Eine Kreuzung in Teheran. Ein starrer Blick durch eine Windschutzscheibe. Dann setzt sich der Film respektive ein Taxi in Bewegung, bis ein Passant am Straßenrand winkt. Ein kräftiger Mann um die dreißig und mit Goldkettchen um den Hals steigt ein und gibt sofort und unaufgefordert den rabiaten Scharia-Anhänger. Autodiebe gehörten alle hingerichtet, erklärt er in prollig-protzigem Ton, wird nun aber sanft unterbrochen von einer Frau auf dem Rücksitz. Er solle nicht so schnell über ein Leben richten, sagt sie leise, aber bestimmt. Sie ist ein wenig älter als ihr Kontrahent, gehört offensichtlich einer anderen Schicht an, ist gebildet und eloquent und erklärt ihm nun, niemand sei ein geborener Verbrecher, außerdem gebe es Notlagen. Was sie denn wohl von Beruf sei, will der Fahrgast wissen. Lehrerin, sagt die Frau. Er sei Straßenräuber, sagt der Mann beim Aussteigen und fügt höhnisch hinzu: "Aber Lehrerinnen und Taxifahrer raube ich nicht aus!"
Dieser Taxifahrer, der sich aus der Diskussion herausgehalten hat, kommt nun auch ins Bild. Es ist Jafar Panahi, der Regisseur dieses Films, der im Februar bei der Berlinale den Goldenen Bären gewonnen hat, den Preis aber nicht selber abholen konnte. Bei den iranischen Präsidentschaftswahlen 2010 hatte er die Oppositionsbewegung unterstützt, wurde zunächst ohne Anklage verhaftet, dann zu sechs Jahren Gefängnis und zwanzigjährigem Berufsverbot verurteilt, wartet nun auf die Berufungsverhandlung und darf weder ausreisen noch Interviews geben. Dabei sieht der 55-jährige Panahi gar nicht aus wie ein Rebell, er lächelt gern, wirkt ruhig, gelassen, gemütlich, fast möchte man sagen: knuffig. In "Taxi Teheran" hat er eine Schildmütze auf dem Kopf und schaut mit dunklen, freundlichen Augen in die Welt.
Aber in seinem in Venedig ausgezeichneten Film "Der Kreis" (2000), einer in der Dramaturgie des Reigens inszenierten Geschichte von acht Frauen und einem Tag in Teheran, oder in seinem Drama "Offside" (2006), in dem er die vergeblichen Versuche von Fußballanhängerinnen schildert, sich ins Männern vorbehaltene Stadion zu schleichen, ist auch eine Wut zu spüren. Der öffentliche Raum, so zeigt es Panahi unaufhörlich und in immer neuen Details, ist in diesem Land für Frauen tabu, ja, die bloße Existenz als Frau allein kann schon kriminell sein. Dass nun auch sein eigener Raum extrem eingeschränkt wurde, versucht er zu ignorieren, gibt trotz Verbots weiter Interviews, und vor allem: Er dreht auch weiter. "Ich bin Filmemacher", sagt Panahi. "Ich kann nichts anderes als Filme machen. Mit Kino drücke ich mich aus, es ist mein Leben. Nichts kann mich am Filmemachen hindern." "In "Parde – Geschlossener Vorhang" (2013) hat Panahi seine eigene Situation als Eingeschlossener reflektiert, und schon zwei Jahre vorher hat er im Titel eines Werks die Zensur ironisch unterlaufen: "Dies ist kein Film".
In "Taxi Teheran" macht Panahi nun ein mit drei kleinen Kameras ausgestattetes Auto zum einzigen Handlungsort, und paradoxerweise wird dabei sein mit minimalem äußeren Aufwand produzierter Film, weil der große technische Apparat als Sperre wegfällt, sehr aufnahmebereit und durchlässig. Es ist ein Roadmovie der besonderen Art, in dem der Regisseur das Leben und die Gesellschaft weniger selber "erfährt" denn einlädt. Wer auch immer zusteigt, bringt seine eigene Geschichte mit, und die Enge des Raums, die Verdichtung der Situation lösen allen die Zunge. "Du hast alles geplant und glaubst, ich merke das nicht!", sagt der kleinwüchsige Mann, der Panahi sofort erkannt hat. Und dieser Fahrgast selber? Ist er nun Schauspieler oder tatsächlich Händler von DVD-Raubkopien, der US-Serien wie "The Walking Dead" oder "Big Bang Theory" ebenso im Angebot hat wie neuere Werke von Woody Allen oder Kim Ki-Duk? "Taxi Teheran" entwickelt vor unseren Augen ein faszinierendes Spiel mit der Metaebene, es ist mehr als nur ein semidokumentarischer Film, es ist ein schillernder Grenzgänger, auch weil er immer wieder auf die besonderen Umstände seiner Inszenierung hinweist. "Auf weitere Angaben wird zum Schutz der Beteiligten verzichtet", so ist am Ende statt der Schauspieler- und Stabangaben zu lesen.
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Wolfgang Borgmann
am 23.07.2015Gruß und Vorhang auf
Wolfgang Borgmann