Es war einmal eine ganz ordentliche Idee. Damals in den Siebzigern, als kluge Köpfe erste Überlegungen zu einer neuen, schnelleren Strecke zwischen Mannheim und Ulm anstellten. Bald schon waren mehrere Varianten geboren, darunter auch die eines viergleisigen Durchgangs- mit einem weiterentwickelten Kopfbahnhof. Alles hätte gut werden können oder wenigstens bedeutend besser, als es heute ist - wäre nicht mit den Planern die Phantasie und mit potentiellen Investoren die Gier durchgegangen: "Neue Stadt über Bahnhofstunnel", titelte die "Stuttgarter Zeitung" im Oktober 1990. 2,1 Milliarden gute alte deutsche Mark und damit die Hälfte der Gesamtkosten wollten findige Finanzjongleure erlösen. Mit tatkräftiger Unterstützung vor allem von CDU-Politikern, die eine einmalige Chance von 24.000 Arbeitsplätzen und Wohnungen für 11.000 Menschen herbei halluzinierten, wenn 180 Hektar früheres Gleis- und Bahngelände nicht mehr gebraucht, sondern verkauft würden.
Viele Geschichten, die mit "Es war einmal" beginnen, kennen gute und böse Zauberer. Im Fall von S 21 kamen gleich zwei davon aus Hamburg. Der eine, Johannes Ludewig, handelte im Geist kluger hanseatischer Kaufleute. Der andere - Rüdiger Grube - redete nur darüber. Ex-Bahnchef Ludewig, seit 2006 übrigens Vorsitzender des Normenkontrollrats und damit oberster Berater aller seitherigen Bundesregierungen für Kostenmessungen und Kosteneffizienz, stoppte das Projekt 1999 als "schlicht zu groß und für die Bahn zu teuer". Zwei Jahre später wurde es wieder wachgeküsst, und schließlich ab 2009, unter der Leitung von Grube, wurden endgültig die Weichen gestellt. Krakengleich verschlingt das Vorhaben seither Millionensummen, ohne allerdings im Stuttgarter Stadtgebiet nennenswert voranzukommen.
Wie alle spannenden "Es war einmal"-Geschichten kommt auch S 21 nicht ohne das dramatische "Plötzlich" aus: Ende 2016 begab es sich, dass ganz plötzlich(!) alte Probleme heftig aus den Kulissen drängten. Zu diesem Zeitpunkt wollten die Gierigen all ihre Grundstücke eigentlich schon seit mindestens zehn Jahren verkauft haben und die Halluzinierenden sahen die unterirdischen Züge bereits störungsfrei auf den acht Gleisen. Doch plötzlich(!) drohen auf 15 von 60 Tunnelkilometern im Stadtgebiet dauerhafte Schwierigkeiten, aufgrund der mannigfaltigen Anhydritschichten im Untergrund.
Plötzlich(!) geht es nicht mehr nur um den Bau, sondern auch um den Betrieb des "neuen Herz Europas", wie windige Werber das Milliardengrab tauften, als es Ende des vergangenen Jahrzehnts um wahrlich jeden Preis durchgedrückt werden sollte. Wenn Tunnel quellen, müssen sie regelmäßig gesperrt und saniert werden. Europas Herz müsste dann an eine Herz-Kreislauf-Maschine angeschlossen werden. Die ist aber natürlich bisher weder geplant geschweige denn finanziert. Aus der schnelleren Strecke zwischen Mannheim und Ulm würde in Stuttgart ein dead end, ein tatsächlicher Sackbahnhof, als welcher der Kopfbahnhof von seinen Gegnern immer diffamiert wurde und wird.
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Frank Schweizer
am 04.01.2017