Die Pressebengels zählten sich bisher nicht zum Proletariat. Sie sahen sich als Individualisten, die ihr Produkt im Kopf schufen, frei von den Fesseln kapitalistischer Arbeit und damit sogar noch Geld verdienten. Das schien eine schöne Zeit. Sie mussten sich nur um sich und nicht um den anderen kümmern, sie hatten Jobs und manche sogar kluge Gedanken, bis deutlich wurde, dass viele ihrer Arbeitgeber daran kein Interesse hatten. Daraus erwuchs ein gewisses Umdenken, eine Art von Solidarität, die sich im Anschluss an Arbeitnehmerorganisationen ausdrückte. Die einen traten dem Deutschen Journalistenverband (DJV) bei. Dort trafen sie auf Chefredakteure, Ressortleiter und sonstige leitenden Redakteure, womit klar war, dass hier nicht die Internationale gesungen wurde. Die anderen gingen zur Deutschen Journalistenunion (dju), die rote Fahnen und Redaktionsstatute im Programm hatte, aber auch die Gewähr, selten Chefredakteur werden zu können.
Beide Organisationen leiten nun einen Streik an, der schon jetzt, wegen Länge und Inhalt, außergewöhnlich zu nennen ist. Außergewöhnlich auch deshalb, weil das weniger an den Funktionären als an den bisher Funktionierenden liegt: den Journalisten. Denn hier ist keine IG Metall am Werk, die ihre Malocher in den Kampf schickt. Hier handelt es sich um eine berufsständische Organisation (DJV), deren südwestdeutscher Vorsitzender lieber in der Redaktion bleibt, um das Blatt abzufüllen. Und die tapfer werkelnde dju, inzwischen in Verdi aufgegangen, ist im Gesamtladen der Gewerkschaft eine kleine Nummer, die stolz sein muss, wenn der Vorsitzende Frank Bsirske einmal seine Aufwartung macht (am Freitag, 12. August, vor dem Verlagsgebäude des "Schwarzwälder Boten").
In München, in Berlin und im Osten arbeiten die Kollegen munter weiter
Den Verlegern ist das nicht verborgen geblieben, weshalb sie ungeniert mit einem dreisten Minusangebot in die Tarifverhandlungen gegangen sind. Fünf Prozent weniger für die Alten, 25 Prozent weniger für die Jungen, Abstriche beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld – das würde sich kein anderer Arbeitgeberverband in der Republik trauen. Sie haben es getan, weil sie, wieder einmal, auf die Schwäche der Journalisten-Vertreter und der Vertretenen gebaut haben. Und sie haben sich zum ersten Mal getäuscht – in Baden-Württemberg, dem gallischen Dorf. Nur deshalb fühlen sie sich bemüßigt, mit sich ernsthaft reden zu lassen (das nächste Mal am 17. August).
Während in München und Berlin und im Osten sowieso business as usual ist, sind hier die Journalisten seit drei Wochen im Ausstand. Wahrscheinlich fühlen sie sich wirklich wie Asterix und Obelix, während um sie herum die Römer weiter lärmen. Bei der "Süddeutschen" haben sie zwar urabgestimmt, aber brav weiter geschafft, bei den Hauptstadtgazetten ("Tagesspiegel", "Berliner Zeitung") ernten Ausständige nur Schulterzucken. Die Schwaben sind's, die in einer Gläsernen Redaktion an der Stuttgarter Königstraße sitzen, bloggen, chatten, Flugblätter und Zeitungen drucken und mit den Menschen sprechen, die aus dem Blickfeld der Blätter zu verschwinden drohen. Mancher Passant auf der Einkaufsmeile wird sich gewundert haben, als er Geld für die Not leidenden Verleger spenden sollte, weil er Zeitungen – zu Recht – für hochprofitable Unternehmen gehalten hat. So verzeichnete die Südwestdeutsche Medienholding ("Süddeutsche Zeitung", "Stuttgarter Zeitung", "Stuttgarter Nachrichten") noch im Krisenjahr 2009 einen Jahresüberschuss von<link file:4064 _blank download> fast 18 Millionen Euro. Aber der Spaß löste sich bald auf, als dem Passanten erklärt wurde, dass die Lizenz zum Gelddrucken nicht in das mündet, was der Leser erwarten darf: eine gute Zeitung. Und dafür wollten die Produzenten werben. Sie setzten sich zuvörderst für einen Qualitätsjournalismus ein, sagen die Streikenden, und erst danach für mehr Geld.
Das Publikum merkt, wenn es für mehr Geld weniger Inhalt bekommt
Das ist sinnvoll, denn das Publikum ist nicht dumm. Es merkt, wenn es für höhere Abogebühren weniger Inhalt bekommt. Und es bestellt zunehmend ab. Die Journalisten merken, dass sie in dieser Abwärtsspirale gefangen sind, an deren Ende das Aus für die gedruckte Zeitung eingeläutet wird. Das Bedrucken toter Bäume, hören sie von Chefredakteuren, sei nicht mehr zeitgemäß. Stattdessen sollen sie im Netz Kleinteiliges in Zeitfenster stellen, die alle zwei Stunden aktualisiert werden, als säßen sie bei Nachrichtenagenturen. Dabei hocken sie nur in Newsrooms, denen etwas Karnickelhaftes anmutet und der Ruf vorauseilt, die Kommandozentrale der Chefs zu sein. Individualität, Analyse, Recherche stören nur, wenn die Gesetze der industriellen Produktion auf ein Kulturgut angewandt werden.
Dieser Takt wird immer schneller, viele fühlen sich wie Charlie Chaplin im Räderwerk und haben darin ein Gefühl der Ohnmacht entwickelt, das Alternativen ausblendet. Und die Angst verstärkt. Der Absturz, der aus der Betrachterperspektive wahrgenommen wird, wenn überhaupt, wird real für die eigene Biografie. Was wird aus Familie, Wohnung, Auto, wenn ich weggespart werde? Das lähmt einerseits, macht geschmeidig andererseits und beschleunigt den Mainstream, der Medienerzeugnisse so austauschbar werden lässt.
Die StN-Kollegen trotzen den Molitors in Möhringen
In einem Arbeitskampf, der Prozente hintanstellt, brechen solche Fragen auf. Individuell und kollektiv. Plötzlich erkennt der Feuilletonist, dass der Wirtschaftsredakteur nicht anders tickt als er, dass der Gegner nicht im eigenen Ressort, sondern ein paar Stockwerke höher präsidiert. Der ist mit einer noch höheren Schlagzahl nicht zu beeindrucken, allenfalls mit dem aufopferungsvollen Einsatz als Streikbrecher. So wird das Gemeinsame mehr, das Einzelne weniger, und so reifen Pläne, die in deutschen Redaktionsstuben als geradezu revolutionär bezeichnet werden können. Vor allem dann, wenn sie in jene der "Stuttgarter Nachrichten" (StN) einzögen.
Im DGB-Haus, in dem sich vergangene Woche wieder 500 Redakteure aus dem ganzen Land versammelt haben, sind die StN-Kollegen die radikalsten. Sie sagen, sie wollten weiter streiken, bis zur nächsten Verhandlung, womit sie sich nicht durchsetzen können. Sie sagen, sie wollten sich nicht länger von den Molitors in Möhringen vorschreiben lassen, was sie schreiben sollen. Sie sagen, sie wollten Konferenzen haben, auf denen diskutiert und nicht dekretiert wird, und sie nehmen sogar das Wort "Redaktionsrat" in den Mund. Die Älteren erinnern sich: Das war eine Forderung der dju, in den 70er-Jahren, als das Thema innere Pressefreiheit noch eines war.
So schlimm wird es für die kinnstarken Entscheider im Pressehaus nicht kommen. Aber leichter wird es für sie nicht.
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