Natürlich blieben die Nebenwirkungen nicht ganz aus – das Kind konnte nicht mehr recht Auswendiglernen, musste dauernd pullern und hatte Kopfschmerzen, wuchs allerdings vom Klassenbesten zum Schulbesten und von da zum Bezirksbesten heran. Vom Klavierunterricht (die Noten hatte Marvin vergessen) durfte er ins City-Fitness-Studio wechseln: Dort erkannte der Coach sofort die Stärken, aber auch die Schwächen des Kleinen. "Hab ich dir's nicht gesagt?", wetterte Marvins Mutter ihren Ex an, "kein Eigenblut?" An der Förderung durch Eltern und Mainstream sollte es nicht liegen – mit dem Stimmbruch kamen Amphetamine, Kokain, Ephedrin und anabole Steroide hinzu, hin und wieder ein Päckle Testosteron aus dem Iran oder – alternativ – Clenbuterol aus Bulgarien. Einfach preiswerter. Als sich bei Marvin Bluthochdruck, Hautausschläge und Nervosität bemerkbar machten, griff man auf Rat der Sportärzte auf alternative und urbane Behandlungen zurück – Magnesium, Kieselerde, Sauerkraut, Grüntee, Kalium und essigsaure Tonerde auf einem Teelöffel lauwarmes Wasser.
Im Flur, im Kinderzimmer, ja selbst auf dem Wasserklosett prangten Marvins Urkunden, Fähnchen, Pokale, Medaillen und Fotos all der Jahre, die stolzen Eltern glücklich in der Mitte der Gesellschaft. Aber irgendetwas stimmte nicht. Marvin sah älter aus, als er eigentlich war. Genau genommen viel älter. Mit 14 sah er bereits wie 35 aus. Tränensäcke unter den Augen, graue Haare, Sorgenfalten.
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