Verbale Aufrüstung zum Stuttgarter D-Day. Mancher Gegner von Stuttgart 21 glaubt bei der Polizei "Kriegserklärungen" herauszuhören. Und die Beamten sind in ihrer Wortwahl auch nicht zimperlich. Sie verpassen manchen Gegnern das Etikett "Hassbürger".
Dieser eine Molotowcocktail macht Polizisten "ernste Sorgen". Von Beamten nahe der Mahnwache am Grundwassermanagement entdeckt und konfisziert. Eine Flasche mit brennbarere Flüssigkeit und einer schon vorbereiteten Lunte. Brandgefährlich im Wortsinn, denn wer auch immer dieses Zeug hätte benutzen wollen, man "hätt's nur noch anzünden müssen", sagen Ermittler. Und das war und ist für sie kein gutes Zeichen. Der Ton und vielleicht auch die Bedrohungslage haben sich Tage und Stunden vor der Räumung des Schlossgartens auf beiden Seiten deutlich verschärft.
Denn angeblich gibt es nicht nur diesen einen, sondern laut dem geheimen und der Kontext:Wochenzeitung vorliegenden Einsatzbefehl auch noch andere "konkrete Hinweise auf die Verwendung von weiteren Molotowcocktails". Weswegen 13 Ermittler das Büro der Parkschützer unmittelbar vor Beginn des großen Polizeieinsatzes im Schlossgarten durchsucht haben. Dort wurde ein 19 Jahre junger Mann vermutet, der mit diesen "konkreten Hinweisen" in Verbindung gebracht wird.
Junger Mann wird "zur Gefahrenabwehr" einfach weggeschlossen
Beschlagnahmt wurden dabei ein paar Kanister Benzin, die Parkschützer-Angaben zufolge als Treibstoff für ein Stromaggregat von Demosanitätern dienten. Ein Molotow-Cocktail oder Ähnliches wurde nicht gefunden. Dafür jener 19-Jährige, der "zur Gefahrenabwehr" auf richterliche Anordnung "in Beseitigungsgewahrsam" genommen wurde. Soll heißen, der junge Mann sitzt offiziell nicht in Haft, sondern wird bis zum Ende der Polizeiaktion einfach weggeschlossen. Was gegen ihn exakt vorliegt, mögen Ermittler auf Nachfrage nicht sagen.
Die Projektgegner sind wütend und in ihren Aussagen nicht zimperlich. Manche liebäugelten im Vorfeld allen Ernstes damit, dem Polizeipräsidenten "eins in die Fresse zu hauen", andere sehen in jeder Polizeiaktion ausdrücklich "eine Kriegserklärung". Verbale Deeskalation seitens der Gegner sähe anders aus, wenn sie denn überhaupt noch gewollt ist.
Die Staatsmacht dagegen erkennt in dieser Wortwahl eine "Verrohung der Sprache". Eine Verrohung, bei der sie selbst ganz gut mithalten kann. Das Polizeipräsidium Stuttgart hielt es vor wenigen Tagen ganz offiziell für angemessen, einen Stuttgart-21-erfahrenen Beamten aus ihren Reihen mit der Bemerkung zu zitieren: "Aus manchen Wutbürgern sind Hassbürger geworden." Solche Worte werden nicht nur einfach so geschrieben, gehört und gelesen, sie verfolgen eine Absicht. Was bedeutet eine solche Art der sogenannten offenen Polizeikommunikation? Was wäre, wenn die andere Seite plötzlich von Hasspolizisten spräche?
Das bürgerliche Lager im Blick der Polizei
In der verborgenen – weil unter Verschluss gehaltenen und nur "für den Dienstgebrauch" zugänglichen – Kommunikation hat die Polizei längst nicht nur irgendwelche Spinner und vereinzelte Kriminelle als Bedrohung erkannt, sondern auch ganz ausdrücklich "Personen aus dem bürgerlichen Lager", wenngleich deren "Mehrheit als friedlich einzustufen ist". Es sei festzustellen, so heißt es in dem vertraulichen Einsatzbefehl (<link file:3434 _blank download>Ausriss), dass besagte Personen aus diesem bürgerlichen Lager heraus "durchaus auch Straftaten wie Sachbeschädigungen, Beleidigungen und Körperverletzungen begehen". Das Koordinatensystem hat sich aus Polizeisicht verschoben.
Die Nervosität ist spürbar geworden. Die Polizeiführung schwört ihre Beamtinnen und Beamten auf zu erwartende "hochemotionale Proteste" und "äußerst kreative Protestformen" ein. Sie beziffert das Potenzial, das die Projektgegner zu mobilisieren in der Lage sind, auf "1200 bis 2300 Personen". Sie spricht zwar von einer friedlichen Mehrheit, rechnet aber auch mit "gewalttätigen Aktionen emotionalisierter Einzelpersonen und Kleingruppen".
Geißlers Attacke auf Kretschmann
Dann schäumte in dieser Melange noch manch brisante politische Botschaft. Schlichter Heiner Geißler hatte den Bauherrn Deutsche Bahn und die grün-rote Landesregierung per Interview in der "Frankfurter Rundschau" daran erinnert, sich an den Schlichterspruch zu halten und alles dafür zu tun, keine gesunden Bäume im Schlossgarten zu fällen, sondern sie zu versetzen. Schließlich, so Geißler dem Blatt zufolge, wurde auch die aus Sicht der Projektgegner verlorene Volksabstimmung "unter der Bedingung durchgeführt, dass das Ergebnis der Schlichtung realisiert wird". Genau das sah Geißler nicht und brachte deshalb die Grünen in die Nähe von gebrochenen Wahlversprechen. Per E-Mail ließ er Winfried Kretschmann das Interview zukommen, und schon musste der Ministerpräsident aus der Deckung.
In einem mehrseitigen <link file:3435 _blank download>Brief ließ er Geißler wissen, die bevorstehenden Baumfällungen seien nach einem öffentlichen Mediationsverfahren aus "fachlichen und faktischen" Gründen so beschlossen worden. Überzeugend war das aus gegnerischer Sicht nicht. Geißlers Attacke war Wasser auf ihre Mühlen, dass die Schlichtung tatsächlich eine reine Showveranstaltung gewesen sei, deren Ergebnis nicht das Papier wert sei, auf dem sie geschrieben stehe.
Und Beobachtern ist auch klar: aus Sicht der Bahn drängt die Zeit. Die Bäume müssen vor dem Beginn der Vegetationsperiode am 29. Februar gefällt sein. Das wiederum setzt die Polizei unter Druck. Und Druck war noch nie ein guter Ratgeber.
2 Kommentare verfügbar
peterwmeisel
am 15.02.2012"Mit Wörtern fängt man Ideen ein; hast du die Idee erst einmal begriffen, kannst du die Wörter vergessen. Wo finde ich nur einen Menschen, der die Wörter zu vergessen weiß, so daß ich einige Worte mit ihm wechseln könnte?"…