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Keine Milch mehr

Keine Milch mehr
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Die Schwarzwaldmilch kennt jeder, der bei Edeka oder Real einkauft. Ein Tetra Pak in Blau, Grün oder Gelb, je nachdem ob Bio-, Weide- oder normale Vollmilch, und mit einem roten Bollenhut als Logo. Sie kommt aus dem Schwarzwald, und der verspricht Idylle und saftige grüne Wiesen. Die Wiesen gibt es, die Idylle wird bei der Molkerei aktuell durch das Finale eines lange schwelenden Streits getrübt.

Bis Ende 2013 waren die 28 Milchkühe von Elfriede Ramsteiner aus Hausach im Kinzigtal am Inhalt der Tetra Paks mit Bollenhut beteiligt. Seit Anfang des neuen Jahres wird die Milch ihrer Kühe aber nicht mehr von dem Milchlaster der Schwarzwaldmilch abgeholt, sondern von dem der Berliner Milcheinfuhr-Gesellschaft. Der bringt sie nach Leutkirch zur Firma Milei, einer 100-Prozent-Tochter der japanischen Molkerei Morinaga Milk; dort wird sie zu Milchpulver verarbeitet. Sie ist nun nicht mehr regionale Weidemilch, sondern globales Pulver in europäischer und asiatischer Babynahrung, in Diätlebensmitteln, Sportlerdrinks, Suppen oder Soßen. Gleichfalls die Milch von rund 100 anderen ehemaligen Schwarzwaldmilch-Zulieferern, die ihrer Molkerei mit Elfriede Ramsteiner den Rücken gekehrt haben. Weitere 35 Bauern werden Anfang des kommenden Jahres folgen. "Mir doch egal, was die aus meiner Milch machen", sagt die Bäuerin. Schwarzwaldbuchen würden ja auch in China und Russland zu Grabkreuzen geklebt und es kümmere keinen. "Hauptsache, der Preis stimmt."

Elfriede Ramsteiner war die Erste im Kinzigtal, die ihren eigenen Käse herstellte, um einen anständigen Preis pro Liter zu erzielen. Sie protestierte mit Hunderten Bauern aus Europa vor dem EU-Parlament, als die Molkereien nur noch 23 Cent für das Kilo zahlten, malte Plakate und organisierte Fahrgemeinschaften zu Demonstrationen. Sie ist die Galionsfrau der Ortenau in Sachen Milch, das Zugpferd für Aktionismus. Schon 2012 hatten die Bauern um Ramsteiner ihre Milchlieferverträge gekündigt, als die Schwarzwaldmilch schon wieder 33 Cent pro Liter bot. Momentan zahlt sie 40,5 Cent. Elfriede Ramsteiner ist das nicht genug. Erst mit 43 Cent würde sie etwas verdienen.

Ihre Kündigung und die ihrer Genossen trat mit Anfang des Jahres 2014 in Kraft. "Jetzt hab ich meine Ruhe", sagt sie. Denn "Ruhe" ist bei der Schwarzwaldmilch ein Fremdwort. Die Molkerei wird seit Jahren von kleinen Skandalen und Intrigen gebeutelt. Schwarzwaldidylle? Nur auf den Tetra Paks. Und so verliert die Regionalität durch einen Streit im Schwarzwald gegen den globalen Milchmarkt.

Deutschland ist eines der größten Milchexportländer der Welt. Neuseeland steht auf Platz eins, die EU auf Platz zwei – getragen vor allem von der Bundesrepublik und Frankreich. 30,8 Millionen Tonnen werden pro Jahr bundesweit produziert und damit rund 22 Milliarden Euro Jahresumsatz erwirtschaftet. Die Milchindustrie ist der größte Bereich der deutschen Ernährungsbranche. Exportiert wird nach Algerien, Russland oder Ägypten, mittlerweile vor allem in den asiatischen Raum. Das hat in der Vergangenheit den Milchpreis steigen lassen, In China werden teilweise mehr als drei Euro für den Liter bezahlt. Und das eröffnet den bisher leidgeprüften Bauern mehr Spielraum.

Eine Molkerei wie die Kirche: Die gab's schon immer

Die größte deutsche Molkerei, die Deutsche Milchkontor GmbH, verarbeitet im Jahr 6,6 Milliarden Kilo Milch. Die Schwarzwaldmilch ist mit jährlich 210 Millionen Kilo vergleichsweise winzig. Ihre Vorläufer gehen zurück ins Jahr 1876. Bis Dezember 2010 firmierte sie unter dem Namen Breisgaumilch. Ihr Markenzeichen ist der Bollenhut, das Schwarzwaldimage. Die Milch ist gut, sie stammt zu großen Teilen tatsächlich von saftigen Weiden und aus idyllischen Tälern wie aus dem Bilderbuch. Das ist zumindest das Image.

Die Schwarzwaldmilch ist eine GmbH, der zwei Genossenschaften zugrunde liegen. Da gibt es die MEG, die Milcherzeuger-Genossenschaft Ortenau, und die MEV, die Milcherzeuger-Vereinigung Breisgau-Südschwarzwald. Die MEG hält 20 Prozent der Anteile an der Molkerei, die MEV 80. Innerhalb dieser beiden Verbände gibt es Bauern, die eher dem BDM nahestehen, dem Bund deutscher Milchviehhalter. Und die konservative Fraktion, die eher dem BLHV, dem Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband, nahesteht. 12 Aufsichtsratsposten hat die Schwarzwaldmilch. Die beiden Verbände stellen die Mitglieder jeweils aus dem eigenen Aufsichtsrat. 

Das Unternehmen sei lange durchdrungen gewesen von CDU-Filz bis in den Landtag und geführt in einer nahezu unerträglichen Einigkeit, sagt einer. Für die Bauern habe die Molkerei lange beinahe "beamtenmäßige Sicherheit" geboten und sei eine Institution wie die katholische Kirche: "Die gab's halt schon immer im Dorf." Aber wie in jedem Dorf gibt es irgendwann einen, der rebelliert.

Der BDM kämpft mit harten Bandagen für einen Milchpreis ab 40 Cent den Liter, seine Anhänger, darunter Elfriede Ramsteiner, sind in der Ortenau als die "Milchrebellen" bekannt, verantwortlich für mehrere Lieferboykotts 2008 und 2009, als die Weltwirtschaftskrise und die damit einhergehende sinkende Nachfrage den Preis auf einen Tiefpunkt von bis zu 27 Cent drückte. Der Breisgaumilch fehlten durch den Boykott zeitweise bis zu 70 Prozent Rohstoff. Die Lieferanten spalteten sich in Streikende und Streikbrecher. In global handelnde Milchrebellen, die vor dem EU-Parlament streikten, und treue Lieferanten, die glaubten, der Streik schade der Molkerei. Damit nahmen die Zwistigkeiten Fahrt auf.

2010, noch unter dem Eindruck der Niedrigpreise, wollten die BDM-nahen Bauern "faire Milch" zu 40 Cent pro Liter abfüllen. Aber die andere Bauern-Fraktion war dagegen – es würde den anderen Produkten im Sortiment schaden fanden sie. Wenig später wurde bekannt, dass die Schwarzwaldmilch unter anderem ihre Markenbutter gar nicht selbst herstellte, sondern mit Allgäuer Milch im Allgäu produzieren ließ und den Schwarzwälder Bollenhut nur pro forma aufdruckte. Seitdem klebt der Molkerei der "Schummelbutter-Skandal" an den Schuhsohlen. Insider vermuteten damals, dass die Schummelei von BDM-Mitgliedern absichtlich lanciert worden war, um sich in den Aufsichtsrat der Molkerei zu putschen.

Erbarmungsloser Streit im schönen Schwarzwald

Tatsächlich wurde der damalige Aufsichtsratschef mit drei weiteren Mitgliedern aus dem Aufsichtsrat gekegelt. Wenig später hatten die BDM-"Milchrebellen" in einer außerordentlichen Versammlung die geschiedenen Aufsichtsräte kurzerhand ersetzt. "Machtübernahme bei Breisgaumilch", titelten die Zeitungen. Da war das Tischtuch unter den Milchbauern endgültig zerschnitten.

Die Freude über den gelungenen Molkerei-Putsch währte nicht lange. In einer außerordentlichen Generalversammlung wählten die Anhänger des Bauernverbands die frisch aufgestellten BDM-Aufsichtsratsmitglieder einfach wieder ab. Die Sitzung war zudem skandalträchtig, weil die Breisgaumilch die Presse zur Generalversammlung ausgeladen hatte, und das auch noch nach dem Butterskandal. "Badische Zeitung", "Südkurier", "Offenburger Tageblatt", "Schwarzwälder Bote" und "Stuttgarter Zeitung" standen vor verschlossenen Türen. Der BDM klagte kurz darauf gegen den Rückputsch des Bauernverbands und gewann. Die Einladung zur Generalversammlung sei unvollständig gewesen, hieß es in der Begründung. Die Wahlen wurden für ungültig erklärt. Später trat der Geschäftsführer zurück, dann sein Nachfolger.

Schon 2011 bahnte sich innerhalb dieses Gewurschtels der nächste Streit an. Diesmal zwischen den beiden Genossenschaften. Mitglieder der MEG forderten einen Sammelliefervertrag der Molkerei, anstatt solcher, die jeden Bauern einzeln abhängig machen, sagt Ramsteiner. Sie forderte mehr Gewicht im Kollektiv gegen die Preisgestaltung der Molkerei. "Wir wollten verhandeln können", sagt Ramsteiner. Die GmbH habe sich verselbstständigt, der Genossenschafts-Gedanke sei sowieso lange passé.

Aber die Sammelverträge der MEG mit ihrem 20-Prozent-Anteil an der Schwarzwaldmilch scheiterten am Veto der MEV, die 80 Prozent hält. Weil die, sagt Elfriede Ramsteiner, aus Prinzip am Alten festhalten wolle, weil, so sei das Argument, man das schon immer so gemacht habe. Da kämpft Zukunft gegen Vergangenheit. Elfriede Ramsteiner und Konsorten kündigten ihre Verträge und heuerten bei der Berliner Milcheinfuhr-Gesellschaft an, die den japanischen Konzern Milei beliefert. Seitdem fahren also zwei Milchlaster durch die Dörfchen im Südschwarzwald.

Der Schwarzwaldmilch fehlen damit 20 Millionen Liter Milch im Jahr. Ein "Aderlass", schreibt die "Badische Zeitung". Der Aufsichtsratsvorsitzende Markus Kaiser scheint unaufgeregt. "Wenn man nicht zusammenarbeiten kann, sollte man sich trennen." Elfriede Ramsteiner sagt: "Die Schwarzwaldmilch hat jetzt endlich mal einen Grund, sich um ihre Bauern zu bemühen, damit ihr nicht noch mehr weglaufen."

Dass der Streit nun beigelegt ist, bleibt zu bezweifeln. Immerhin gehören noch 20 Prozent der Molkerei den abtrünnigen "Milchrebellen". Zwei davon sitzen sogar noch im Aufsichtsrat. Elfriede Ramsteiners Milch gibt es jetzt in Babynahrung, die "Hagukumi" heißt. Oder in "Yaki-Pudding". Ganz ohne Bollenhut.

 


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1 Kommentar verfügbar

  • Menne
    am 31.01.2014
    Antworten
    >Deutschland, eines der größten Milchexportländer der Welt (..) 22 Milliarden Jahresumsatz (..) Mir doch egal, was die aus meiner Milch machen<. Das sind Aussagen, da dreht sich mir der Magen um.
    Alle drei Aussagen sind das Ergebnis ungezügelter Profitgier einer industriellen Landwirtschaft (im…
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