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Pauluskirche in Stuttgart-West

Günstiges Interim

Pauluskirche in Stuttgart-West: Günstiges Interim
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Die Evangelische Landeskirche will sich von jeder dritten Kirche in Stuttgart trennen. Im Bezirk Stuttgart-West soll die Pauluskirche daran glauben. Ein Komitee kämpft für den Erhalt.

Das Dach der Pauluskirche ist wieder dicht, das Parkett im Gemeindesaal notdürftig repariert. Wasserschäden an Decken und Wänden bleiben, die hat die Versicherung nicht übernommen. Das mit der Sanierung der Außenstützen beauftragte Bauunternehmen hat die Abwasserrohre, in die Beton geflossen war, reparieren müssen. Doch das weitere Schicksal der Kirche im Stuttgarter Westen bleibt ungewiss.

"Noch 5 Mal Weihnachten, dann ist hier Schluss", hatte das Komitee "Paulus hat Zukunft" im Herbst 2023 auf ein Banner über dem Kircheneingang geschrieben. Dreimal Weihnachten sind vorbei, und die Zukunft der Kirche steht immer noch in den Sternen. Die Evangelische Landeskirche macht Druck. Die Gesamtkirchengemeinde Stuttgart soll verzichtbare Kirchen benennen. Jede dritte soll weg, ob verkauft oder abgerissen, sonst will sie auch für den Unterhalt der anderen nicht weiter aufkommen.

Ausgabe 720 vom 15.01.2025

Eine Kirche kämpft ums Überleben

Von Dietrich Heißenbüttel

Die Evangelische Landeskirche hält die Pauluskirche im Stuttgarter Westen für verzichtbar und will den Abriss. Eine Initiative hält dagegen. Als Kompromiss sollte eine Sanierung der Außenstützen fünf Jahre Zeit bringen. Doch schlampige Bauarbeiten machen alles nur noch schlimmer.

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Das Paulus-Komitee möchte den Bau dagegen erhalten und einer erweiterten Nutzung zuführen. Um den Übergang zu gestalten, hat die Initiative im Sommer einen Antrag bei der Allianz für Beteiligung gestellt: ein von der früheren Staatsrätin Gisela Erler angestoßenes Netzwerk, das Bürgerbeteiligung fördert. Doch die Stadt hätte ihr Scherflein beitragen müssen, und die sagt njet. Zuerst müsse die Finanzierung geklärt sein, meint Sozialbürgermeisterin Alexandra Sußmann (Grüne), sonst bestehe die Gefahr, dass die Beteiligung ins Leere laufe. Dabei hätte diese doch dazu dienen sollen, den Bedarf und die Finanzierung zu klären. 

Die Stadt selbst könnte dabei eine entscheidende Rolle spielen. Bezirksvorsteher Bernhard Mellert sucht händeringend nach Räumen, da das Bürgerzentrum West ausgelastet ist. Eine Arbeitsgruppe schlägt vor, die Stadt solle die Kirche zwei Tage pro Woche mieten. So könnten alle bisherigen Aktivitäten weiter stattfinden und viele weitere dazu. Mellert wäre dabei. Die Grünen im Gemeinderat haben bereits vor mehr als zwei Jahren einen entsprechenden Antrag gestellt, der aber nach wie vor unbeantwortet bleibt. 

Zu allem Überfluss kam es jetzt auch noch zu Unregelmäßigkeiten bei der Kirchengemeinderatswahl. Ganze Straßenzüge haben keine Wahlunterlagen bekommen, und zwar vor allem im Bezirk der Pauluskirche. Und tatsächlich wurden von fünf Vertreter:innen aus diesem Bezirk nur zwei wiedergewählt. Julia Keinarth, die Sprecherin der Initiative, bleibt drin, will aber die Wahl anfechten. Ob sie wiederholt wird, steht damit noch nicht fest. Darüber kann der Kirchengemeinderat nach eigenem Gutdünken befinden. 

Die Kirche hat kein Geld, die Stadt hat kein Geld. Wer soll also für den Erhalt der Kirche aufkommen? Man kann die Rechnung auch anders aufmachen. Auf 1,5 Millionen Euro hat die Kirche vor drei Jahren die notwendigen Sanierungsmaßnahmen beziffert. Selbst wenn es drei werden: Drei Stuttgarter Orchester suchen im Moment Ausweichräume, weil sie selbst renovieren müssen. Sie hatten das Rilling-Areal in Bad Cannstatt vorgeschlagen. Das würde weit über 100 Millionen Euro kosten. Könnten sie nicht in die Pauluskirche ausweichen?

Die Pauluskirche ist der größte Saal im Stuttgarter Westen nach der Liederhalle. Er hat eine hervorragende Akustik, wie eine Vorführung des Films "Hallelujah" von Mauricio Kagel im April gezeigt hat – der SWR berichtete. Jetzt schon proben in der Kirche ein siebzigköpfiges Sinfonieorchester und ein fünfzigköpfiger Chor, die zusammen kürzlich das Mozart-Requiem aufgeführt haben, vor rappelvollem Saal. 

"Ein großartiger Raum", findet auch der frühere Grünen-Fraktionsvorsitzende im Gemeinderat Andreas Winter, Leiter des Freien Musikzentrums im Stadtteil Feuerbach. "Wenn das Gustav-Siegle-Haus saniert werden muss, könnte er vielleicht ein günstiges Interim oder mehr für das Orchester der Stadt sein. Wäre eine Prüfung wert, auch ohne angespannte Situation."

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