Da sitzt er auf dem Podium, im goldenen Dress mit Stickereien drauf. Ismaila Ceesay, Politiker aus Gambia, Kandidat der jungen Partei Citizen's Alliance für die Präsidentschaftswahl im Dezember und derzeit auf Deutschland-Reise unterwegs. Vor ein paar Tagen hat er einen landwirtschaftlichen Betrieb in Bremen besucht, auf Instagram gibt es Bilder, wie er einen Traktor fährt – weil er die Landwirtschaft in seinem Land durch technische Innovationen ankurbeln und so den Hunger in einem der ärmsten Länder der Welt bekämpfen will. Zwischendurch stattet der 46-Jährige gambischen Migranten in Deutschland Besuche ab, um sich, so sagt er, deren Sorgen anzuhören und die der Flüchtlingshelferkreise.
Eine Station, am vergangenen Donnerstag, ist die alte Seegrasspinnerei in Nürtingen. Sie ist durch diverse Projekte eng verbunden mit dem kleinen westafrikanischen Land. Eines ist im Hintergrund zu sehen – bunte Wimpel, gestaltet von Kindern in der Kinder-Kultur-Werkstatt, deren Pendant der Nürtinger Verein Namél kurz vor Corona auch im gambischen Bakoteh eingerichtet hat, um dort offene Kultur- und Bildungsarbeit für Kinder anzubieten. Inklusive einer vermietbaren Ferienwohnung für nachhaltige Einkünfte. Es gibt auch eine Klimapartnerschaft, gefördert vom Land Baden-Württemberg, die gerade ein günstiges und nachhaltiges Kühlsystem entwickelt, um beispielsweise gambischen Marktfrauen eine Möglichkeit zu geben, ihre Waren ohne Strom kühl zu halten.
Etwa 50 Gäste sind gekommen, aus Nürtingen, aus der Region, die meisten junge Männer aus Gambia. Cherno Barry war Lehrer in Gambia, bevor er herkam, und fragt kurz vor der Veranstaltung: "Warum lassen sie uns hier nicht arbeiten? Wenn wir hier eine Ausbildung machen könnten, unseren Horizont erweitern, könnten wir zurückgehen und in Gambia eine Firma gründen. Das würde das Land ökonomisch vorwärts bringen."
Man geht dahin, wo es Jobs gibt
Omar Jatta und Kalifa Suwareh haben Ceesay hierher eingeladen. Weil vor einiger Zeit in Gambia eine Demonstration nicht genehmigt wurde, die sich gegen die deutsche Abschiebepolitik richten sollte, gegen Diskriminierung von Rückkehrern und für eine bessere Zukunft. "Warum wurde die nicht genehmigt?" fragt auch Assan Sallah von der Gambia Refugee Association ins Mikro, ein engagierter und leidenschaftlicher Kerl, das weiße Hemd ordentlich in die Hose gesteckt, und einer der Initiatoren der abgesagten Demo. Ceesay soll vermitteln. Der aber nickt bedächtig, dann rät er, von Demonstrationen abzusehen ("Gewalt ist keine Lösung") und stattdessen eher auf Gespräche zu setzen.
Nun könnte man fragen, warum interessiert hier, ob in Gambia eine Demo nicht genehmigt wurde. Naja. Weil Deutschland und das Land mit seinen knapp zweieinhalb Millionen Einwohnern sehr viel mehr verbindet als ein paar Abschiebeflieger.
Man könnte sagen, Gambia zeigt exemplarisch einen ganz anderer Blick auf Migration: Deutschland, wie auch Europa, betrachten Migration nur als Problem. Für Gambier ist vor allem Arbeitsmigration schon immer Teil ihrer Identität. Man geht dahin, wo es Jobs gibt. Vor allem die Binnenmigration auf dem afrikanischen Kontinent ist stark, nur ein kleiner Teil macht sich auf den lebensgefährlichen Weg durch die Wüste und übers Meer nach Europa.
Viele hatten das Land verlassen, bevor der gambische Diktator Yahya Jammeh 2017 abgesetzt wurde. Andere gehen, weil die Arbeitslosigkeit hoch ist, die Generation Social Media ist teils Tage ohne Netz, Strom ist rar und unzuverlässig, vor allem in ländlichen und sehr armen Gebieten. Es gibt viel Korruption, restriktive Gesetze gegen Homosexualität, Genitalverstümmelung bei Mädchen ist zwar verboten, aber verbreitet. Und natürlich ist auch der Übergang von einer Diktatur in eine Dekomkratie holprig. Junge Menschen in Gambia sehen oft keine Chance auf eine Zukunft in ihrem Land.
Keine Chance auf Bleiberecht
In Deutschland landen sie dann, voller Hoffnung und Elan, mit Lust auf Arbeit, bestens geeignet eigentlich, um die deutsche Gesellschaft samt ihrem Fachkräftemangel zu bereichern. Problem: Migranten aus Gambia bekommen hier kaum einen Fuß auf den Boden. Sie sind schwarz, oft mit wenig Schulbildung, Flüchtlinge zweiter, dritter Klasse, weil sie nicht aus einem Kriegsgebiet kommen. Ceesay sagt: "Migranten aus Gambia werden immer anders behandelt als Migranten aus anderen Ländern. Sie sind Diskriminierung und Rassismus ausgesetzt, das ist nicht gerecht."
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Meyer III
am 15.06.2021