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Der hohe Preis der Harmonie

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Per Koalitionsvertrag hatten sich Grüne und Schwarze versprochen, ihre "Stärken zu verbinden und gemeinsam Verantwortung in einer Regierung der Verlässlichkeit und Modernisierung zu übernehmen". Ein Jahr danach müssen zu viele Beteiligte froh sein, wenn sich ihre Schwächen nicht potenzieren.

Nein, es ist nicht das eigene Grab, das sich die Spitzen der beiden Regierungsfraktionen da buddeln auf der Wiese hinter dem Stuttgarter Landtag. Es ist Dienstag, 9. Mai 2017, der willkürlich festgesetzte erste Jahrestag eines Bündnisses, das weder die einen noch die anderen wollten, und das sein Chef Winfried Kretschmann mit dem gequälten Prädikat "Komplementärkoalition" auf die Reise schickte. Für einige eher schmerzhaft verläuft der Jubiläumsakt, eine sieben Meter hohe Winterlinde wird gepflanzt.

Oder richtiger: Die Fraktionsvorsitzenden Andreas Schwarz (Grüne) und Wolfgang Reinhart (CDU) werfen mit einer kleinen Schar von HelferInnen so lange Erde auf den schon teilverbuddelten Baum, bis die Volkskrankheit Rückenschmerzen die ersten Abgeordneten zur Aufgabe zwingt. FDP-Kollege Hans-Ulrich Rülke mokiert sich unverzüglich über die "kindliche Symbolik" und empfiehlt "eine Fichte, die ist das ganze Jahr grün, und die CDU zeigt, wohinter sie ihre Wählerinnen und Wähler führen will."

Von vielen anderen Seiten regnet es dagegen Lob zum ersten Jahrestag. Unerwartet pragmatisch sei der Umgang miteinander, die beiden ließen sich gegenseitig Luft zum Atmen, hieß es von sympathisierenden Verbänden wie den Naturschützern, von den Arbeitgebern und nach Kretschmanns höchstem Diesel-Lob sogar von der Automobilindustrie. Vom "Gönnen können" ist die Rede und davon, dass die Regierung in der Inneren Sicherheit, der Bildungspolitik oder in Sachen Feinstaub durchaus einiges vorzuweisen habe. Besser als befürchtet laufe die Arbeit, das ist die Formel des Ministerpräsidenten, der auf weiterwachsendes Vertrauen hofft.

Explosives CDU-Geschenk zum Jahrestag: schärfere Anti-Terror-Gesetze

Die Wortwahl spricht Bände. Nach fünf Jahren Grün-Rot strebt der beliebteste Politiker der Republik in den Schauspieler-Olymp mit seiner Interpretation der Landesvaterrolle. "Wir können tun, was wir wollen", sagt ein CDU-Abgeordneter am Rande des Lindenspektakels, "alles zahlt bei ihm ein." Zufällig im Landtag ist auch ein schwarzer Ex-Staatssekretär, längst in Rente, der berichtet, wie schwer vor Ort mit Sachthemen zu punkten sei – "weil Kretschmann bei den Leuten alles überstrahlt".

Thomas Strobl, der schwarze Vize, hat dem Koalitionspartner dennoch ein solches auf den Gabentisch gelegt, eines mit Sprengkraft im wahrsten Sinne des Wortes. Die Heilbronner Heimatzeitung lässt er passend zum Jahrestag von seinen Planungen für schärfere Anti-Terror-Gesetze wissen, einschließlich vorbeugender Online-Durchsuchungen von Computern und die Ausrüstung von Spezialkräften mit Sprengstoff. Er wolle aber nicht lesen, sagt er auf der Regierungspressekonferenz, nachdem er sich minutenlang um eine Antwort herumdrückt, dass künftig jeder Streifenbeamte "fünf Handgranaten" bekomme. Was er wirklich will, bleibt im Dunklen, wie so oft. "Günther Oettinger musste mit dem Ruf leben, immer dem letzten seiner Gesprächspartner recht gegeben zu haben", erinnert sich ein CDU-Parlamentarier. Strobl beherrsche "diesen Wankelmut in Perfektion".

Die Nummer eins der CDU und die Männer und Frauen in einer Fraktion, die eigentlich die seine ist, werden in diesem Leben keine Freunde mehr. Ein Jahr danach ist noch der Hall der Tür zu hören, die Strobl zuschlug, als eine erste Probeabstimmung über Kretschmann als abermaligen Regierungschef schiefging und er erbost davonrauschte. Viele Geschichten ranken sich inzwischen um diesen Abgang, der beinahe das Ende von Grün-Schwarz noch vor dem Start gewesen wäre. Der CDU-Bundesvize soll sogar seine Parteivorsitzende Angela Merkel gefragt haben, ob er nicht doch nach Berlin zurückkehren könne. Aus einem einzigen Wort besteht heute seine Antwort auf die Frage, ob die CDU denn inzwischen glücklich sei mit der Koalition: "Ja."

Unter der Oberfläche schwelen Konflikte

In ermüdender Ausführlichkeit beweihräuchert der Innenminister dagegen seine eigene Arbeit, die CDU-Kabinettskollegen hingegen sind keiner Erwähnung wert. Auch anderes Heikles spart die detaillierte Aufzählung von B wie Bodycams bis U wie Unwetterhilfe aus. Rund um die Fahrverbote zur Luftreinhaltung in Stuttgart kocht der Streit gerade wieder hoch. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) wurde am Dienstag sogar in die Fraktionssitzung des kleineren Regierungspartners zitiert. Die Auseinandersetzung um Abschiebung und Rückführung abgelehnter Afghanen schwelt genauso wie jener über die gymnasiale Oberstufe an Gemeinschaftsschulen oder über die Landesbauordnung mit ihren ökologischen Vorgaben.

"Da fällt mir spontan nichts ein", sagt der Ministerpräsident dagegen stoisch auf die Frage nach koalitionsinternen Reibungspunkten. Schon mehrfach und nicht nur in der Asylpolitik, im Umgang mit der Autoindustrie oder in der Steuerdebatte hat der einstige Studienrat bewiesen, dass er eher Kontroversen mit den eigenen Parteifreunden sucht als Streit mit dem Koalitionspartner. Nicht nur die Grüne Jugend beklagt, dass er seine hohe Popularität nicht nutzt, um auf dem Weg zur Bundestagswahl das eigene Profil zu schärfen, sondern Konflikte scheut; dass grüne Stärken nicht gestärkt und Schwächen deshalb überbetont zu Tage treten.

Dabei hat er Klartext keineswegs verlernt. Nicht einmal oder erst recht an die Adresse der Deutschen Bahn, wegen der millionenteuren Umsiedlung von Eidechsen. Im Faktencheck mit Heiner Geißler, ruft der Grüne in Erinnerung, war sein Part ein Vortrag über die ökologische Bedeutung des Gleisbetts. Er gerät schnell in Fahrt. Das sei keine Steinwüste, sondern "ein wertvolles Biotop, und niemand kann so tun, als hätte er das nicht gewusst". Wenn die DB jetzt erst die Umsiedlung plane "und so tut, als wäre sie überrascht", sei das ihre Sache: "Mit diesen Fragen muss man sich auseinandersetzen, wenn man ein Projekt plant, erst recht, wenn einen die Gegner darauf hinweisen." Und die Debatte über die Verhältnismäßigkeit der Kosten von 4000 Euro pro Eidechse bereichert er mit einem Kretschmann'schen Merksatz: Arten auszurotten ist nie verhältnismäßig.

Frau Strobl weiß jetzt, was sie schenken kann: Grüne Krawatten 

Zumindest intern soll sein Stellvertreter Strobl schon in den Genuss ähnlicher oder noch heftigerer Ausbrüche gekommen sein. Umgekehrt heißt es, der Schwarze rede im ganz kleinen Kreis zumindest auch schlecht über den Ministerpräsidenten. Am Jahrestag hat er allerdings sogar "einen grünen Binder" umgelegt. Und er leistete sich, um lockere Stimmung bemüht, eine Spitze gegen "Frau Strobl", die von seinem neuen Hang zu grünen Krawatten profitiert, weil sie jetzt weiß, was sie schenken soll. 

Zu grün-roten Zeiten gehörte der Vorwurf, das Land werde unter seinen Möglichkeiten regiert, zum CDU-Repertoire. Auch die beiden Vormänner könnten sicher mehr zu Stande bringen, wäre ihr Verhältnis tatsächlich ein vertrauensvolles. So wird nebeneinander statt miteinander regiert. Große Vorhaben, wie die Digitalisierungsstrategie, konkrete Klimaschutzanstrengungen oder Schuldenabbau hängen in der Pipeline. Nur ein Bruchteil der zahllosen Vorhaben im Koalitionsvertrag, gerne mit der Formulierung "werden wir" oder "wollen wir" versehen, sind wirklich auf den Weg gebracht.

Nur bemüht wirkt dementsprechend, wenn der eine erläutert, warum man sich in dieser bürgerlichen Koalition nicht duzt, und der andere immer wieder wie von ungefähr fallen lässt, man sei auf ein gemeinsames Bier gegangen. Letzterer – Strobl – meint bekennen zu müssen, "wir stehen nicht jeden Morgen auf und überlegen, wie können wir den anderen am besten ärgern". Am Jubeltag gehen die Ehepaare sogar abends miteinander aus. Erzwungene Harmonie hat einen hohen Preis.

Da sind die Fraktionen durchaus weiter, nicht nur in der Frage von Du oder Sie. Vor allem die Fachpolitiker – beim schwierigen Thema Verkehr, im Umweltschutz, in gesellschafts- oder bildungspolitischen Fragen – verstehen sich als stabile Eckpfeiler dieser bundesweit einmaligen Koalition. "Wir streiten auch mal, aber dann reden wir mit- und nicht übereinander", berichtet CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart. Viel hänge an den handelnden Personen (er meint sich und Andreas Schwarz), und die könnten einfach miteinander.

Nur nicht Baumpflanzen. Die Linde wird zwar am Ende tatsächlich schnell und fast so geräuschlos, wie die Regierung regieren möchte, von einem Bagger mit der lebenswichtigen Erde versorgt. Nur wo bekommt das ungleiche Paar an der Regierungsspitze für die restlichen vier Jahre, die Kretschmann tapfer prognostiziert, einen Bagger her?

 

Info:

Gemeinsam mit Peter Henkel hat die Autorin ein neues Buch über Winfried Kretschmann verfasst. Hier eine kleine Leseprobe:


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1 Kommentar verfügbar

  • Rolf Steiner
    am 10.05.2017
    Antworten
    Zur Flüchtlingsfrage und vor allem zu Abschiebungen finden die Grünen keine gemeinsame Sprache, um gegen die rigorosen Maßnahmen und Forderungen der CDU zu bestehen. Ketschmann ist einmal vollständig eingeknickt, als es um die Menschen aus dem Balkan ging. Jezt zieht er auch den Schwanz ein, wenn…
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