Die Geschichte beginnt mit einem Interview zum Radikalenerlass. Die Älteren erinnern sich: Man schrieb das Jahr 1972, von dem an die Verfassungstreue geprüft wurde. Von all denen, die sich im Staatsdienst befanden oder dort noch etwas werden wollten. Wer den Check nicht bestand, und das waren im Wesentlichen Linke, fiel unter das "Berufsverbot". 53 Jahre danach, im Lichte steigender AfD-Zahlen, denkt die Politik über Ähnliches nach, über einen Radikalenerlass 2.0 sozusagen.
Das war der Anlass für Kontext, mit Werner Siebler zu reden, der als "roter Briefträger" von der DKP bundesweit bekannt wurde und heute für den "Bundesarbeitsausschuss der Initiativen gegen Berufsverbote und für die Verteidigung der demokratischen Grundrechte" spricht. In dem langen Interview vom 23. Juli 2025 verweist Autor Hermann G. Abmayr auf Betroffene von damals, unter anderem auf Winfried Kretschmann, der Mitglied des Kommunistischen Bunds Westdeutschland (KBW) war und später grüner Ministerpräsident wurde. In diesem Zusammenhang fällt der entscheidende Satz: "Die ebenfalls in einer maoistischen Partei engagierte Susanne Wetterich, auch ein Opfer des Radikalenerlasses in Stuttgart, hat es 2021 über die CDU-Liste kurzfristig bis in den Bundestag geschafft."
Und das hätte Kontext nicht drucken dürfen. Sagt Susanne Wetterich. Sie sei keine "Person des öffentlichen Lebens", lässt die frühere Bundestagsabgeordnete wissen, und verlangt, ihren Namen umgehend zu löschen. Der Rückgriff auf "Ereignisse aus den siebziger Jahren", also die Sympathie für den Kommunismus, verletze ihre Persönlichkeitsrechte.
Die heute 69-jährige Journalistin war zwischen 1992 und 2002 Pressechefin bei den Stuttgarter Oberbürgermeistern Manfred Rommel und Wolfgang Schuster (beide CDU), ist seit 2019 Vorsitzende der baden-württembergischen Frauen Union der CDU, gehört dem Landesvorstand der Partei und der Regionalversammlung Stuttgart an.
Dem Beispiel Kretschmann mag Wetterich nicht folgen
Kontext lehnt ihr Ansinnen ab. Die Zeitung betrachtet die CDU-Politikerin als Person der Zeitgeschichte und erinnert an Winfried Kretschmann. Mit ihm befinde sie sich doch in "guter Gesellschaft", schreibt ihr die Chefredaktion. Was die Vergangenheit angehe. Wie bekannt, sieht der Ministerpräsident seine KBW-Zeit als eine "Verirrung in ein linksradikales Weltbild", das er dank der Philosophin Hannah Arendt ("Sie rüttelte mein Denken auf") überwinden konnte.
Im Gegensatz zu Kontext hatte Wetterich bei der "Stuttgarter Zeitung" Erfolg. Im Juli 2022 wird sie dort in einem Artikel zur "bekannten Christdemokratin", die in die Mühlen des Radikalenerlasses geraten ist. Sie sei eine "einst kommunistische CDU-Frau", die sich in der Partei "in herausgehobener Position" engagiere, gut bekannt mit Thomas Strobl und verfassungstreu. Daran bestehe nicht der geringste Zweifel. Wer sich bei den Christdemokraten auskennt, weiß, wer gemeint ist, der große Rest muss rätseln.
Ebenfalls durchgesetzt hat sie sich bei der Universität Heidelberg. Am dortigen Historischen Seminar lief ein Forschungsprojekt mit dem Titel: "Der Radikalenerlass in Baden-Württemberg", gefördert vom Stuttgarter Wissenschaftsministerium. In ersten Veröffentlichungen taucht noch der "Fall Susanne Wetterich" auf, der "regionale Aufmerksamkeit" erregt habe, heute gibt es nur noch den "Fall einer Studentin".
Kontext wird ein halbes Jahr Haft angedroht
Gegen Kontext hat die Journalistin den Rechtsweg beschritten. Die Kanzlei Rödl & Partner – mit Außenstellen von Aserbaidschan bis Zypern – beantragt beim Landgericht Stuttgart eine einstweilige Verfügung. Kontext habe die "identifizierende Berichterstattung" zu unterlassen, fordert die Rechtsanwalts- und Steuerberatungsgesellschaft. In ihrem ersten Schriftsatz moniert die Kanzlei, die Persönlichkeitsrechte ihrer Mandantin würden "in besonders schwerer Weise" verletzt, sie werde "in unzumutbarer Weise der Öffentlichkeit vorgeführt". Im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht müsse sie nicht hinnehmen, "mit ihrem zurückliegenden Verhalten konfrontiert zu werden".
In einem zweiten Schriftsatz legt die Kanzlei nach. Jetzt soll es auch noch um die Frage gehen, ob die Studentin der Germanistik und Geschichte Mitglied der KPD war? Diese 1970 noch als KPD/AO ("Kommunistische Partei Deutschlands/Aufbauorganisation") gegründete Kleinstpartei hatte sich der "Diktatur des Proletariats" verschrieben, ihr Held war Mao Tse-Tung und ihre Mitglieder wurden später wohlbekannt. Unter anderem waren Antje Vollmer (Politikerin), Karl Schlögel (Friedenspreisträger) und Christian Semler (taz-Journalist) mit dabei.
Die Kanzlei reicht eine eidesstattliche Versicherung nach, in der Susanne Ruth Wetterich erklärt, sie sei "zu keinem Zeitpunkt" Mitglied in einer maoistischen Partei gewesen. Richtig sei allein, dass sie in ihren Jugendjahren und zu Beginn ihres Studiums die "Ansichten einer maoistischen Partei, konkret der KPD, teilte", an Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen habe, "sowie Flugblätter verteilte". Zum Beginn des Jahres 1980 löste sich die KPD auf.
Sie sei "kein Bombenleger" hat Wetterich gesagt
Im dritten Schriftsatz wird erläutert, dass Wetterich auch als kontextuelles Beispiel untauglich ist, sprich gar nicht in die Liste der Berufsverbot-Opfer passt. Beschäftigt war sie Ende der Siebzigerjahre als Hilfskraft in der Bibliothek des Instituts für Literaturwissenschaft, wo sie in die Fänge des Verfassungsschutzes geriet. Die Staatsschützer hatten Zweifel an ihrer Verfassungstreue. Gegen den Rausschmiss durch die Universität strengte sie eine Klage an, die sich, dem Vortrag ihrer Verteidiger folgend, auf dem Vergleichsweg erledigte. Ihre Mandantin sei bis Ende 1980 weiter beschäftigt worden.
Sie sei "wahrhaftig kein Bombenleger", hat Wetterich damals gesagt, als noch nicht gegendert wurde. Danach heuerte sie als Redakteurin beim Süddeutschen Rundfunk an (1984 bis 1992) und lässt ausrichten, sie habe sich fortan nicht mehr politisch betätigt, bis sie im Jahr 2000 in die CDU eintrat. Rödl & Partner kommen zum Schluss, dass der Radikalenerlass "keinerlei Auswirkungen" auf ihren beruflichen Werdegang hatte, eine "irgendwie geartete Beeinträchtigung" habe es nicht gegeben.
Was sich hier so harmlos anhört, war damals keine Nichtigkeit. Der Fall Wetterich, verbunden mit Protestaktionen und Kundgebungen der linksradikalen Gemeinde, hat die Politik bis hin zum Ministerpräsidenten Lothar Späth (CDU) beschäftigt. Während die Uni beteuerte, keinen "Ermessensspielraum" zu haben, bemühte Wissenschaftsminister Helmut Engler (CDU) das Bundesverfassungsgericht, das absolute Loyalität einforderte, das Innenministerium von Karl Schiess (CDU/"Schiess-Erlass") hätte am liebsten auch den Hausmeister vom Dienst entfernt, nur Späth blieb cool. Von ihm ist der Satz überliefert, hier habe sich ein "kleiner Fisch im Netz der Behörden" verfangen. Laut "Stuttgarter Nachrichten" vom 24. Februar 1979 hat er den Hardlinern im Fall Wetterich geraten: "Nicht päpstlicher sein als der Papst. Im Einzelfall freihändig entscheiden." Die Zeitung berichtete damals übrigens mit Namensnennung.
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