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Gegen das Vergessen in Ostfildern

Kampf um ein offizielles Denkmal

Gegen das Vergessen in Ostfildern: Kampf um ein offizielles Denkmal
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Mehr als drei Jahrzehnte nach dem rassistischen Mord an Sadri Berisha in Ostfildern ist die Forderung nach einem Gedenkort wieder präsent. Zwei Wege entwickeln sich parallel: politischer Druck durch Migrantifa und eine mögliche Bürgerinitiative des Künstlers Klaus Illi. Ein einfacher Weg fehlt bislang.

Die Familie von Sadri Berisha kam im Juni erstmals aus dem Kosovo nach Ostfildern, um an einer Gedenkveranstaltung des Künstlers Klaus Illi für ihren Vater und Großvater teilzunehmen. Seitdem hat sich eine Gruppe von Aktivist:innen mit der Familie vernetzt und versucht, den politischen Druck aufrechtzuerhalten. Im November fand eine Kundgebung vor der Gemeinderatssitzung in Ostfildern statt, im Dezember gelang es den Aktivist:innen, das Thema über die Bürgerfragestunde in der Gemeinderatssitzung zu platzieren. Nach Angaben der Aktivist:innen erklärte Oberbürgermeister Christof Bolay (SPD) zunächst, ein Gedenkort sei nicht sinnvoll, bot am Ende jedoch einen Dialog Mitte Januar an. 

Ausgabe 741 vom 11.06.2025

Gedenkort für Sadri Berisha

Von Silvana El Sayegh

In der Nacht auf den 8. Juli 1992 wurde in Ostfildern der albanische Gastarbeiter Sadri Berisha von Neonazis ermordet. Mit einer Ausstellung kämpft der Künstler Klaus Illi gegen das Vergessen. Und dafür, dass in der Stadt ein Ort an Berisha erinnert.

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Das nährt Hoffnungen bei den Engagierten, der Familie Berisha im Kosovo und auch beim Künstler Klaus Illi. Zwar war Illi an der aktuellen Aktion im Gemeinderat nicht beteiligt und wollte ursprünglich keine politischen Aktionen zu dem Thema, doch nun hofft auch er auf positive Ergebnisse.

Familie fordert Gedenkort

Die Familie Berisha besteht auf einem würdigen Gedenkort für den Vater und Großvater, der damals im Schlaf von einer Gruppe Neonazis brutal ermordet wurde. Bei der Kundgebung im November wurde eine Botschaft von Berishas Enkelin Sarah verlesen. Darin fordert sie die Stadt auf, konkrete Schritte für die Einrichtung eines Denkmals zu unternehmen. Die Stadt Ostfildern erklärte gegenüber Kontext, man habe die Aktionen im November "zur Kenntnis genommen", die Frage eines Gedenkorts sei derzeit jedoch kein Gegenstand kommunalpolitischer Beratungen. Zugleich verweist die Stadt auf Informationen zum Mordfall auf der Stadtarchiv-Website.

Auf der Website der Stadt ist zudem eine Rede des Oberbürgermeisters anlässlich der zentralen Gedenkfeier zum Volkstrauertag am 18. November veröffentlicht. In dieser betont Bolay, dass es beim Gedenken nicht nur um Zahlen gehe, sondern um individuelle Schicksale, und er fordert einen wacheren gesellschaftlichen Blick gegen Spaltung und Radikalisierung. Zitiert wird er mit den Worten: "Nie wieder – ist jetzt!" sowie mit der Betonung, dass Erinnerungskultur lebendig gehalten werden müsse.

In diesem Sinne begrüßt SPD-Stadtrat Ünal Yalcin ausdrücklich die Idee eines Gedenkorts für Sadri Berisha. Gegenüber Kontext betont er, Erinnerung sei keine Anklage gegen Stadt oder Bevölkerung, sondern mache deutlich, wohin Ausgrenzung führen könne.

Ob ein Antrag im Gemeinderat die Lösung ist, kann Yalcin nicht spontan sagen. Bisher sei kein Antrag gestellt worden, zunächst wolle er prüfen, ob Aussicht auf Erfolg bestehe. Ein Blick auf die Zusammensetzung des Gemeinderats erklärt die Zurückhaltung: Von 26 Sitzen sind 17 von CDU und Freien Wählern besetzt. Ein abgelehnter Antrag könnte für die Familie Berisha wie auch für rechte Akteure ein fatales Signal senden.

Der Ostfilderner Künstler Klaus Illi hat für diesen Fall einen alternativen Plan: eine Bürgerinitiative. Und er hat auch schon einen konkreten Vorschlag für einen Gedenkort: den bislang namenlosen Platz an der Einmündung der Birkacher Straße in die Hauptstraße in Kemnat. Mit Schildern, einer Infotafel oder QR-Codes ließe sich dort mit geringem Aufwand ein Gedenkort schaffen. Aber erstmal hoffen alle auf einen konstruktiven Dialog mit dem Oberbürgermeister Mitte Januar. 

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