Verkehrsstaus verursachen für Haushalte in den 22 größten deutschen städtischen Gebieten pro Jahr 7,5 Milliarden Euro zusätzliche Kosten – das sind 509 Euro pro Haushalt, die durch direkte und indirekte Staukosten entstehen", beziffert eine aktuelle Studie vom Centre for Economics and Business Research (Cebr) die wirtschaftlichen Folgen. Die Forscher haben auch den Schaden im Großraum Stuttgart untersucht, wo werktäglich fast eine Million Menschen mit dem Auto zur Arbeit fahren.
Das Ergebnis ist vernichtend: Stuttgarter verbringen im Schnitt jedes Jahr mehr als 59 Stunden im Stau. Autofahrern entstehen so etwa eine Milliarde Euro direkte und indirekte Kosten – das sind etwa 981 Euro pro Stuttgarter Pendlerhaushalt im Jahr und damit fast doppelt so viel wie im bundesweiten Durchschnitt. Höhere Lebenshaltungs- und Betriebskosten führen dazu, dass die Kosten für Arbeitsstunden in der baden-württembergischen Landeshauptstadt ebenfalls höher als im großen Rest der Republik sind, so die Cebr-Forscher.
Staus werden damit zum Standortnachteil. Die Gefahr wächst, dass Firmen und Unternehmen Stuttgart den Rücken kehren. Namhafte Konzerne verlassen bereits die Landeshauptstadt: Die Wirtschaftsprüfer von Ernst & Young geben ihren Standort im Stuttgarter Norden in direkter Nachbarschaft zu einem S-Bahn-Halt auf und beziehen außerhalb des Stadtgebiets am Flughafen einen Neubau. Und der französische Technologiekonzern und Bahnausrüster Thales wechselt von Stuttgart-Zuffenhausen auf die grüne Wiese nach Ditzingen, Autobahnanschluss inklusive. Zahlen bestätigen den Trend: Zwischen 2009 und 2012 registrierte Stuttgart ein negatives Wanderungssaldo bei Firmenumzügen (minus 115), während die Region insgesamt mehr Zu- als Wegzüge verzeichnete.
Trotz Bauboom schwächelt der Arbeitsmarkt
Stuttgarts Wirtschaftsförderin Ines Aufrecht sieht alles weniger dramatisch. "Wegzüge sind immer der mangelnden Flächenverfügbarkeit anzulasten", sagt sie. Stuttgart habe die geringste Leerstandsquote deutscher Großstädte bei Büroflächen. "Wenn also Unternehmen Stuttgart verlassen, so folgt eine Kompensation durch andere Unternehmen, sonst hätten wir sicher mehr Leerstand", argumentiert Aufrecht. Im Fall Thales seien die geforderten Flächen kurzfristig nicht verfügbar gewesen.
30 Kommentare verfügbar
Jörg Krauß
am 28.02.2014