Ein Revoluzzer war er nie. Vielleicht erinnert sich Matthias Filbinger deshalb so gerne und genau daran, wie er aus dem Internat St. Blasien geworfen wurde. Es war der 13. Juli 1973. Der 16-Jährige hatte im Lehrerzimmer heimlich einen Sender installiert, der die Lehrerkonferenz auf der SWF-3-Frequenz nach außen übertrug. Die Internatsschüler hingen vor ihrem Lieblingsprogramm und hörten, was sie schon immer vermutet hatten: Wie abfällig in der Konferenz über Schüler gesprochen wurde und dass man den einen Schüler versetzen müsse, leider, weil eine Spende des Vaters eingegangen sei.
Matthias flog auf, weil ein Lehrer im Schlafsaal die Internatszöglinge belauschte, ein Pater packte den Spion, der aus Freiburg kam, in seinen VW Käfer und lieferte ihn auf der Solitude ab, der Dienstvilla des baden-württembergischen Ministerpräsidenten. Die Zeitung titelte "Watergate in St. Blasien, Filbinger-Sohn Minispion?", der Vater hatte Angst, die nächste Wahl zu verlieren, und der Sohn war froh, den Patres entronnen zu sein. Für Furore hat der CDU-Mann immer so nebenbei gesorgt. Etwa, als er vor vier Jahren zu den Grünen wechselte.
Da sitzt er im schmucken Eigenheim in Vaihingen, Jeans, Ralf-Lauren-Hemd, Rolex, und lächelt freundlich, fast schüchtern hinter seiner Brille hervor. Auf diese kleine Rebellion im Schwarzwald ist er heute noch stolz. Matthias Filbinger, ein ruhiger 57-Jähriger, der die Aufmerksamkeit seiner Gesprächspartner genießt. Die Sonne taucht den lichten Anbau in Frühlingslicht, mit dem er und seine Frau zusätzlichen Raum für die drei Kinder schufen. An den Wänden hängt Kunst, auf dem Tisch steht Kaffee für den Besuch, im Bügelzimmer lehnen die Wahlplakate mit seinem lächelnden Konterfei und dem Slogan: "Natürlich gut für Stuttgart."
Der Gastgeber erzählt mit dieser leisen Stimme, die auch Zweifel zulässt. Von dem missglückten Wahlplakat seiner Grünen, das für mehr Natur in der Stadt werben soll ("Auch so sehen Standortvorteile aus") und mit der Platane doch nur die Wut enttäuschter S-21-Gegner heraufbeschwört, weil es an die Räumung des Schlossgartens erinnert: "Ein Fehler." Von seiner Jugend als Politpromikind: "Das war ein immenser Druck." Von einem Leben, das bis heute davon geprägt ist, den eigenen Weg zu finden und aus dem Schatten eines übermächtigen Vaters zu treten. "Söhne wollen immer besser sein als der Vater", sagt der einzige Filbinger-Sohn. Deshalb ging er in die IT-Branche, denn von Computern verstand der Vater nichts. Deshalb ging er in die Wirtschaft, ist 1. Vorsitzender im Vaihinger Bund der Selbstständigen, sitzt im IT-Ausschuss der Industrie- und Handelskammer.
Fischt nun im schwarzen Teich nach grünen Stimmen
Eigene Spuren legen, eigene Grenzen ausloten, sich einen Vornamen machen – das hat er zu seinem Lebensthema gemacht. Um dann mit 40 Jahren doch noch in der Politik zu landen. In der Kommunalpolitik, ehrenamtlich, zunächst für die CDU. Als Schüler hat er gerne Theater gespielt, stand auf der Bühne. "Unten sitzen und nur zuschauen, das ist auf Dauer nichts für mich", sagt er. Also Bezirksbeirat in Vaihingen, Politik kommunal und konkret, pragmatisch und zielorientiert, so wie er es als Unternehmer gewohnt ist. Und so bahnte er sich in der Politik seinen eigenen Weg. Der Mann, der den Kilimandscharo bezwang und schon 13 Marathonstarts hinter sich hat, ist zäh. Nun tritt er am 25. Mai zur Kommunalwahl an. Für die Stuttgarter Grünen.
Bei ihnen fühlt er sich auch nach vier Jahren Mitgliedschaft noch gut aufhoben. Der Medienhype ist Vergangenheit, Grünsein ist Alltag geworden. Schwer fiel ihm die Umstellung von schwarz auf grün nicht, weil Matthias Filbinger die Dosis bürgerlicher Werte, die er in seinem Elternhaus inhalierte, Fleiß, Disziplin, Leistung, dabei nicht verleugnen muss. Nicht bei den baden-württembergischen Grünen, die aus der bürgerlichen Mitte kommen und so schwarz sein können wie die CDU. Dafür steht auch Winfried Kretschmann, der wie Matthias Filbinger gerne wandert, für den Religiosität kein Fremdwort ist und der so schön Philosophen zitieren kann. Bei diesen Grünen fühlt sich der feinsinnige Filbingersohn mehr beheimatet als bei einer CDU mit ihrem Lautsprecher Peter Hauk und seinem holzschnittartigen Oppositionsgeschrei.
Der grüne Ministerpräsident war es auch, der letztlich schuld war an seinem Wechsel. Drei Wochen vor der Landtagswahl 2011 übrigens, darauf legt Filbinger wert: "Ich bin kein Trittbrettfahrer, das ist mir zu unsportlich." Mit der Kretschmann-Partei kann er sich nach der Landtagswahl 2016 gut eine grün-schwarze oder schwarz-grüne Koalition vorstellen. Dann wäre er auch mit seiner eigenen Geschichte versöhnt.
6 Kommentare verfügbar
maguscarolus
am 12.05.2014Ob von solchen Leuten überhaupt positive Impulse für eine Verbesserung unserer Gesellschaft zu erwarten sind, halte ich zumindest für fraglich.
Schließlich war doch der "naturverbunden - begeisterte Wanderer" H.Filbinger einer derjenigen, die gar nicht genug Kernkraftwerke im…