"Kein Auge hat sie ...", sang meine Omi Glimbzsch aus voller Brust für uns Kinder in der Adventszeit – aber eben nur diese fünf Silben. Es war ein Lied zum Kindererschrecken: Wir stellten uns eine augenlose Frau vor, blind, grausam – und baten um Dacapo.
Der ganze Liedtext? Bitte: Zwei Engel sind hereingetreten, kein Auge hat sie kommen sehn. Sie gehn zum Weihnachtstisch und beten – und wenden wieder sich und gehn. Dass sie sich wieder abwenden und gehen, hat uns natürlich ebenso ebenso beschäftigt wie das "kein Auge". Die Engel dieser Tage kommen aus Syrien. Es sind die Waisenkinder, Kriegsopfer und ohne jede Chance, je das christliches Weihnachtsfest zu erleben. Die Engel sind die vergewaltigten Frauen, traumatisierte Jugendliche, Giftgasopfer, Menschen mit Amputationen, Kriegswunden, häuserlos, heimatlos. In einer Art Gnadenakt hat der leider immer noch amtierende Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich entschieden, dass "wir" weitere 5000 syrische Bürgerkriegsflüchtlinge aufnehmen. Der bedauernde Tonfall ob dieser Großtat war nicht zu überhören, der CSU-Mann mag diese Menschen – 5000 von zwei Millionen – als Zumutung empfinden.
Deshalb erfolgte denn auch postwendend eine Art Wiedergutmachung für die rechtslastige Wählerschaft: eine kräftige Watschen für Bulgaren und Rumänen, die frei in Europa umeinanderreisen könnten, dann überall mal kurz haltmachen, die Wäsche von der Leine klauen und die Sozialkassen plündern. Kein Auge hat sie gehen sehn. Mit diesen "Auslassungen" vergreift sich der deutsche Innenminister am Kern der europäische Idee. Im Haus Europa wohnen eben nicht nur die Profiteure, die am internationalen Markt mit deutschen Produkten ganz gut Kohle machen.
Und übrigens, Hans-Peter: Niemand zahlt für Lumpenbuden in den Slums der deutschen Großstädte höhere Mieten als der gepiesackte Rumäne, niemand lässt sich als illegaler Billiglöhner für zwei fuffzig leichter ausbeuten! Freizügigkeit für alle EU-Bürgerinnen und -Bürger ist vertraglich zugesichertes Recht. Alles andere zementiert Ausbeutung und eine menschenverachtende Zweiklassengesellschaft. Im Weihnachtsgepäck von Friedrich stecken jede Menge Gemeinheiten – und kein Auge hat sie kommen sehn.
2 Kommentare verfügbar
Ulrich Frank
am 13.12.2013Wer vorgestern die Berichterstattung über die vom Gericht abgewiesene Klage der Kundus-geschädigten afghanischen Familien miterleben durfte oder vielmehr mußte, bekam ein Auge davon ab wie…