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Rührei mit Spahn

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Gilt das Osterfest auch gemeinhin als frohes Ereignis, ob nun seiner Botschaft oder nur der vielen Feiertage wegen – seine Schattenseiten identifizierte schon Wilhelm Busch: "Es ist das Osterfest alljährlich / Doch für den Hasen recht beschwerlich", dichtete er 1908. Elf Jahre später griff Kurt Tucholsky in "Fröhliche Ostern" den Aspekt der Produktivarbeit im Kontext des Osterfestes ebenfalls auf, in einer Weise, die dem feiertagsstreichwütigen Institut der deutschen Wirtschaft (und dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann) gefallen würde, läse es denn Lyrik und nicht nur windige Wachstumsprognosen: "Ei, ei! / In einer Reih / legen die fleißigen Hasen / wohl auf den grünen Rasen / hervorragend bunte Ostereier – / denn der freie Handel wird stets freier, / und so legt denn heuer das Hasensyndikat / über acht Stunden von früh bis abends spat." Das Gedicht entstand 1919, der Erste Weltkrieg war gerade vorbei und Deutschland mit einer steckengebliebenen Revolution beschäftigt. Entsprechend reflektieren in den folgenden Versen die Eier im Nest politische Strömungen: "Mit brandroter Farbe" steht auf einem Ei "Räterepublik", und das Ei der "Nationalen", denen es "zurzeit sehr mau" gehe, das ist "ganz und gar knallblau".

Knallblau mit rotem Pfeil ist heute das Ei der Nationalen und Rechtsextremen, mau geht es ihnen allerdings gerade nicht, das AfD-Ei bekam rund 20 Prozent der Wählerstimmen. Deutlich weniger immerhin als das schwarze Ei und das rote Ei zusammen, die vergangene Woche ihr gemeinsames Rührei präsentierten.

Mit dem Kleingedruckten des Koalitions-Rühreis befasst sich ausgiebig Johanna Henkel-Waidhofer in dieser Ausgabe – und merkt unter anderem an, dass im Vertrag "das Ziel der Klimaneutralität in Deutschland schon 2045 und nicht – wie EU-weit – 2050 beibehalten worden" sei. Immerhin. Kaum haben sich Union und SPD geeinigt, schlug CDU-Politiker Jens Spahn vor, das Verhältnis zur AfD zu überdenken und mit ihr so umzugehen wie mit jeder anderen Oppositionspartei. Brandmauer ade. Nicht nur der Blick nach Österreich, wo mit der FPÖ über Jahre eine teils rechtsextreme Partei normalisiert wurde, ohne dass diese ihre rechtsextremen Ansichten aufgab, offenbart, dass das eine schlechte Idee ist. Wes Geistes Kind viele Abgeordnete der AfD sind, zeigt schon ein Blick in den Südwest-Landtag oder den Stuttgarter Gemeinderat, wie Henkel-Waidhofer und Korbinian Strohhuber dokumentieren.

Weil Kontext schon 2018 versucht hat, die rechten Vernetzungen der Partei aufzuzeigen, haben wir einige Wochen vor Ostern ein ziemlich dickes Ei ins Nest gelegt bekommen: Das OLG Frankfurt/Main hat uns mit Urteil vom 27. März 2025 verboten, identifizierend über einen ehemaligen Mitarbeiter von zwei ehemaligen AfD-Landtagsabgeordneten und dessen menschenverachtende Facebook-Chats zu berichten. Das ist nicht nur deshalb bitter, weil Kontext jetzt viel Geld zahlen muss, sondern auch, weil das Urteil damit begründet wurde, dass wir unsere Informationsquelle nicht offengelegt haben. Ein "Skandal-Urteil" nennt das der Kollege Alexander Roth von der Waiblinger Kreiszeitung. "Sollte dieses Urteil Bestand haben, ist das ein herber Schlag für den investigativen Journalismus in Deutschland", schreibt er in einem bemerkenswerten Kommentar. "Das Signal: Ein Gericht bestraft eine Journalistin, weil sie ihre Arbeit richtig macht und ihre Quelle nicht preisgibt."

Doch keine Sorge, wir werden das Urteil so nicht stehen lassen und wollen vor den Bundesgerichtshof ziehen. Dafür und für weitere Recherchen über Rechtsextremismus sammeln wir aktuell Spenden – und sehr viele gingen schon ein. Dafür ein großes Dankeschön! Denn renitenter, mutiger Journalismus, der in diesen Zeiten immer nötiger wird, braucht Unterstützung aus der Zivilgesellschaft, wie Kontext-Mitgründerin Susanne Stiefel auf der Montagsdemo gegen Stuttgart 21 sagte. Wir haben ihre Rede im Wortlaut dokumentiert.

Stiefel ist nicht nur Kontext-Mitgründerin, sondern auch Vize-Vorsitzende des Forums Gemeinnütziger Journalismus. Und in dieser Funktion durfte sie sich über den neuen Koalitionsvertrag freuen: Denn darin haben Union und SPD versprochen, Rechtssicherheit für den gemeinnützigen Journalismus herstellen zu wollen. Das hatte zwar schon die Ampel-Koalition versprochen und nicht umgesetzt, aber immerhin wurde das Vorhaben nicht komplett beerdigt, wie viele befürchtet hatten.

Was weit häufiger im Koalitionsvertrag vorkommt als das Wort "gemeinnützig", ist das Wort "Offensive". Da gibt es etwa eine "Anerkennungsoffensive", eine "Investitionsoffensive", eine "Rückführungsoffensive", eine "Sicherheitsoffensive", eine "Offensive in Luft- und Raumfahrt", eine "Steuerentlastungs- und Entbürokratisierungsoffensive" und noch jede Menge weitere Offensiven. Angesichts der militärischen Konnotation des Begriffs wachsen uns schon Pickelhauben auf dem Haupt und die Ostereier bekommen Flecktarn. Daher möchten wir in dieser Ausgabe auch ein wenig an die Geschichte der Friedensbewegung und der Ostermärsche erinnern und warum diese wieder größer werden müssten. In diesem Sinne: fröhliche Ostern!

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