Herr Maaß, in Ihrem Konzept "Sicherheit neu denken" werden drei Szenarien aufgezeigt, wie sich die Welt verändern könnte: hin zum Guten, es bleibt beim relativ Schlechten, und es wird noch schlechter. In keinem der drei Szenarien wird ein Krieg in Europa erwähnt. Waren Sie naiv?
Nein. Das Konzept ist ja als Diskussionsgrundlage gedacht, um tatsächlich erstmal die Bevölkerung zu mobilisieren und Bewusstsein zu schaffen: Was ist es eigentlich, was Frieden schafft – soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und noch einiges andere, aber eben nicht Rüstung. Und es zeigt auf, wo die Politik gerade in eine Richtung läuft, die wir uns nicht wünschen. Dass es jetzt so massiv in die andere Richtung geht durch den russischen Angriffskrieg – damit haben wir nicht gerechnet. Aber da sind wir auch nicht die einzigen. Wir haben immer die Analysen der Bundeswehr studiert, da stand drin, es ist nicht zu erwarten, dass Deutschland angegriffen oder massiv bedroht wird.
Jetzt ist die Bedrohung da, weil einer, Putin, mit vielen Waffen ein Land mit wenigen Waffen angreift. Hätte die Ukraine mehr Waffen, hätte sich Russland vielleicht nicht getraut. Spricht das nicht eher für eine ordentliche Bewaffnung?
Ja, scheinbar. Weil man eben denkt, die Abschreckung funktioniert. Aber die Frage ist, ob gerade jetzt die Abschreckung eben nicht funktioniert hat. Wie konnte Putin so sicher sein, dass die bestens ausgerüstete USA oder Nato nicht eingreifen?
Vielleicht weil die Nato auch bei der Krim nicht eingegriffen hat, nicht in Syrien, bei der Besetzung von Luhansk und Donezk blieb sie ebenfalls eher defensiv ...
Schon. Aber es hätte ja auch so sein können: Wenn Herr Putin sich nicht an die Regeln hält, warum sollen wir uns dann noch an die Regeln halten? Aber ich denke, Putin war sich sicher, dass das nicht passieren würde.
Vielleicht weil Russland Atommacht ist.
Vielleicht. Aber tatsächlich passiert dadurch Folgendes: Solange es Atomwaffen gibt, werden natürlich immer mehr Staaten Atomwaffen haben wollen, weil sie eben sonst in der Gefahr stehen, überrannt zu werden, wie man jetzt gerade sieht. Genau das gefährdet unsere gesamte Sicherheit immer mehr. Wir müssen aber schauen, wie wir allgemein von den Atomwaffen wegkommen. In den vergangenen Jahrzehnten dagegen hat man nur danach geschaut, dass der Iran keine Atomwaffen produziert, anstatt sich darum zu kümmern, Atomwaffen abzubauen und zu verbieten. Und ich bin froh, dass sich die NATO derzeit zurückhält und nicht eingreift.
7 Kommentare verfügbar
Anna
am 06.04.2022"Als Kirchenmann würde ich mir wünschen, dass die Kirchen deutlicher auf die russisch-orthodoxe Kirche zugehen. Es gibt zwar Anschreiben, aber warum fliegen die Vertreter der Kirchen nicht nach Moskau…