KONTEXT:Wochenzeitung
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Eine Partei steht kopf

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Die Diskussion über die Lehren aus dem Wahldebakel der Grünen hat erst begonnen. Gerhard Schick, der finanzpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, zählt im Interview mit Kontext die Sünden der alten Führung, aber auch die der schwäbischen Besserwisser auf.

Herr Schick, in Europa herrscht Massenarbeitslosigkeit, vor allem im Süden und Osten, wie wir sie lange nicht kannten, und die Wahlkämpfer in Deutschland taten so, als hätten wir keine Probleme. Auch die Grünen haben Europa ausgespart.

Leider ist das Profil der Grünen in der europäischen Krise tatsächlich unklar geblieben, weil wir trotz der problematischen Strategie der Bundeskanzlerin bei den meisten Einzelentscheidungen zugestimmt haben. Viele Menschen haben dadurch den Eindruck gehabt, wir würden dieser skandalösen Umverteilung von Bankschulden auf den Steuerzahler zustimmen, was natürlich nicht der Fall ist. Wir haben so selbst dazu beigetragen, dass die Kanzlerin eine große Zustimmung in der Bevölkerung genoss, weil ihr Krisenmanagement scheinbar von einer sehr breiten Koalition getragen wurde. Dabei haben wir immer gesagt, dass die Strategie unsozial ist, die Krisenkosten in die Höhe treibt und die Wirtschaft abwürgt. Ich meine deshalb, dass es ein Fehler war, das Thema Europa von unserer Seite aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Umso wichtiger ist es, dass wir damit in Zukunft anders umgehen. Angesichts der öffentlichen Debatte, die durch den Erfolg der AfD eine falsche Richtung bekommt, sind wir Grünen als Europapartei gefordert.

Die Steuern unter Helmut Kohl waren höher als die Forderungen in Ihrem Wahlprogramm. Warum haben die Grünen nicht viel früher damit begonnen, eine gerechtere Steuerverteilung zu fordern? Und warum haben sie ihre Forderungen so schlecht kommuniziert?

Im Wahlprogramm von 2009 standen quasi dieselben steuerpolitischen Forderungen wie diesmal, wenn auch nicht so detailliert. Der entscheidende Unterschied war, dass wir diesmal keine klare wirtschaftspolitische Botschaft hatten, die diese Forderungen begründet und untermauert hat. Die Wählerinnen und Wähler haben einfach nachgerechnet, was die Steuererhöhungen für sie bedeuten – das kann ihnen keiner verdenken. Aber es kam nicht rüber, was die gesellschaftlichen Projekte und ökonomischen Vorteile sind, die damit einhergehen: Wir wollen Investitionen in den Bildungsbereich und die Infrastruktur und endlich einen Einstieg in den Schuldenabbau. Wir wollten das nicht einfach nur versprechen, sondern seriös gegenfinanzieren. Dazu stand die gesamte Partei, und das haben auch unsere Mitglieder in den Fußgängerzonen mit Verve vertreten. Aber in einer Stimmung, in der alle das Gefühl haben, das Steuergeld sprudelt und die Krise ist weit weg, war es sehr schwierig, darüber zu reden. Das lag auch daran, dass uns die Bündnispartner fehlten – das ist eine weitere Hausaufgabe für die nächsten vier Jahre: Bündnisse mit der Zivilgesellschaft für eine progressive Politik schließen.

Rot-Grün war nach allen Umfragen von vornherein eine Illusion. Warum sind Sie dennoch ins offen Messer gelaufen?

Das war ein zentraler Fehler. Wir haben uns da gegenseitig blockiert. Die einen wollten Schwarz-Grün ausschließen, die anderen Rot-Grün-Rot. Am Ende gab es dadurch aber keine Perspektive mehr, grüne Ideen tatsächlich umzusetzen, weil es nur noch darum ging, ob die Regierung schwarz-gelb oder schwarz-rot wird. Da spielten wir Grünen keine Rolle mehr, sodass selbst Leute mit großen Sympathien für die Grünen überlegen mussten, wo ihre Stimme mehr bringt: Sollte ich sie nicht lieber der SPD geben, um sie in der Großen Koalition zu stärken?

Und was nun?

Wir können jetzt nicht kurzfristig und ohne Vorbereitung in Schwarz-Grün reinhüpfen, weil das inhaltlich nicht passt und uns viele Leute zu Recht nicht mehr unterstützen würden. Und dann bekämen wir auch nichts durchgesetzt. Das Gleiche gilt für Rot-Grün-Rot. Das hätte eine längere Vorbereitungszeit erfordert, mit internen wie öffentlichen Debatten. Das haben wir versäumt. Diesen Fehler dürfen wir 2017 nicht wiederholen.

Und Sie müssen sich um die Jugend kümmern. Sie ist längst nicht mehr so grün, wie sie schon war.

Wir haben stark bei Jugendlichen verloren und bei den Jugendwahlen, also bei den unter 18-Jährigen, lag die CDU dieses Mal zehn Punkte vor uns. Das ist für mich eines der bittersten Einzelergebnisse dieser Wahl. Dabei waren wir doch immer die Partei, die am ehesten das Freiheitsbedürfnis, das Bedürfnis nach Zukunftsorientierung für junge Menschen zum Ausdruck gebracht hat. Wir standen und stehen dafür, das Lesben und Schwule frei leben können, dass Menschen mit Migrationshintergrund gleiche Chancen erhalten, dass Frauen gleiche Rechte haben, dass junge Menschen mitbestimmen können oder dass Cannabiskonsum legalisiert wird. Warum konnte eine Kampagne, die uns zur Verbotspartei abstempelt, plötzlich erfolgreich sein? Das kann ja nicht an einzelnen Verboten gelegen haben, die gab es immer in grünen Programmen und wird es immer geben müssen, wenn man gesellschaftlich etwas ändern will. Ich meine: Das falsche Image "Verbotspartei" hätte uns nicht aufgedrückt werden können, wenn wir klar als freiheitsliebende, emanzipatorische Kraft wahrnehmbar gewesen wären.

Doch mittlerweile gelten die Grünen bei Jugendlichen als spießig. Was tun?

Wenn junge zukunftsorientierte Menschen – eine Kerngruppe, die sonst für grüne Politik steht – die Grünen als spießig ansehen, dann müssen wir etwas dagegen tun. Auf eine spießige Partei hat keiner Lust. Deshalb kann die einzige Antwort nicht sein, noch mehr mit Wirtschaftsführern zu reden. Wir müssen vor allem zu einer neuen Aufbruchsstimmung kommen, unkonventionell nach vorne denken und zur Avantgarde gehören. Das muss jetzt im Vordergrund unserer Arbeit stehen.

Führende Grüne in Baden-Württemberg suchen die Schuld für die Wahlniederlage in Berlin. Dabei war der Stimmenrückgang im Südwesten überproportional hoch.

Es ist wenig sinnvoll, jetzt mit dem Finger in eine Richtung zu zeigen. Wir müssen gemeinsam darüber nachdenken, warum ein Programm, das wir einstimmig beschlossen haben, viele Menschen nicht überzeugt hat. An den Infoständen haben mir manche Menschen gesagt, dass sie die Grünen wegen der Finanzpolitik nicht mehr wählen würden, andere haben das mit der Bildungspolitik oder mit den Einsparungen an den Musikhochschulen auf Landesebene begründet. Außerdem gab es natürlich das Thema Pädophilie. Ich kann deshalb nur davor warnen, hier eine einseitige Analyse vorzunehmen.

Viele Beamte und Lehrer in Baden-Württemberg, die 2009 und vor allem 2011 noch Grün wählten, haben sich diesmal verweigert. Hat dies alles nichts mit Kretschmann und den grünen Landesministern zu tun? Welchen Anteil hat die Landespolitik am Rückgang der Stimmen?

Es ist weder sinnvoll noch möglich, das in Zahlen auszudrücken. Sowohl Landes- als auch Bundespolitik haben sicher eine Rolle gespielt, letztlich war es aber natürlich eine Bundestagswahl.

Die Kulturszene hatte große Hoffnung in Grün-Rot in Baden-Württemberg gesetzt. Jetzt ist sie enttäuscht – nicht zuletzt wegen der geplanten Kürzungen an den Musikhochschulen, die Sie auch selbst kritisiert hatten.

Genau. Mich hat das Konzept in der Sache nicht überzeugt. Kürzungen muss es leider geben – auch weil es jetzt zu den Steuererhöhungen wohl nicht kommen wird, die zu relevanten Mehreinnahmen auch in den Länderhaushalten führen würden. Es geht aber um das Wie der Kürzungen.

In Baden-Württemberg haben sich auch etliche Gegner von Stuttgart 21 von den Grünen abgewandt.

Darauf bin ich immer wieder angesprochen worden. Ich glaube aber, dass die Mehrzahl der Wählerinnen und Wähler wahrnimmt, dass wir mit großem Engagement gegen dieses Projekt gekämpft haben und es nach wie vor nicht wollen, aber auch nicht gegen das Abstimmungsergebnis eines Volksentscheids agieren können und wollen.

Bundesweit scheint die Öko-Kompetenz der Grünen nicht mehr gefragt zu sein. Die Energiewende ist geschafft, sagen die einen. Wozu dann noch Grüne? Sie geht uns an den Geldbeutel, sagen andere und schieben dies den Grünen in die Schuhe. Seit Merkels Schwenk ist es jedenfalls weder der Anti-AKW-Bewegung noch den Grünen gelungen, die Meinungsführerschaft in Sachen Energiewende zu übernehmen.

Die Debatte läuft tatsächlich manchmal so, aber in der Sache ist das nicht gerechtfertigt. Die Bundesregierung blockiert und hintertreibt die Energiewende zurzeit, wo sie nur kann. Gerade deshalb braucht es starke Grüne.

Aber dies wurde öffentlich kaum wahrgenommen.

Die Themen Klimawandel, Nachhaltigkeit, erneuerbare Energien spielten im Wahlkampf leider keine Rolle. Es ging nur um Strompreise. Das kennen wir aus dem Wahlkampf 2009. Damals ist es uns allerdings mit dem Green New Deal gelungen, Fragen der Wirtschafts- und Finanzkrise mit denen des ökologischen Umsteuerns zu verknüpfen. Daran müssen wir für die Zukunft wieder anknüpfen. Wenn die Gesellschaft gerade nicht über Klimawandel redet, müssen wir überlegen, wie wir dieses wichtige Zukunftsthema dennoch wahrnehmbar machen können. Denn wir haben als kleine Partei eben auch nicht die Möglichkeit, die Wahlkampfthemen allein zu bestimmen.

Oder Sie brauchen eine andere Werbeagentur.

Wir hatten 2009 eine Erzählung, mit der wir die Argumente in Bezug auf Klimawandel und Umweltschutz automatisch einbringen konnten. Dieses Mal haben diese Themen unverbunden herumgestanden. Es gab keine Gesamtvorstellung, die die Menschen erreicht hätte. Zugegeben, mit der Agentur "Zum goldenen Hirschen" haben wir schon gute und schlechte Kampagnen gemacht. Aber ich würde das nicht allein auf die Plakate schieben – es muss auch die Botschaft da sein, die rübergebracht werden soll. Ich glaube deshalb, dass die wichtigste Aufgabe für die nächsten Jahre nicht in der Auswahl einer anderen Werbeagentur liegt, sondern in der Frage, wie wir Menschen wieder für die grünen Ziele begeistern können, statt zu erreichen, dass der Taschenrechner aus dem Schreibtisch geholt wird.

Gerhard Schick (41) zieht am 22. Oktober zum dritten Mal in den Deutschen Bundestag ein. Der Mannheimer hat sein persönliches Wahlergebnis gegenüber 2009 nahezu halten können (-0,4 Prozent), während die Grünen bundesweit bei den Erststimmen 1,9 und bei den Zweitstimmen 2,3 Prozentpunkte verloren haben (in Baden-Württemberg -2,8). Schick ist Mitglied im Parteirat und finanzpolitischer Sprecher der Fraktion. Er war bei der Diskussion um eine neue Fraktionsspitze in der engsten Wahl, hat aber zugunsten von Toni Hofreiter verzichtet. Bei der Aufstellung der baden-württembergischen Landesliste für die Bundestagswahl hatte Schick Noch-Parteichef Cem Özdemir beim Kampf um den Spitzenplatz herausgefordert, war ihm aber unterlegen.


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9 Kommentare verfügbar

  • Klaus
    am 17.10.2013
    Antworten
    Was auch in nächster Zeit passiert, die Geschichtsschreibung läuft jeden Tag unerbittlich mit.
    Dort wird einst geschrieben stehen, dass ein einfältiges und machtversessenes grünes Würschtle namens Kretschmann Stuttgart durch eine aufgezwungene Milliardenfehlplanung in eine unfassbare Apokalypse…
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