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Endspurt mit Zahnpasta

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Angela Merkel hat sich vor dem Rennen die Zähne geputzt. Nur so konnte es sein, dass die Kanzlerin gewonnen hat – schwebend, als würden ihre Füße den Boden berühren. Radioreporter Dieter Baumann hat ihren triumphalen Lauf für Kontext verfolgt.

Die letzte Runde. Angela Merkel läuft allein vorneweg. Was für ein Abstand. Und jetzt, der Kampfrichter hat die Glocke angeschlagen, für Angie. Und wie sie läuft, da liegt geradezu die Frage in der Luft: Hat sie sich etwa die Zähne geputzt? Schauen Sie doch hin, ihre Füße berühren kaum den Boden. Locker, leicht.

Mit einem Wort: Sie läuft majestätisch. Wie beim großen TV-Duell. Im Anschluss daran hätten wir die Monarchie ausrufen können, allein der schwarz-rot-goldenen Kette wegen. Okay, der Mann der SPD, Peer Steinbrück, hat unmittelbar nach dem TV-Duell Boden gutgemacht. Es war ein Zwischenspurt in der vorvorletzten Runde. Doch sind wir ehrlich, es war kein wirklicher Antritt, es war zu zaghaft. Mehr für die Galerie auf der VIP-Tribüne, um zu zeigen, ich bin auch noch da. Mehr war es nicht.

Merkel, schauen Sie, läuft jetzt 60 Meter vor dem Feld. Sie ist schon fast durch die ganze Kurve gelaufen, und erst jetzt ertönt die Glocke der letzten Runde für Steinbrück. Erst jetzt! 60 Meter hinter der CDU in die letzte Runde. Was für eine Enttäuschung! Aber die eigentliche Überraschung sind die weiteren Verfolger: die Grünen mit der Staffelbesetzung Trittin und Göring-Eckhardt und die Linke mit der entrückten Wagenknecht, von der ich sagen muss, alle Vorurteile haben sich bestätigt: Sie kann sich nicht plagen.

Brüderle – schauen Sie, wie der Kerl wankt

Oh, was ist das? Brüderle? Nein, das sieht nicht gut aus, was der Liberale dort macht. Offensichtlich hat die Feinabstimmung auf das Rennen gefehlt. Er ist weit abgeschlagen. Merkel könnte ihn überrunden. War es Übertraining im Höhenlager? Zu viel gewollt, zu hart trainiert. Ja, ein alter Spruch aus der Trainingslehre fällt mir ein: Die meisten schlechten Leistungen kommen von zu viel Training, nicht von zu wenig. Brüderle, Brüderle, schauen Sie, wie der Kerl hin und her wankt.

Vielleicht hätten sie bei der FDP doch einen Jüngeren ins Rennen schicken sollen. Dirk Niebel zum Beispiel. Als Entwicklungshilfeminister hätte er alle Zugänge zu den Ausdauerspezialisten der afrikanischen Welt gehabt. Gut, die hätte Westerwelle auch, aber haben Sie ihn in den letzten Wochen gesehen? Nein, Westerwelle ist nicht im Rennen. Kein Ahnung, was da los ist. Vielleicht bekommen wir ja noch eine Info aus der Kabine der FDP dazu.

Zurück zu Niebel: Ein Abstecher nach Kenia, ins Läuferland, hätte gereicht, und die FDP wäre in der Spitzengruppe. Ganz sicher. Einmal nur mit den Kenianern mittrainiert, und schon wüssten der Niebel und die ganze FDP, dass alle Läufer Afrikas zwar pole, pole zu ihrem Training sagen, also langsam, langsam, dass dieses "langsam" aber relativ gesehen doch schnell ist. Die FDP hat es umgekehrt gemacht. Sie sagt schnell und meint langsam.

Doch zurück zur Spitze, zur CDU, zu Angela Merkel. Sehen wir hier die beste Angie, die es je gab? Oder waren die anderen so schlecht? Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, meine Damen und Herren, das soll die Leistung von Merkel nicht schmälern, Gott behüte. Schauen Sie doch, noch 100 Meter sind für Angela Merkel zu laufen. 100 Meter, und Steinbrück?

Ach, sieht der schlecht aus. So geht es mit Athleten, die mehr wollen, als sie können. Die zu hohe Erwartungen haben. "Der Sieg oder gar nichts", sagte er noch vor dem Rennen. Nun, wo noch 150 Meter zu laufen sind, ist er starr vor Eitelkeit geworden. Er hat sich aufgegeben. So ist das, wenn man keine Alternativen kennt: Sieg oder nichts. Einen Plan B hatte er nicht. Es wird nicht der Sieg, das erkennt er jetzt, es bleibt das Nichts. Gleich wird er stehen bleiben.

Im Training sind die Linken Weltklasse

Die Grünen! Der Abstand wird geringer zu Steinbrück. Vorne Merkel, sie ist durch, sie wird gewinnen, doch der Kampf um die Plätze hat begonnen. SPD, die Grünen, und ist es denn zu fassen, die Linke. Lassen Sie mich noch einen Satz über diese Außenseiter verlieren. Diese Zeit muss sein. Sind wir ehrlich, die Linke hätte es verdient. Allein der Vorbereitung wegen: Weltklasse, kann ich nur sagen. Die Inhalte , also Trainingsinhalte: hervorragend.

Alles für die kleinen Läufer. Menschen, die wenig Talent haben und doch beim Wettbewerb mithalten wollen oder müssen. Leute wie du und ich. Aber wieder einmal hat sich gezeigt: Training ist Training und Wettkampf ist Wettkampf. Der Linken mangelt es an Glaubwürdigkeit. Die Leute nehmen "die Linke" nicht ernst. Glauben der Wagenknecht nicht, dass sie sich plagen kann. Schwitzen, klotzen, reinhauen, nein, das kann sie nicht. Sie läuft, aber mehr auch nicht. Sie sieht nett aus, etwas kühl, unnahbar, aber sie läuft ohne Anstrengung. Training ist Training und Wettkampf ist Wettkampf.

Meine Damen und Herren, die FDP ist noch im Rennen. Jetzt endlich geht auch die FDP in die letzte Runde. Westerwelle! Ist das Westerwelle? Er hat Brüderle einen Rollator gegeben. Oder war es Rösler. Beide stehen im Innenfeld. Sie rufen ihm etwas zu. Niebel, wo ist Niebel? Ach ja, hier auf der VIP-Tribüne. Er hat einen Teppich um seine Hüften geschlungen, offensichtlich fröstelt er.

Merkel hat noch vierzig Meter und einen Vorsprung von 50 Meter. Ihre Mundwinkel gehen nach oben. Es könnte ein Lächeln sein. Unglaublich, ein Lächeln. So einfach kann laufen sein. Ich lege mich fest: Wir sehen die beste Angie, die es je gab. Und was für eine Taktik! Bewundernswert, allein der Einsatz ihrer Tempomacher. Die aber nicht wie in den alten Lauflehrbüchern stur das Tempo hoch hielten, nein, Angela Merkel hat Geschichte geschrieben, weil ihre Pacemaker unterschiedliche Aufgaben hatten. Mal wurde ein scharfer Zwischenspurt eingeschoben, der SPD der Mindestlohn aus der Hand genommen und derart angezogen, dass den Genossen die Luft ausging. Dann wurde getrödelt, um dann, aus heiterem Himmel, einen schnellen 1000-Meter-Abschnitt in Sachen Atomausstieg einzulegen, so dass selbst den Grünen das Nachsehen blieb. Wie üblich sind die Tempomacher längst ausgestiegen: Norbert Röttgen, Stefan Mappus, David McAllister. Angie wird gewinnen. Denkt sie im Moment des Triumphes an ihre Pacemaker? Gilt das Lächeln auch ihnen, ein Dankeslächeln? Bestimmt!

Was ist das? Steinbrück läuft nicht mehr. Noch 70 Meter bis zum Ziel. Die Grünen kommen. Die Linke biegt auch schon auf die Zielgerade ein. Steinbrück! Er hält sich den Bauch, nein die Wade, oder ist es der Kopf. Bei ihm sieht alles gleich aus. Zum Laufen auf jeden Fall zu schwer. Zu viel Krafttraining. Zu viel Fettnäpfchen. Das geht auf die Wade. Helmut Schmidt ist auf die Bahn gerollt. Mit dem Rollstuhl. Er raucht. Ja, ist es denn zu fassen? Er schlägt mit einem Spazierstock nach Steinbrück. Hält er sich deshalb den Kopf? Es geht alles so schnell, aber Steinbrück läuft, unglaublich.

Özdemir hat sich fit spritzen lassen, die Schmerzen werden stärker

Die Grünen kommen nicht ran. Trotz Steinbrück, trotz Staffelteam. Das war nix. Gar nichts. Sie wollten zu viel und hatten noch Verletzungssorgen. Extra für dieses Rennen hat sich Cem Özdemir fit spritzen lassen. Ein Hexenschuss. Doch es war selten gut, kurz vor dem Wettkampf zur Spritze zu greifen. Hinterher kehren die Schmerzen nur noch stärker zurück.

Merkel ist im Ziel. Souverän. Aber was macht sie jetzt? Meine Damen und Herren, sie läuft zurück. Ja, so kennen wir sie. Mal hin, mal her, mal vor und mal zurück. Unsere Bundeskanzlerin. Zweiter Platz geht an Steinbrück. Er ist mit einem blauen Auge davongekommen. Wahrscheinlich von Schmidts Stockhieb. Knapp vor den Grünen und der Linken.

Aber warum freut sich keiner? Sie blicken zurück, Merkel hinterher, die Brüderle entgegenläuft. Brüderle, er hat noch 200 Meter. Westerwelle und Rösler laufen im Innenfeld mit. Nein, sie laufen nicht, sie gehen. Brüderle am Rollator. Immer wieder hebt er triumphierend den Arm, was ihn etwas aus dem Gleichgewicht bringt. Er wankt, aber er feiert, sich, er feiert Westerwelle, Rösler und die FDP. Sie schaffen es. Merkel lacht.

 

 

Dieter Baumann (48), Goldmedaillengewinner über 5000 Meter bei den Olympischen Spielen 1992, Zahnpasta-Opfer, Beiratsmitglied von Kontext, ist vor vier Jahren ins Kabarettfach gewechselt. Mit seinen Stücken "Körner, Currywurst, Kenia" sowie "Brot und Spiele" tritt er bundesweit auf.


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1 Kommentar verfügbar

  • KChristoph
    am 15.09.2013
    Antworten
    Danke.
    Wann wird es so ein feines Gebilde mit solch feinen Texten im Norden, in der Region Hannover geben ?
    Hoffendlich nicht erst dann, wenn "Hannover 21" über uns hereinbricht ...
    Herzliche Grüße !
    http://t3n.de/aggregator/endspurt-mit-zahnpasta-den-wahlberechtigten-it-menschen-gewidmet
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