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Privat ganz friedlich

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Sie schreibt Kriminalromane und engagiert sich gegen Ausländerfeindlichkeit: Ingrid Noll beweist, dass nicht nur die Verfasser von Hochliteratur politisches Bewusstsein haben. Ein Gespräch über Romeo-Agenten, mordende Frauen und den Unwillen, sich in einer Partei zu engagieren.

Frau Noll, unlängst ist Ihr neuer Kriminalroman "Halali" erschienen. Anders als seine Vorgänger spielt er nicht in der Gegenwart, sondern im Bonn der frühen Nachkriegszeit. Erleben wir gerade die Geburtsstunde einer neuen Ingrid Noll?

So weit würde ich nicht gehen. Ich hatte einfach Lust auf etwas Neues, eine andere Perspektive.

Die Adenauer-Epoche prägt und definiert die Bundesrepublik bis heute. Wie haben Sie diese Zeit wahrgenommen?

Als Mischung aus Aufbruch und Muffigkeit. Dass letzteres überwogen hat, merkt man erst hinterher, wenn man vergleichen kann. Aber die Generation, die 1968 rebellierte, stand damals schon in den Startlöchern. Die späteren Konflikte deuteten sich an, wenn auch zunächst eher zaghaft. Wir schwärmten etwa für amerikanische Musik, die Älteren nannte sie ablehnend und im Jargon der Nazis "Negermusik". In den Familien wurde auch, obwohl gerne das Gegenteil behauptet wird, durchaus kritisch nach der NS-Zeit gefragt. Es knisterte, aber nur leise.

Ingrid Noll. Foto: Renate Barth/Diogenes Verlag

Foto: Renate Barth/Diogenes Verlag

Ingrid Noll, Jahrgang 1935, wurde als Kind deutscher Emigranten in Shanghai geboren und wuchs gemeinsam mit drei Geschwistern in Nanjing auf. 1949 kam sie mit ihrer Familie nach Deutschland, wo sie an der Universität Bonn das Studium der Germanistik und Kunstgeschichte aufnahm, ohne dieses abzuschließen. Ihren Debütroman "Der Hahn ist tot" veröffentlichte sie im Alter von 55 Jahren. Heute lebt Noll in Weinheim, mit "Halali" erschien aktuell ihr 14. Buch. (min)

Eineinhalb Jahrzehnte später erwuchs aus diesem Knistern ein Rauschen. Die Achtundsechziger etablierten in Familie, Gesellschaft und Politik neue Schwerpunkte. Glaubt man Soziologen und Psychologen, wird die junge Generation derzeit wieder konservativer. Welche Ursachen vermuten Sie hinter dieser Renaissance?

Wahrscheinlich ist das ein Resultat zunehmender Überforderung. Ich höre die Sprache der jungen Generation und ihre Probleme, ärgere mich mit ihnen über die Schule und zu viel Stress, G8 und die Erwartung ständiger Verfügbarkeit. Junge Menschen sind heute innerlich und äußerlich artiger als meine Kinder es waren, weil ihnen das abgefordert wird. Opposition muss man sich erlauben können. Es gibt aber auch Wellenbewegungen, das Bedürfnis nach Abgrenzung zur Elterngeneration fördert Protest-Moden. Heute ist es die Hinwendung zu tradierten Gesellschaftsformen, morgen etwas anderes. Das sollte man nicht überbewerten.

Rückläufig ist hingegen die Bereitschaft, sich gesellschaftlich zu engagieren. Sie sind ein politischer Mensch, haben auf einer Anti-NPD-Demo gesprochen und das Bündnis "Weinheim bleibt bunt" unterstützt.

Na ja, sich gegen Ausländerfeindlichkeit zu engagieren, ist Ehrensache oder sollte es zumindest sein. Aber die Mitarbeit in einer Partei war für mich immer undenkbar, selbst in der Kommunalpolitik. Politiker können es niemandem recht machen, werden ständig in die Mangel genommen, müssen Partikularinteressen bedienen. Das politische Klima in Deutschland hat sich, seitdem ich das Zeitgeschehen beobachte, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt massiv verschlechtert. Um sich dem erfolgreich auszusetzen, muss man Machtmensch sein. Das bin bin nicht und ich habe den Eindruck, vielen Frauen geht es genauso.

» Das Zurückstellen der eigenen Person verstärkt unterschwellige Aggressionen.

Aktiv sind sie hingegen in Ihrer Prosa. Als Autorin präferieren Sie meist eine eindeutige Rollenverteilung: Frauen töten Männer. Ist das ein feministisches Projekt oder wie erklärt sich dieses Schema, das übrigens im eklatantem Widerspruch zur Kriminalstatistik steht?

Nein, ich darf Sie beruhigen: Ich kann mich einfach in Frauen besser hineindenken, durchdringe deren Motive besser. Die Frau ist heute noch vielfach ein Anhängsel des Mannes. Auch ich bin ja meinem Mann hinterhergedackelt, als er Oberarzt am Weinheimer Krankenhaus wurde. Mir ist diese konfliktträchtige Ausgangslage deshalb vertraut und ich glaube, die steht am Anfang von vielen Entwicklungen, von denen manche – glücklicherweise wenige – dann im Verbrechen münden. Das muss nicht immer gleich ein Mord sein, aber das Zurückstellen der eigenen Person verstärkt unterschwellige Aggressionen. Und darüber schreibe ich, das ist mein Thema. Für mich selbst sind das auch Befreiungsschläge, natürlich.

Sie sind eine literarische Spätentwicklung und haben erst mit dem Schreiben begonnen, als ihre drei Kinder aus dem Haus waren. War das damals Ausfluss einer neuen Sinnsuche?

Es hat mir schon immer Freude gemacht, einen Text zu produzieren, ohne dass ich zunächst viel davon verstand. Auch wenn das heute ständig überhöht wird. In vielen meiner Porträts findet sich die Behauptung, ich hätte schon als Kind in China mit dem Schreiben begonnen. Das ist keine Besonderheit, das tun alle kleinen Mädchen. Jedenfalls zu meiner Zeit. Aber um sich hinzusetzen und sich in eine Geschichte zu vertiefen, die Charaktere ein Eigenleben entfalten zu lassen, dafür braucht man Ruhe und Abgeschiedenheit. Das geht nicht nebenher. Denn mein Ausgangspunkt sind die Personen, nicht der Plot. Und dann hetze ich sie aufeinander.

Es fällt auf, dass die Ich-Erzählerin Ihres neuen Romans mit Ihnen diverse biografische Parallelen teilt. Ein Zufall?

Wer weiß? (lacht) Nein, ernsthaft: Ich schreibe nicht autobiografisch. Das habe ich noch nie getan, das werde ich auch in Zukunft nicht tun. Aber ich weiß gern, wovon ich erzähle. Ich habe damals auch in Bonn gelebt und in den Semesterferien in der Bibliothek des Bundesinnenministerium gejobbt. Mir ist wichtig, dass meine Figuren authentisch sind. Ich kann mich nicht hinsetzen und einen Charakter auf dem Reißbrett konstruieren. Trotzdem ist die Grenze zwischen Figur und Autorin klar festgelegt. Die Menschen würden sich wundern, wie groß die Unterschiede sind. Privat bin ich wahrscheinlich zu friedlich.

Ihr Leben war es nicht immer.

Das stimmt, es ging schon turbulent los. Erst der japanisch-chinesische Konflikt, dann der chinesische Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Nationalisten sowie unsere Flucht aus Shanghai. Die Ankunft im immer noch kriegszerstörten Europa war auch ein einschneidendes Erlebnis. Obwohl ich in China aufgewachsen bin, hatte ich, so lange ich denken kann, das festgefügte Bild eines idyllischen Deutschland vor Augen. Ich hatte Heimweh danach, bevor ich es kennenlernte. Die Realität hatte wenig bis nichts damit zu tun.

» Es gibt Konstellationen, die wären ein Fall für die Vereinten Nationen. Und weil sie es eben nicht sind, enden sie manchmal mit Mord.

Sind diese Erlebnisse der Quell Ihrer Gewaltphantasien, ohne die kein Kriminalschriftsteller auskommen kann?

Möglich. Wir tragen alle eine verborgene Seite in uns, die uns selbst vielleicht nicht immer bewusst ist. Und die wir nicht als Kainsmal auf der Stirn tragen. Vor einigen Jahren habe ich in einer Justizvollzugsanstalt vor Gefangenen gelesen. Am Ende folgte ich einer Eingebung und fragte, ob Mörder darunter seien. Es hat mich plötzlich interessiert. Einer meldete sich sofort, beinahe stolz. Man hätte es ihm nicht angesehen. Kriminalwissenschaftler sagen, dass die Herkunft entscheide, ob Menschen zum Mörder werden. Ich kann das nachvollziehen. In Shanghai habe ich erlebt, wie die Müllabfuhr jeden Morgen erfrorene oder verhungerte Bettler von den Straßen aufsammelte. Ein Leben zählte nichts. Das konditioniert. Wenn ich mir nun vorstelle, ich wäre in familiär und materiell ungeordneten Verhältnisse aufgewachsen, dann wäre die Hemmschwelle zum Einsatz von Gewalt bei mir vielleicht auch niedriger.

Mit "Halali" haben Sie sich den Romeo-Agenten der DDR-Auslandsaufklärung und damit eines vergleichsweise seltenen Themas angenommen. Diese haben gezielt alleinstehende Frauen in Ministerin sowie Behörden umworben und je nach Einzelfall wissentlich oder unwissentlich als Informationsquellen abschöpften. Was fasziniert Sie daran?

Die Abgründe, die sich in jedem dieser tragischen Fälle auftun. Die Nähe von Verrat und Liebe, die wechselseitige Instrumentalisierung, die Gleichzeitigkeit von realer Gefahr und scheinbarer Geborgenheit. Der Ausnahmefall wird zum Alltag. Es ist sehr selten, dass das alles in einem Leben derart komprimiert zusammentrifft. Und als ich vor einigen Jahren über die Romeo-Agenten las, war mir sofort klar, dass ich diesen Stoff in einen Roman unterbringen wollte.

Weil Sie vielleicht doch politischer sind, als Sie zugeben?

Vielen Dank für das unterschwellige Kompliment, aber ich fürchte, ich werde ihm nicht gerecht. Private Beziehungen haben immer eine gesellschaftspolitische Seite, das lässt sich nicht vermeiden. Für was interessiert man sich, was wird verdrängt, welche Konflikte werden offen ausgetragen: Es gibt Konstellationen, die wären ein Fall für die Vereinten Nationen. Und weil sie es eben nicht sind, enden sie manchmal mit Mord.


Ingrid Noll: Halali, Diogenes, 2017, 320 Seiten, 22 Euro.


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1 Kommentar verfügbar

  • Marla V.
    am 01.11.2017
    Antworten
    ".... vorstelle, ich wäre in familiär und materiell ungeordneten Verhältnisse aufgewachsen, dann wäre die Hemmschwelle zum Einsatz von Gewalt bei mir vielleicht auch niedriger. "

    Ist nicht -geschichtlich betrachtet, besonders aus deutscher Sicht- das erschreckende, dass Menschen, die in 'familiär…
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