Noch 2009 war das Unternehmen, das nun Cision hieß, Weltmarktführer unter den klassischen Ausschnittfirmen. Längst hatte man auch weitere Geschäftsfelder aufgetan: 1998 war der Radio- und Fernsehauswerter Media Control in Baden-Baden übernommen worden, es gab den Argus Analyse Service, und auch in der Welt des Web 2.0 fühlte man sich gut aufgestellt bei Argus in Kornwestheim, wo die Firma nun ihren Sitz hatte.
Als die Schweden 2010 an die dänische Infopaq A/B verkauften, gab es zur erneuten Umbenennung (Infopaq Deutschland GmbH) noch vollmundige Versprechungen vom neuen Eigentümer. In der Realität zeigte sich ziemlich bald: Der skandinavische Deal markierte den Beginn der Leidenszeit für die damals noch etwa 250 Beschäftigten.
Der soziale Rechtsstaat ist für eine von Missmanagement geplagte Belegschaft nur eine sehr theoretische Stütze. Zwar heißt es im berühmten Artikel 14 des Grundgesetzes: "Eigentum verpflichtet." Aber zu was? Auf unternehmerische Entscheidungen kann der Betriebsrat kaum einwirken.
Die dänischen Herren entsprachen so ganz und gar nicht dem Bild vom solide wirtschaftenden Nordeuropäer, einem Mythos, der nicht nur von Leuten wie Thilo Sarrazin gepflegt wird. Auch der bei den Skandinaviern vermutete "Sozialkapitalismus" war noch nicht mal in Spurenelementen vorhanden. Bald verlegten sie die Radio- und TV-Auswertung von Baden-Baden nach Frankfurt/Oder, wo niedrigere Löhne und wohl auch Fördergelder lockten. Traurig und verbittert, die Abschiedsmail der Entlassenen an ihre KollegInnen in Kornwestheim: "Liebe Kolleginnen und Kollegen in Kornwestheim. In Baden-Baden gehen heute endgültig die Lichter aus. Viele Jahre Missmanagement haben dahin geführt, wohin sie führen mussten. Zahllose Anregungen und Verbesserungsvorschläge aus der Belegschaft und vonseiten des Betriebsrates wurden beharrlich ignoriert. Ausbaden dürfen dies nun alleine wir."
Der Betriebsrat war am Rand der Verzweiflung
Dann wurde das Kerngeschäft, der Ausschnitt-Dienst, "globalisiert". Zu Beginn sah das so aus: Ein Kurier flog mit Koffern voller Zeitungen von Stuttgart nach Tallinn (Estland); dort wurden die Blätter gescannt, danach die Scans per Leitung nach Vietnam weitergeschickt. Im Fernen Osten wurden die Datenträger maschinengerecht segmentiert, dann von Suchmaschinen ausgewertet. Deren Ergebnisse wanderten nach Kornwestheim, wo nur noch die – allerdings bitter nötige – Qualitätskontrolle stattfand. Danach wurden in Estland die Originalzeitungen ausgeschnitten; Handarbeit für die Hilfsvölker der EU.
Die Kunden mussten oft einen Monat auf ihre Presseauszüge warten. Dieser "Workflow" erinnert weit eher an erfundene Horrorszenarien extremer Globalisierungskritiker als an Strategien kühl kalkulierender Kaufleute. Dazu kommt: Presseartikel, also sprachgebundene Erzeugnisse geistiger Arbeit, wurden hier wie T-Shirts behandelt.
Es kam, wie es kommen musste: Die Kunden wanderten scharenweise zur Konkurrenz ab, erneute Entlassungen, die Talfahrt beschleunigte sich dadurch noch.
Zwar versuchte man auch neue digitale Produkte zu entwickeln, die konnten die Verluste im Kerngeschäft aber bei Weitem nicht wettmachen. Der Betriebsrat war am Rand der Verzweiflung. Nach einem Jahr Infopaq schrieb er der Belegschaft: " Es bleibt die Hoffnung, dass nach über einem Jahr brutalem wirtschaftlichem Druck, nach großer Unsicherheit, nach fragwürdiger Verteilung unserer Arbeit über die halbe Welt, nach Unterordnung von Erfahrung und Wissen unter Blaupausen und Strategien irgendwann die Menschen wieder an Boden gewinnen."
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Jacob Stefan Nielsen
am 30.12.2013