Wenn es wieder dirndlt und lederhoselt in den Stadtbahnen der Landeshauptstadt – der baden-württembergischen wohlgemerkt – weiß ein Jeder: Das Cannstatter Volksfest hat begonnen. Karohemd und Krachlederne surfen auf einer Riesenwelle. Doch der Trachten-Tsunami kündigt sich inzwischen Monate vorher an. Einzelhandelsgeschäfte wie Breuninger räumen ganze Etagen für die Saisonware frei, und dort, wo früher Teppichgalerien gefühlt jahrzehntelang Räumungsverkauf plakatierten, steht jetzt Trachtiges im Schaufenster. Reflexartig kommen dann von Nicht-Tracht-Trägern Kommentare, die in ihrer verächtlichen Tonlage an Sprüche vom Format "Eigentlich schaue ich nur Arte und 3Sat" erinnern. Originalzitat vom 2. Oktober, Frau Mitte 50 zu (ihrem?) Mann Mitte 60 vor dem Schaufenster eines Ladens in der Calwer Straße: "In München lasse ich mir das noch gefallen, aber in Stuttgart hat das doch keinerlei Tradition."
Der historische Wahrheitsgehalt dieser Aussage tendiert allerdings gegen null. Oder beginnt Tradition schon mit den so genannten Nuller-Jahren? Bis zur Jahrtausendwende war auf dem Münchner Oktoberfest die Lederhose ein Exot, und ein Dirndl war die Arbeitskluft von Bedienungen. Heute hat es das Dirndl bis in die Maschinen der Lufthansa als Borduniform der Flugbegleiterinnen und in den Reichstag geschafft. Dort musste sich allerdings die Dirndl-tragende Staatssekretärin Dorothee Bär (CSU) von der Grünen-Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl <link http: www.google.de _blank>per Twitter sagen lassen, sie sei "rückständig". Die Gescholtene keilte zurück: "Spießer." Immerhin verdanken beide Politikerinnen dieser tiefgründigen Debatte einen wenn auch kurzen Popularitätsgewinn. Fehlt nur noch der Gleichstellungsbeauftragte, der sich für das Recht auf Lederhose im Bundestag starkmacht.
31 Kommentare verfügbar
Jupp
am 14.10.2014Sie können sich Seitenweise an mir und meinem Pseudonym abarbeiten.
Es bleibt dabei: Es ist mir wurscht wer hinter someonesdaughter steckt. Es bringt mich nicht aus der Fassung, wenn jemand eine andere Meinung hat. Wir sind alle Individuen.