Lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen. Sie lautet: Was tun wir hier? Hier in diesem Festsaal – und verleihen Preise an Reporter, an Menschen, die in Text und Bild und Ton Geschichten erzählen. Feiern wir Leistungen, die ohne Frage erheblich sind, die aber vielleicht niemand mehr braucht? Ergötzen wir uns an etwas, das wir schön, großartig, beeindruckend finden, das aber nur noch uns interessiert? Geschichten – was ist das schon? Reportagen? Ich hörte, "die Branche" sei kaputt, Print tot, Digital doof und das, was wir schaffen und lieben, sei heute auch in 84 Zeichen – der durchschnittlichen Länge einer SMS nämlich – zu erzählen? Sind wir schon Teil der Vergangenheit und können uns nur nicht davon lösen?
Nein, zum Abschiednehmen sind wir gewiss nicht hier.
Ich bin mit dem Wissen und in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass Geschichtenerzählen überhaupt das Größte ist. Geschichten – so erzählt, dass ich das Gefühl hatte, ich wäre ein Teil davon, mindestens als Beobachter dabei. Mein Großvater Henri Nannen hat mir das vorgelebt. Hat mir gezeigt, dass Losgehen, Hinschauen, Hinhören und dann Zurückbringen, Aufschreiben, wie die Welt riecht, wie sie schmeckt und schillert und stinkt und verreckt, Glück bedeutet. Dass, wer mit der unbelichteten Seelenplatte und einer gewissen Demut rausgeht, immer wieder überrascht wird. Von Nannen und seinen Kindern, den "Stern"-Reportern, konnte ich lernen, dass Abenteuer auf den warten, der sich um sie bemüht und der bereit ist, sich auf sie einzulassen. Ganz gleich, ob er dazu nach Madagaskar reist oder nur um die Ecke geht. Zum Beispiel in die Berliner Bahnhofsmission oder in den Berliner Stadtteil Neukölln.
Es kommt auf das Gefühl für eine Geschichte an, auf die Empathie, die man ihr entgegenbringt und die dann den bloßen Fakten – die ordentlich recherchiert sein müssen – Leben einhaucht. Ich wusste früh von dem Glück des Reporters, der all das sehen darf und der ein Gespür dafür entwickelt, welche Worte, welche Fragen, welches Licht und welche Kameraeinstellung ihm helfen würden, das Gesehene zu transportieren. Davon erfährt, wer ihren Geschichten lauscht. Glück, das sich mit der Hoffnung verbindet, die Welt ein kleines bisschen verständlicher und ein kleines bisschen weniger gemein zu machen.
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Andromeda
am 27.05.2015