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Im Reich der Zeichen

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Im Alter von 95 Jahren ist Elisabeth Walther bereits am 10. Januar gestorben. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit. Sie war viel mehr als die Frau an der Seite von Max Bense, wie der Nachruf des Computerkunstpioniers Frieder Nake zeigt, den Kontext in Auszügen veröffentlicht.

"Sie war Mitarbeiterin am Werk ihres Doktorvaters, Dienstherrn, Freund, Kollegen und seit 1988 Gatten Max Bense (gestorben 1990) und führte seit dessen Tod das zu bedeutenden Teilen auch gemeinsame Werk fort." Das bekommen wir im Wikipedia-Eintrag über Elisabeth Walther zu lesen, deren Name in den letzten Jahren mit Hilfe des hierfür gebräuchlichen Bindestriches durch den ihres späten Ehegatten ergänzt wurde. Fortan hieß sie Elisabeth Walther-Bense. Am 10. August 1922 war sie in Oberweißbach in Thüringen geboren worden. Am 10. Januar 2018 ist sie in Stuttgart gestorben, im Alter von 95 Jahren.

Sagen solche harmlos-bedeutungslosen Fakten etwas aus über das Leben von Elisabeth Walther, die sie für mich trotz der späten Namensänderung immer blieb? Sind solche Hinwei­se Zeichen für und Zeichen von einer Frau, die im hohen Alter in Stuttgart starb, wohin sie 1949 aus der "Ostzone", wie sie sagte, gekommen war? Eher sagen sie nichts, jene Daten, wenig jedenfalls. Als Zeichen aber können sie dennoch wirken, indem wir sie deuten.

"Ein Zeichen sind wir, deutungslos", heißt es ahnungsvoll und dunkel in Friedrich Hölderlins Rätselgedicht Mnemosyne, das gar nicht so fern von Stuttgart, in Tübingen nämlich, entstand. Hölderlins allmähliches Verstummen mag sich darin ankündigen, kurze Zeit bevor man ihn in eine Anstalt brachte. Dort allerdings blieb er gar nicht lange, denn sein geistiger Zustand schien Heilung nicht zuzulassen.

Jena-Glas-klar

Wenn Friedrich Hölderlin aber in seinem Gedicht, von dem noch nicht einmal klar ist, welche Zeilen letztendlich zu ihm gehören, eine recht fragwürdige Behauptung aufstellt, als träfe sie ganz fraglos zu ("Ein Zeichen sind wir"), so stellt Elisabeth Walther klar wie Glas aus Jena fest:

Frieder Nake

Foto: Matthias Müller-Prove, CC BY-SA 4.0

Frieder Nake, geboren 1938 in Stuttgart, ist einer der Pioniere der Computerkunst und seit 1972 Professor für Grafische Datenverarbeitung und interaktive Systeme der Universität Bremen. Neben dem Mathematikstudium besuchte er zu Beginn der sechziger Jahre auch Vorlesungen bei Max Bense. Er experimentierte mit der Lochstreifen-gesteuerten Zeichenmaschine Zuse Z64 Graphomat und war damit, zusammen mit Georg Nees, einer der ersten, die Kunstwerke programmierten. (dh)

"Wir verstehen ... unter einem Zeichen etwas, das für etwas anderes steht bzw. etwas anderes repräsentiert und von jemandem verstanden oder interpretiert wird." (im gemeinsam mit Max Bense herausgegebenen Wörterbuch der Semiotik, 1973 bei Kiepenheuer und Witsch erschienen).

Zur Stuttgarter Schule, die nie anders als auf dem Papier und später dann in den Speichern des Internet bestand, zählte sich mancher konkrete Poet, mancher Typograf und Grafiker, manch ein Intellektueller anderer Betätigung. In ihrem Zentrum aber, dem notwendigen, hier aber wohl gar einzigen dinglich festzumachenden Bestandteil einer Schule fanden sich Max Bense und Elisabeth Walther neben dem einen oder anderen Assistenten (männlich oder weiblich). Sofern wir nun jene erstaunliche Schule, mit Strahlkraft über Stuttgart hinaus, als einen Ort der Zeichen und der Semiotik kennzeichnen wollen, müssen wir wohl die Reihenfolge in der Nennung ihrer Zentralgestirne umkehren: Elisabeth Walther und Max Bense.

Keine Frage, stets war sein Name der, den man kannte und den in den 1960er Jahren jeder Intellektuelle in der BRD, der etwas auf sich und von sich hielt, mit bedeutungsvollem Blick aussprach. Die historische Forschung, die nun zweifelsfrei in Stuttgart einsetzen sollte, wird jedoch möglicherweise zu dem Ergebnis kommen, dass die stets bescheiden im Hintergrund stehende und leise überlegt sprechende Walther die Anstöße gab, die Bense dann mit großer Verve aufgriff und kundtat. Jedenfalls war sie diejenige, die für Genauigkeit sorgte, wo ihm mehr an der schicken Formulierung lag.

Gelegentlich einiger freundlich-freundschaftlicher Besuche während des letzten Jahrzehnts in der Heubergstraße, dem letzten Domizil Walthers, wohin ich zu Fuß vom noch nicht durch den Bagger angefressenen Stuttgarter Bahnhof aufbrach, den für Stuttgart typischen Hang hinauf ging, in einer gewöhnlichen Mietwohnung ankam, die durch das vom Buch in vielen Erscheinungen geprägte Interieur jedoch jeder Gewöhnlichkeit entrückt war, tastete ich mich über einer Tasse Kaffee nebst dazu passenden Keksen zu Fragen und Einwürfen ins Gespräch vor, die mir in Jahrzehnten davor in Anwesenheit einer Walther-Bense auf der Zunge gefroren wären. Es waren Fragen oder Einwürfe, die die unbedingte Radikalität der einzig zugelassenen rationalen und aufklärerischen Gedankenwelt schüchtern, wo nicht leicht ängstlich in Frage stellten. Wie mir schien, war solches durchaus begründet, aber eben doch in diesem Ambiente vermutlich völlig fehl am Platz und nur durch Walthers freundliche Toleranz über die Brücke ihres "Nun, gut" zu einer Fortsetzung des Gespräches überleitbar.

Solcher Erinnerung nachhängend, blättere ich am morgendlichen Schreibtisch in einem Schatzkästlein aus längst entschwundenen Tagen der Stuttgarter Schule: Wendelin Niedlichs "Kritisches Jahrbuch 1" von 1966. Ich lese ganz am Ende der Sammlung von Texten: "... um diejenigen Kräfte zu sammeln, zu publizieren, zu mobilisieren, die gegen Trägheit, Konformismus, Opportunismus ihre Kritik ... vorlegen." Das sind Worte der damals 44-jährigen Elisabeth Walther. Dozentin für Systematische Philosophie war sie da an der Technischen Hochschule Stuttgart.

Sie ließ nicht zu, dass in ihrer Anwesenheit vage herumgestochert und gestottert worden wäre. Der Gedanke hatte klar zu sein. Er hatte auf dem Weg zu seiner Äußerung, spätestens da, klare Form zu gewinnen. Er verlangte deswegen nach bedächtiger Rede, in der die Rednerin den Zuhörer direktest möglich anging, das aufnehmend, was sein Zweifel oder gar Einwand gewesen sein mochte. Anders als bei ihrem impulsiv vorwärts drängenden Freund und Mentor spürte der Gast die Anstrengung des Begriffs, der Walther sich unterwarf beim Versuch, dem Gast Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ihm aber deutlich zu machen, was radikales Existenz-Denken konnte und musste. Das Denken war scharf und musste scharf sein, das war die Gedankenführerin ihm, dem Denken, schuldig. Doch es war ruhig. So brachte sie es vor, dass es Widerspruch nur in ähnlich kristallener Formung zuließ.

Zum selben Kritischen Jahrbuch hat Elisabeth Walther eine Besprechung von Nathalie Sarrautes Les fruits d'or (1963) beigesteuert. Dort können wir lesen:

Was heißt aber: "an Literatur anknüpfen?" Es heißt nichts anderes, als daß Madame Sarraute ... die Techniken und Methoden ihrer Vorgänger sorgfältig studiert und eigene Techniken und Methoden entwickelt hat, ..."

"Techniken und Methoden", Formendes also. So schreitet Literatur voran, wie Elisabeth Walther sie sieht und wohl auch wünscht, jedenfalls schätzt. Als Entwicklung des Form-Aspektes. Der Inhalt, die Erzählung, die Narration, die heute doch, gelegentlich zumindest, im Vordergrund stehen, rücken eher in den Hintergrund. Die Techniken und Methoden nämlich machen "die Grundlagen ihrer [Sarrautes] literarischen Arbeit aus." Walther fährt in verteidigender Haltung fort:

Doch wenn man so urteilt, gehört man hierzulande schon zur Gruppe derer, für die Methoden und Techniken wichtiger sind als die "Seele des Menschen", das "Humane", der "Held", das "Schicksal", und was sonst noch zur Unterhaltung gefordert wird, ...

Die Seele der Stuttgarter Schule

Unterhaltend zu sein, das ist nicht Aufgabe der Literatur. Experimental zu sein, das wäre durchaus angebracht. Diesen Geist der Stuttgarter Schule vertritt Elisabeth Walther sehr ausdrücklich. War sie vielleicht mehr als Max Bense, der große Anreger und Vorgeber, die Seele (oh je!) jener als Gruppe gar nicht existierenden, aber doch wirkenden intellektuellen Energie?

Geist, Natur und Technik unter dem einenden Dach der Semiotik galt es zusammenzubringen, zu versöhnen. Das geschah in der avantgardistischen Zeitschrift "Augenblick", die fünf Jahre lang existierte und in der alle etwas schrieben, die etwas geworden sind. Das geschah in ihren Bemühungen um den französischen Dichter Francis Ponge und in der Reihe "rot". Dafür gab es die Forschungsgruppe für Semiotik und Wissenschaftstheorie an der Universität Stuttgart und die Zeitschrift "Semiosis". Und bald nach Benses Tod brachte Elisabeth Walther bei Metzler in Stuttgart vier wundervolle Bände mit Ausgewählten Schriften heraus.

Max Bense bekam etwas zugeschickt, auf Spanisch oder Katalanisch. Jemand musste das für ihn übersetzen. "Ich werde es versuchen", sagte sie. Als sie den übersetzten Text ablieferte, fragte Bense sie, was sie studiere. Auf die Antwort "Romanistik" hin befahl er: "Ab morgen Philosophie!" Was sie befolgte. So erzählte sie die Begebenheit. Elisabeth Walther hat aus dem Hintergrund heraus still gewirkt in feiner zurückhaltender Einfühlung. Sie war selten geworden. Sie liebte Rosen, Aprikosen und Königsberger Klopse. Viele Schüler Benses verdanken ihr viel.

 

Der vollständige Nachruf ist <link https: zkm.de blog erstens-zweitens-drittens-zum-tod-von-elisabeth-walther-bense external-link-new-window>im Blog des ZKM nachzulesen.


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