Bei Reicherter sei auch E-Mail-Korrespondenz mit zwei weiteren Polizisten gefunden worden, erzählt Viertel. Bei ihnen wurde nicht durchsucht, sagt er, vielmehr wurde ausgeschlossen, dass sie die mutmaßlichen Täter sein könnten. "Man hat alles auf mich fokussiert", sagt Viertel. Er sagt, er könne belegen, dass Akten seines Falls bei der Polizei zu seinen Ungunsten manipuliert worden seien.
Heinz-Joachim Viertel sagt zu seiner Frau gewandt: "Es ging niemals um mich, es ging nur um dich, sie wollten Infos über dich und den Widerstand." Er meint den Widerstand gegen S21. Bei der Durchsuchung habe die Polizei unter anderem eine Adressliste seiner Frau mit Kontakten zu S-21-Gegenern beschlagnahmt.
Ursula Viertel leidet mit ihrem Mann. Sie verliert sieben Kilo Gewicht. Aber sie organsiert weiterhin Demos und Veranstaltungen, geht zur Mahnwache gegen das Bauprojekt, die mittlerweile seit fünf Jahren besteht. Ihr Mann unterstützt sie darin: "Wir dürfen nicht klein beigeben, das wollen die", sagt er.
Gegen Heinz-Joachim Viertel läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses und ein Disziplinarverfahren. Am 22. Januar 2014 wird ihm die Nachricht zugeschickt, dass er vom Dienst enthoben ist, bei Kürzung seiner Bezüge um 20 Prozent. Jetzt reicht es ihm. Die Durchsuchung ist eineinhalb Jahre her. Er hat mit Hilfe eines Psychotherapeuten die Fassung so weit zurückgewonnen, dass er sich wehrt.
Viertels Anwalt spricht in einem Schreiben an das LKA, dass Viertel wegen seiner Ablehnung von Stuttgart 21 bereit gewesen sei, Reicherter Dokumente zukommen zu lassen, von einer "Unterstellung", die "durch keinerlei Tatsachen belegt und begründt, sondern offensichtlich böswillig" gewesen sei. Auch der erfahrene Jurist Dieter Reicherter kommt zu dem Schluss, dass die Ermittlungen im Fall Viertel offenbar von Irrtümern und Fehlern strotzten.
Im Sommer 2014 werden die Verfahren eingestellt
Am 24. Februar reicht Viertels Anwalt beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage gegen die Dienstenthebung ein. Reicherter wird als Zeuge vernommen. Das LKA wird zur Stellungnahme aufgefordert. Zu dieser Stellungnahme kommt es aber gar nicht. Stattdessen wird die Verfügung zur Dienstenthebung am 25. März 2014 "vollumfänglich" aufgehoben. Aus Reicherters Vernehmung habe sich entlastende Momente für Viertel ergeben, heißt es sinngemäß in der Begründung des LKA.
Der erste Dominostein war gefallen, alle anderen folgten. Im August 2014 wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt, weil die Ermittlungen zur Weitergabe der Dokumente laut Gesetzestext keinen Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage ergeben haben. Im September 2014 wurde das Disziplinarverfahren eingestellt, weil "ein Dienstvergehen nicht erwiesen ist".
"Ich bin rehabilitiert", sagt Viertel heute. Am 1. Dezember 2014 ist er planmäßig in Pension gegangen. Seine Psychotherapie ist bald abgeschlossen. Aber inzwischen hat sich sein Weltbild verändert. Sein Idealismus - erschlagen von Aktenbergen und Anschuldigungen. Er sagt: "Wir haben keine Demokratie, eher eine Lobbykratie, in der die Rechtsstaatlichkeit politischen oder wirtschaftlichen Interessen geopfert wird."
Im November 2014 hat das Amtsgericht Stuttgart entschieden, dass Viertel für die Durchsuchung und das Disziplinarverfahren zu entschädigen ist. Er bekommt 541,45 Euro.
21 Kommentare verfügbar
Gela
am 29.08.2019du hast es geschafft. Ich gratuliere, dass du mit deiner Frau zusammen diese schwere Zeit überstanden hast.