Gründlichkeit ist die Zier einer Verwaltung. Nachdem dem Stuttgarter Amt für Öffentliche Ordnung am 8. August 2019 eine dreitägige Versammlung angekündigt worden war, schickte die Behörde nach nur knapp sechs Wochen die Anmeldebestätigung: Am 20. September um 08:17 Uhr trudelte das städtische Schreiben bei den Veranstaltern ein – siebzehn Minuten also, nachdem der Aufbau für die Veranstaltung begonnen hatte, die jetzt an einem anderen Ort stattfinden musste. Seitens des Staats wurde ein sofortiger Vollzug im Sinne des öffentlichen Interesses angeordnet, da wegen der kurzen Zeitspanne mit der "Durchsetzung der Auflagen deshalb nicht bis zum Ausgang eines eventuellen Rechtsstreites abgewartet werden kann".
Geplant war ein Zeltlager für Klimagerechtigkeit mit vielen Workshops, Musik und Food Sharing. Kein Wunder also, dass die Stadt zum Wohle der öffentlichen Ordnung einschreiten musste. Weil die Begründung der robusten Auflagen in feinster Bürokraten-Lyrik erfolgte, wollen wir einige Auszüge des ordungsamtlichen Schreibens dokumentieren (Hervorhebungen durch die Redaktion):
"Folgende Versammlungsmittel werden zugelassen:
- Transparente
- Flugblätter
- Eine Redner-Bühne
- Ein Stromgenerator
- Eine Lautsprecheranlage
- Zwei Megaphone
- Lebensmittelausgabe im Rahmen von Foodsharing
- Sitzunterlagen (z.B. Pappkartons)
- 20 Pavillons/Zelte ohne Seitenwände
- 16 Infotische
- Musikbeiträge
- Ein Beamer mit Leinwand
Folgende Versammlungsmittel werden untersagt:
- Mobile Toiletten
- Versorgungszelt
- Sanitätszelt
- Übernachtungs-/Schlafzelte
- Zelte für Kunstperformances "Die-In"
- Sitzgelegenheiten (z.B. Biertischgarnitur, Strohballen)
Weitere Versammlungsmittel wurden nicht angemeldet und sind daher nicht zugelassen. (...)
Die Beschallungsdauer durch die technische Verstärkung ist pro Stunde auf jeweils drei 10-Minuten-Blöcke zu begrenzen. Zwischen den Beiträgen ist jeweils eine Pause von mindestens 10 Minuten zu legen. (...)
Begründung
Nach § 15 Abs. 1 VersG können Versammlungen oder Aufzüge von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. (...)
Die vorgenannten versammlungsrechtlichen Auflagen sind im Einzelnen erforderlich, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrecht zu erhalten bzw. einer unmittelbaren Gefährdung vorzubeugen.
Eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegt dann vor, wenn mit deren Verletzung fast mit Gewissheit gerechnet werden muss. (…)
Versammlungsimmanente Infrastruktur-Einrichtungen sind grundsätzlich von Artikel 8 GG ge- schützt, solange sie für den Versammlungszweck funktional oder symbolisch notwendig sind. Die angemeldeten Dixi-Toiletten, Versorgungs- und Sanitätszelte werden nicht als Versammlungsmittel zugelassen, da durch die innerstädtische Lage die Versorgung der Teilnehmer in ausreichendem Maß gewährleistet ist. Zusätzliche Einrichtungen stellen lediglich Komfortgüter zur Steigerung der Attraktivität der Versammlung dar und sind demnach nicht von Artikel 8 GG gedeckt (siehe auch Friedrich: Versammlungsinfrastrukturen: An den Grenzen des Versammlungsrechts (DÖV 2019, S. 55); VG Berlin, Beschluss vom 23. 12. 2003 - 1 A 361/03).
Sitzgelegenheiten (Biertischgarnituren und Strohballen) und Zelte mit Seitenwänden können nicht zugelassen werden, da diese zur Verwirklichung des Versammlungszwecks weder funktional noch symbolisch für die kollektive Meinungskundgabe notwendig sind und somit nicht vom Schutzbereich des Art. 8 Grundgesetz (GG) erfasst sind. Der Veranstalter einer Versammlung unter freiem Himmel muss sich zwangsläufig den dort herrschenden Bedingungen, insbesondere der Witterung aussetzen. Dieses Risiko kann er nicht – gestützt auf Art. 8 GG – abwälzen. Sie sind nicht unverhältnismäßig beeinträchtigt, da Ihnen Sitzunterlagen (z.B. Pappkartons) zuerkannt wurden. (...)
Die sofortige Vollziehung dieser Verfügung wurde gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO im öffentlichen Interesse besonders angeordnet, da die Versammlung bereits am 20. September 2019 beginnt und mit der Durchsetzung der Auflagen deshalb nicht bis zum Ausgang eines eventuellen Rechtsstreites abgewartet werden kann. (...)
Das öffentliche Interesse liegt in der Wahrung der öffentlichen Sicherheit, namentlich in der Handlungs- und Bewegungsfreiheit der Passanten und Verkehrsteilnehmer.
Bei Abwägung dieser Interessen ergibt sich, dass das öffentliche Interesse überwiegt, weil fast mit Gewissheit damit gerechnet werden muss, dass ohne diese Regelungen die öffentliche Sicherheit gefährdet ist."
Abschlussbemerkung der Redaktion: Durch die harte, aber beherzte Intervention des Amtes konnte die öffentliche Ordnung aufrechterhalten werden.
6 Kommentare verfügbar
Marla
am 26.09.2019Waren doch weiter vorne für die nachgewiesenen grösseren Umwelt'schädlinge', die upper class, Bierbänke, feste Wagen, Dauerberieselungsanlage, etc überhaupt kein Problem!
Da feierten halt die Dienstleister mit den Gebildeten zusammen die…