Herr Klumpp, Sie kennen die Vorwürfe der ehemaligen Korntaler Heimkinder: Missbrauch, Demütigungen, Kinderarbeit, nicht nur aus Veröffentlichungen. Sie wurden um seelsorgerlichen Rat gefragt.
Das sind ja nicht nur Vorwürfe, sondern auch Schmerzen und Leidenserfahrungen. Denn das Heim war Heimat, war Familienersatz, und da suchen Kinder eigentlich Mütterliches, Väterliches, Geborgenheit und erleben dann Missbrauch. Das hinterlässt lebenslängliche Spuren. Deshalb ist es wichtig, das ernst zu nehmen.
Diesen Eindruck haben viele der Betroffenen nicht. Sie fühlen sich konfrontiert mit Gegenvorwürfen und Unterstellungen: Sie würden übertreiben und dramatisieren, wollten nur Geld rausholen oder wollten sich rächen. Welchen Eindruck hatten Sie nach Ihrem Gespräch mit einem ehemaligen Heimkind aus Korntal?
Im seelsorgerlichen Gespräch, das ich geführt habe, hat sich bei mir eine große Hochachtung vor meinem Gesprächspartner entwickelt. Er hat mich teilweise vom Seelsorgegeheimnis entbunden, sonst würde ich nicht mit Ihnen sprechen. Er hat die Missbrauchserfahrungen in seinem Leben verortet, und er hat aus seinem Leben das Beste machen können. Da sitzt man dann da und sagt: Holla. Das bewegt mich. Dieser Mann hat eine bemerkenswerte Fähigkeit, zur Sprache zu bringen, was ihn bewegt. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass er sich rächen will. Er erwartet allerdings, dass er ernst genommen wird mit dem, was er erfahren hat, und das kann ich nachvollziehen. Denn nur dann kann er mit der Verletzung umgehen, die ihm der Missbrauch zugefügt hat. Im Vordergrund unseres Gesprächs standen nicht aggressive Vorwürfe gegen das Heim, sondern eine ganz ernsthafte Auseinandersetzung mit den psychischen Verletzungen und Belastungen, die durch Missbrauch entstanden sind. Ganz klar wurde mir, dass die Sache mit Verschweigen, Vertagen oder Vertuschen immer schlimmer wird. Deshalb finde ich es wichtig, dass man in aller Sachlichkeit und Gründlichkeit zu klären versucht, was wann, durch wen und an wem geschehen ist.
Die Brüdergemeinde, aber auch die Kirchenpolitiker verweisen gerne auf den Fonds Heimerziehung und den Topf der Diakonie, in den sie eingezahlt haben. Ist damit genug gesagt und getan?
Ich finde, zuerst kommt die Wahrheit. Dass man gemeinsam die Wahrheit sucht, auch wenn sie, etwa für den Träger des Heims, eine unangenehme Wahrheit ist. Es ist richtig, dass dadurch der gute Ruf des Heims, auf den man Wert gelegt hat, beschmutzt werden kann. Manche fragen auch, wie so etwas in einer so christlichen Einrichtung geschehen konnte. Dennoch: Zuerst kommt die Suche nach der Wahrheit, und ich glaube, dass man die mit jedem einzelnen Betroffenen suchen muss. Es gibt keine zwei gleichen Missbrauchserfahrungen und auch keine zwei gleichen Umgehensweisen der Betroffenen. Manche leiden nachhaltiger. Andere kommen mit ihrem Leben zurecht, haben aber trotzdem einen Anspruch, dass ernst genommen wird, was sie über ihre Leidenserfahrungen berichten. Daran führt nichts vorbei.
Die Suche nach der Wahrheit, die Sie ansprechen, kommt nicht voran. Im Juni 2013 ging Detlev Zander zur Brüdergemeinde, im Mai 2014 hat er sich einen Anwalt genommen, weil sich nichts bewegt hat, und damit den Stein ins Rollen gebracht. Nun scheint die juristische Auseinandersetzung die Aufarbeitung zu blockieren. Kann man aufarbeiten und rechtlich streiten?
Man sollte das trennen können, aber das ist oft schwierig. Ich weiß etwa von Menschen, die durch einen Verkehrsunfall nachhaltig geschädigt wurden und die den Verursacher kennen. Sie sagen: Wenn er doch mal käme und sagte, es tue ihm leid. Aber das macht er nicht, weil sein Anwalt ihm abrät: keine Silbe zu etwas, das wie ein Eingeständnis wirken könnte. Ich finde das bedauerlich. Ich habe allerdings auch ein dezidiertes Verhältnis zum Rechtsstaat. Jeder Bürger, der sich ungerecht behandelt fühlt, hat das Recht, klären zu lassen, was die Rechtsprechung sagt. Das soll man ihm nicht übel nehmen und nicht dramatisieren. Ich erwarte allerdings auch, dass jemand, der juristisch nicht das erreicht, was er erreichen wollte, die Entscheidung des Gerichts akzeptiert.
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Ulrich Scheuffele
am 10.12.2014sich, wie auch Prälat Klumpp in seinem Interviewe erwähnt dahinter, dass man…