Sie ließ nicht zu, dass in ihrer Anwesenheit vage herumgestochert und gestottert worden wäre. Der Gedanke hatte klar zu sein. Er hatte auf dem Weg zu seiner Äußerung, spätestens da, klare Form zu gewinnen. Er verlangte deswegen nach bedächtiger Rede, in der die Rednerin den Zuhörer direktest möglich anging, das aufnehmend, was sein Zweifel oder gar Einwand gewesen sein mochte. Anders als bei ihrem impulsiv vorwärts drängenden Freund und Mentor spürte der Gast die Anstrengung des Begriffs, der Walther sich unterwarf beim Versuch, dem Gast Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ihm aber deutlich zu machen, was radikales Existenz-Denken konnte und musste. Das Denken war scharf und musste scharf sein, das war die Gedankenführerin ihm, dem Denken, schuldig. Doch es war ruhig. So brachte sie es vor, dass es Widerspruch nur in ähnlich kristallener Formung zuließ.
Zum selben Kritischen Jahrbuch hat Elisabeth Walther eine Besprechung von Nathalie Sarrautes Les fruits d'or (1963) beigesteuert. Dort können wir lesen:
Was heißt aber: "an Literatur anknüpfen?" Es heißt nichts anderes, als daß Madame Sarraute ... die Techniken und Methoden ihrer Vorgänger sorgfältig studiert und eigene Techniken und Methoden entwickelt hat, ..."
"Techniken und Methoden", Formendes also. So schreitet Literatur voran, wie Elisabeth Walther sie sieht und wohl auch wünscht, jedenfalls schätzt. Als Entwicklung des Form-Aspektes. Der Inhalt, die Erzählung, die Narration, die heute doch, gelegentlich zumindest, im Vordergrund stehen, rücken eher in den Hintergrund. Die Techniken und Methoden nämlich machen "die Grundlagen ihrer [Sarrautes] literarischen Arbeit aus." Walther fährt in verteidigender Haltung fort:
Doch wenn man so urteilt, gehört man hierzulande schon zur Gruppe derer, für die Methoden und Techniken wichtiger sind als die "Seele des Menschen", das "Humane", der "Held", das "Schicksal", und was sonst noch zur Unterhaltung gefordert wird, ...
Die Seele der Stuttgarter Schule
Unterhaltend zu sein, das ist nicht Aufgabe der Literatur. Experimental zu sein, das wäre durchaus angebracht. Diesen Geist der Stuttgarter Schule vertritt Elisabeth Walther sehr ausdrücklich. War sie vielleicht mehr als Max Bense, der große Anreger und Vorgeber, die Seele (oh je!) jener als Gruppe gar nicht existierenden, aber doch wirkenden intellektuellen Energie?
Geist, Natur und Technik unter dem einenden Dach der Semiotik galt es zusammenzubringen, zu versöhnen. Das geschah in der avantgardistischen Zeitschrift "Augenblick", die fünf Jahre lang existierte und in der alle etwas schrieben, die etwas geworden sind. Das geschah in ihren Bemühungen um den französischen Dichter Francis Ponge und in der Reihe "rot". Dafür gab es die Forschungsgruppe für Semiotik und Wissenschaftstheorie an der Universität Stuttgart und die Zeitschrift "Semiosis". Und bald nach Benses Tod brachte Elisabeth Walther bei Metzler in Stuttgart vier wundervolle Bände mit Ausgewählten Schriften heraus.
Max Bense bekam etwas zugeschickt, auf Spanisch oder Katalanisch. Jemand musste das für ihn übersetzen. "Ich werde es versuchen", sagte sie. Als sie den übersetzten Text ablieferte, fragte Bense sie, was sie studiere. Auf die Antwort "Romanistik" hin befahl er: "Ab morgen Philosophie!" Was sie befolgte. So erzählte sie die Begebenheit. Elisabeth Walther hat aus dem Hintergrund heraus still gewirkt in feiner zurückhaltender Einfühlung. Sie war selten geworden. Sie liebte Rosen, Aprikosen und Königsberger Klopse. Viele Schüler Benses verdanken ihr viel.
Der vollständige Nachruf ist <link https: zkm.de blog erstens-zweitens-drittens-zum-tod-von-elisabeth-walther-bense external-link-new-window>im Blog des ZKM nachzulesen.
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!