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Streit um Nationalpark Schwarzwald

"Das sind AfD-Methoden"

Streit um Nationalpark Schwarzwald: "Das sind AfD-Methoden"
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Die Vergrößerung des Nationalparks Schwarzwald ist ein zentrales Versprechen der grün-schwarzen Landesregierung. Weil aber wieder heftiger Widerstand geschürt wird, hängt die Umsetzung des Vorhabens am seidenen Faden. Die Union ist gespalten.

Eines immerhin ist Peter Hauk (CDU) zugute zu halten: Der baden-württembergische Landwirtschaftsminister und studierte Förster kämpft, zumindest auch, mit offenem Visier. Er werde "um jeden Hektar kämpfen, den ich nicht mehr erweitern muss, als ich unbedingt erweitern muss", sagte er im vergangenen Herbst im SWR-Podcast zum angestrebten Lückenschluss zwischen dem bisher in einen Nord- und einen Südteil getrennten Nationalpark Schwarzwald.

Bemerkenswert ist das Datum der Aufzeichnung: 17. Oktober 2024, nur wenige Tage bevor Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) seine Einigung mit dem CDU-Landes- und Fraktionschef Manuel Hagel zu einem komplizierten Flächentausch und damit zur Erweiterung des Nationalparks bekannt gab. Selbst danach hat Hauk seine Anstrengungen nicht eingestellt, ganz im Gegenteil. Und bisher lässt Hagel ihn gewähren.

Grob betrachtet geht es um ein Gebiet zwischen der B462 von Rastatt nach Baiersbronn im Raum Hundsbach, einer Teilgemeinde von Forbach und Schönmünzach, das zu Baiersbronn gehört, sowie der B500, der Schwarzwaldhochstraße. Ursprünglich konnten die Naturschutzverbände, die Befürworter:innen des Nationalparks und die vielen begeisterten Touristiker:innen auf insgesamt rund 3.000 zusätzliche Hektar hoffen. Inzwischen sind die auf weniger als die Hälfte geschrumpft und könnten noch weniger werden.

Den Grünen den Erfolg nicht gönnen

Viel Prestige ist im Spiel. CDU-Politiker:innen vor Ort und im Landtag wollen den Grünen den Erfolg nicht gönnen. Und sie haben ganz andere Vorstellungen davon, wie an das Thema herangegangen werden sollte. Hauk bekennt sich dazu, mit den Augen des Försters durch den Wald zu gehen ("Grün ist einfach toll – also, nicht die Partei"). Er schaue, ob ein Stück gepflegt ist und ob "da jemand drinnen war", um aufzuräumen.

Hart und schwierig

In vielen Regionen Deutschlands ist der Begriff „Nationalpark“ erst einmal ein Aufregerthema. In NRW hat die schwarz-grüne Landesregierung versucht, einen zweiten Park durchzusetzen, bis die Bürger:innen im Kreis Kleve mit 52 Prozent Nein-Stimmen im vergangenen Herbst auch die letzte von sechs Optionen abgelehnt haben. Von den beiden Standorten in Bayern ist der erste im Bayerischen Wald 1970 gegründet und vor fast 20 Jahren auf das Doppelte seiner Fläche ausgeweitet worden. Die CSU stand hinter den Vorhaben. In Baden-Württemberg geht die 2014 erfolgte Einrichtung auf den ersten Umweltminister Erwin Vetter (CDU) und die 1990er-Jahre zurück. Vetter hatte sich, wie andere Parteifreund:innen, darunter Günther Oettinger, von Anfang an hinter die Idee der damals grün-roten Landesregierung gestellt, die Pläne wieder aufleben zu lassen.

Der Lückenschluss im Schwarzwald ist kompliziert, weil abhängig von einem Gebietstausch zwischen Flächen der Murgschifferschaft und Flächen im Staatswald. Neben der Wertfeststellung geht es auch um den Verkauf der Landesanteile an der ins Mittelalter zurückreichenden Genossenschaft. Die Gespräche seien „hart und schwierig“, erklärte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) vor der Sommerpause, er sei aber optimistisch. „Der rechtssichere Übergang in das Eigentum des Landes ist Aufgabe der Landesregierung“, sagt ein Sprecher der CDU-Fraktion und erinnert daran, dass dieser erfolgt sein müsse, wenn das Parlament über den Zuschlag der Fläche zum Nationalpark final entscheidet.  (jhw)

Kretschmann und mit ihm viele Fachleute haben Artenschutz und Biodiversität im Blick. 2013, bei der Verabschiedung des Nationalparkgesetzes, vertrat der frühere Biologielehrer die Ansicht, "dass ein sich selbst überlassenes Stück Natur einen hohen Eigenwert besitzt". Die Gegenposition sei davon geleitet, dass die Nutzung der Natur durch den Menschen den absoluten Vorrang habe. Als zutreffend erwies sich bis heute seine damalige Prognose: "Über solche Wertefragen kann man sich nur schwer einigen." Und wenn sie zu Glaubensfragen "hochstilisiert werden, ist eine Einigung einfach nicht mehr möglich".

Grüne und SPD hatten schon seinerzeit vor Ort viel Widerstand erfahren, in Gestalt von lauten Protestaktionen unter anderem gegen Kretschmann und den in dieser Zeit selber im Schwarzwald lebenden Agrarminister Alexander Bonde (Grüne). Die aufgeheizte Stimmung sollte den Blick auf die Mehrheitsverhältnisse vernebeln: Vier von fünf berührten Stadt- und Landkreisen, vier von sieben Gemeinden, zwei von drei Regionalverbänden sprachen sich über alle Parteigrenzen hinweg für das Großschutzgebiet aus. Und zwar ausdrücklich für einen Nationalpark, der sich deutlich unterscheidet von einem Biosphärengebiet. Letzteres, wie der Ministerpräsident in einer der aufgeheizten Landtagsdebatten erläuterte, ist "ein Großschutzgebiet zum Erhalt unserer Kulturlandschaft", während ein Nationalpark "der Wiederherstellung von Wildnis dient".

Fast zwölf Jahre später sind die Mehrheiten ebenso eindeutig. Der Nationalparkrat, das der Verwaltung zur Seite gestellte Fachgremium, hat sich bei nur einer Gegenstimme des Baiersbronner Bürgermeisters Michael Ruf im vergangenen Februar für den Lückenschluss ausgesprochen. Dennoch fliegen abermals Nebelkerzen unter Verwendung martialischer Begriffen wie "Hausarrest" oder "Freiheitsberaubung", die Anwohner:innen angeblich drohten. Der Stimmungsmache folgen Klagen über die Verunsicherung der Bevölkerung. "Das sind AfD-Methoden", sagt Andreas Braun, der 15 Jahre Geschäftsführer der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg (TMBW) war und überzeugt ist sowohl von den Vorteilen des Nationalparks, als auch von seiner Erweiterung.

Braun, inzwischen in Rente und ihm Ehrenamt tätig, stand dem aus Fachleuten zusammengesetzten Nationalparkbeirat vor, beklagt Fake News, Halbwahrheiten und in Fragen verpackte Unterstellungen, wie den Brief der örtlichen CDU-Landtagsabgeordneten Katrin Schindele an die grüne Umweltministerin Thekla Walker (Grüne). Er kann vor allem die Klagen zur angeblich fehlenden Beteiligung der Bevölkerung vor Ort nicht verstehen. Es sei "moralisch höchst unanständig", die vielen Veranstaltungen, die Gesprächsrunden, öffentlichen Diskussionen unter anderem mit Kretschmann und Walker kleinzureden. Außerdem würden Veränderungen einfach nicht zur Kenntnis genommen, etwa am zu streng ausgelegten Wegekonzept, das bereits seit April angepasst sei.

"Nationalparks sind weltweit eine Marke von höchster Strahl- und Anziehungskraft, das Highlight schlechthin in puncto Naturerlebnis", weiß der frühere Journalist, der Nationalpark im Schwarzwald als einziger im Land sei erst recht ein Magnet. Für 2022 registrierten Zählgeräte 772.000 Besuche, woraus sich ein Bruttoumsatz von gut neun Millionen Euro errechnen ließ. Und die Akzeptanz in ganz Baden-Württemberg ist mit 96 Prozent Zustimmung inzwischen riesig.

Davon jedoch will die Gegnerschaft nur wenig wissen, und CDU-Politiker:innen wollen allein auf die Region hören, oder – noch besser – doch noch die Bevölkerung vor Ort abstimmen lassen. Spiegelverkehrt zur Argumentation rund um Stuttgart 21 übrigens, wo natürlich das ganze Land, ob des Nutzens, zu den Urnen gebeten wurde. Als hätte der Schwarzwald nicht Strahlkraft weit über die eigenen Grenzen hinaus. Hauk, aber auch Kommentator:innen des Gesetzes auf dem Beteiligungsportal des Landes, führen zudem den Klimaschutz ins Feld, dem durch Holzwirtschaft besser entsprochen werde. Was Kretschmann jedoch gar nicht gelten lässt: "Die Erweiterung umfasst 0,1 Prozent der Staatswaldfläche und kann auf den Klimawandel logischerweise keinen messbaren Einfluss haben."

Manuel Hagel und der NABU

Andere gute Argumente für den Lückenschluss führen die Naturschutzverbände ins Feld, für das Gebiet im Allgemeinen und die Erweiterung im Besonderen – in der Befürchtung, dass das "Leuchtturmprojekt für die Forstwirtschaft zurechtgestutzt" werden solle, wie die BUND-Landesvorsitzende Sylvia Pilarsky-Grosch erklärte. Tatsächlich hat Hauk im Gesetzentwurf zum Lückenschluss entsprechend seiner Maxime, um jeden Hektar zu kämpfen, Veränderungen im Borkenkäfer-Management zulasten der Nationalparkfläche durchsetzen können. "Es ist für uns inakzeptabel, wenn die Erweiterungsfläche auf diese Weise immer kleiner wird", sagt der NABU-Landesvorsitzende Johannes Enssle. Auch sei abzulehnen, dass das Stimmengleichgewicht im Nationalparkrat zu Ungunsten des Naturschutzes verschoben werden solle.

In den Blick der Verbände kommt unterdessen Manuel Hagel, der selber seit vielen Jahren NABU-Mitglied ist. Er war Ehrengast beim diesjährigen NABU-Sommerfest und hatte als Gastgeschenk ein leidenschaftliches Bekenntnis zum Naturschutz dabei. Zudem steht er beim Ministerpräsidenten im Wort. Der hatte ihm bei der Bekanntgabe des Kompromisses im vergangenen Herbst großes Lob gespendet: Der Kollege Hagel sei "ein harter Verhandler, aber er ist ein fairer Verhandler, und vor allem kann man mit ihm zielführend verhandeln, und das, was man mit ihm verhandelt, ist absolut verlässlich."

Eine Kontext-Anfrage zum Stand der Dinge beantwortet ein Sprecher der CDU-Fraktion mit dem grundsätzlichen Bekenntnis zur Erweiterung und Weiterentwicklung des Nationalparks. Im Gesetzentwurf seien "zahlreiche Verbesserungen enthalten, für die wir uns eingesetzt haben". Es gehe nicht nur um "die wichtige naturschutzfachliche Aufwertung des Parks durch die Verbindung des Nord- und Südteils". Vielmehr werde auch "eine wesentliche Akzeptanzsteigerung für den Park bei den Einwohnerinnen und Einwohnern der betroffenen Nationalparkgemeinden erreicht".

Konkret ging es der CDU-Fraktion unter anderem ums "Sammeln von Waldfrüchten im Park" oder eine angemessene Entschädigung "der umliegenden Waldbesitzerinnen und -besitzer für den Mehraufwand, der ihnen durch das Risiko eines vom Park ausgehenden erhöhten Borkenkäferbefalls ihrer Wälder entsteht".

Woher das Geld kommen soll, ist ungeklärt. Die Naturschutzverbände warnen schon mal vorsorglich davor, damit den Naturschutzhaushalt zu belasten, ähnlich wie beim Nutzungsentgelt von rund 550.000 Euro für die Stilllegung von Waldflächen an die den gesamten Staatswald im Land bewirtschaftende ForstBW.

"Aus Liebe zur Natur", wie er gerne versichert, zählte Winfried Kretschmann 1979 zu den Gründern der Grünen. Aus Liebe zur Natur will er kurz vor dem Ende seiner Ära erreichen, dass im Schwarzwald zusammenwächst, was zusammengehört.

Das Zeitfenster, um Hauk und den anderen Widersacher:innen erfolgreich zu begegnen, ist jedenfalls noch nicht geschlossen. "Aktuell laufen die Gespräche der verschiedenen beteiligten Akteure", erklärt auf Kontext-Anfrage ein Sprecher im Agrarministerium, "daher bitten wir um Verständnis, dass wir diesen Gesprächen zum jetzigen Zeitpunkt bis zum Abschluss nicht vorgreifen können beziehungsweise dazu noch nichts sagen können, weil wir den Abschluss der Gespräche abwarten müssen." Und Manuel Hagel, der im ganzen Land um Zustimmung wirbt mit der Ansage, Kretschmanns Erbe sei bei ihm in guten Händen, wird sich überlegen müssen, ob er dieses Erbe ausgerechnet im Artenschutz und damit dem Erhalt der Schöpfung wirklich schmälern möchte.

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1 Kommentar verfügbar

  • Oktarine
    vor 20 Stunden
    Antworten
    Das war vor etwa 2000 Wildnis, seitdem ist es von Menschen genutzte und gestaltete Landschaft. Es ist auch nicht unberührt, Menschen arbeiten und leben dort, nach ihren Vorstellungen. Und sie möchten auch nicht in einem Museum leben, das nach den Vorstellungen von Organisationen gestaltet wird.
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