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Hasenfüße

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Das Jahr ist noch jung, doch einen heißen Anwärter auf den Titel "Hasenfuß des Jahres" gibt es bereits: WDR-Intendant Tom Buhrow, der, anstatt sich empört vor seine angefeindeten Mitarbeiter zu stellen, sich schnell von dem mittlerweile berüchtigten "Umweltsau"-Video distanzierte, sich sogar per Live-Anruf in einer WDR-Sendung "ohne Wenn und Aber" dafür entschuldigte. Das Video war von WDR 2 bei Facebook gelöscht worden, weil sich so viele Menschen darüber empört hatten. Zum größten Teil Rechte, wie der "Spiegel" nachwies. Aber auch "wohlmeinende Hörer", mühte sich Buhrow im neuen Jahr noch zu betonen. Spätestens hier will man rufen: Verdammte Kacke, empören – das soll es ja auch! Denn das ist Satire, die mehr sein muss als lustig, es gehört zu ihrem Wesen, auch mal weh zu tun. Ob sie gelungen ist, steht auf einem anderen Blatt – aber im Jahr 2020 ernsthaft über deren Freiheit diskutieren zu müssen, ist das eigentlich Unfassbare.

Hasenfüßigkeit auch beim Bayerischen Rundfunk? Jedenfalls wirft der freie Journalist Richard Gutjahr dem BR-Intendanten Ulrich Wilhelm vor, ihn trotz jahrelanger Angriffe und Morddrohungen von Neonazis und Verschwörungstheoretikern wegen seiner Beiträge für den BR im Stich gelassen zu haben. Der Sender dementiert, hinterlässt aber im Umgang mit dem Fall trotzdem einen fatalen Eindruck, wie Thomas Schuler für Kontext nachzeichnet.

Als willkommener Vorwand diente das "Umweltsau"-Video auch dem baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten und Dauerpöbler Stefan Räpple, mal wieder gegen eine angeblich "linksversiffte" Presse zu wettern. Er hatte am 4. Januar zu einer Kundgebung vor dem SWR-Funkhaus in Baden-Baden mobilisiert, und noch demagogischer als Räpple tat sich dort der Freiburger AfD-Stadtrat Dubravko Mandic als Redner hervor, der unter dem Jubel der geschätzt 150 Demonstranten und unter den Pfiffen von etwa drei Mal so vielen Gegendemonstranten bellte: "Wir werden sie aus ihren Redaktionsstuben vertreiben!" Rhetorische Grüße vom Obersalzberg. In Baden-Baden dabei war auch Doris von Sayn-Wittgenstein, bis zu ihrem Parteiausschluss wegen Unterstützung eines rechtsextremistischen Vereins Vorsitzende der AfD Schleswig-Holstein. Was ein weiteres Mal zeigt: Die AfD Baden-Württemberg ist sehr tolerant – was Rechtsextremismus in den eigenen Reihen angeht. Umso wichtiger, hier keine Hasenfüßigkeit zu zeigen, sondern dagegenzuhalten.

Ob man Fritz Kuhn, den Stuttgarter Noch-OB, der nicht noch einmal zur Oberbürgermeisterwahl antritt, nun einen Hasenfuß nennen will, sei dahingestellt. Vielleicht hatte er auch nur befürchtet, seine Fußstapfen in der Stadtgeschichte seien so klein, dass auch eine zweite Amtszeit nichts mehr retten könne. Mal sehen, ein bisschen Fußstapfen-Kosmetik könnte immerhin Kuhns Versuch sein, das schwule Szenelokal "Eagle" im Heusteigviertel zu retten. Nach einem Betreiberwechsel wollte die städtische Gaststättenbehörde einen Fortbestand nur mit hohen Auflagen gestatten und führte in einem Schreiben an, die Gäste des Eagle seien eine "potenzielle Gefahr für die Sittlichkeit und eine mögliche Belästigung der Nachbarschaft", weswegen der Betrieb dem öffentlichen Interesse widerspreche. Auf den Aufschrei in der Community reagierte dann auch der OB: Kuhn wolle "sofort intern den Sachverhalt prüfen und dann mit den Betreibern schnellstmöglich nach einer Lösung suchen". Da wünschen wir viel Erfolg.

Als ausgesprochene Nicht-Hasenfüße ist die Redaktion des NDR-Medienmagazins "Zapp" bekannt. Von dort war Anfang Dezember ein Team bei Kontext zu Besuch, recherchierte zu unserem Rechtsstreit mit dem Mitarbeiter zweier AfD-Landtagsabgeordneter. Nachdem er einmal verschoben wurde, wird der Beitrag nun in der Sendung vom heutigen Mittwoch, dem 8. Januar um 23.15 Uhr gezeigt.

PS:

 

Anmerkung: In einer früheren Fassung des Textes hieß es, WDR-Intendant Tom Buhrow habe das Video löschen lassen. Tatsächlich entschieden Programmchef und Redaktion von WDR 2, das Video von der WDR-2-Facebook-Seite zu löschen. Wir haben die entsprechende Stelle korrigiert.


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10 Kommentare verfügbar

  • chr/christiane
    am 11.01.2020
    Antworten
    Hinweis:
    Ich glaube an Gott. Trotzdem --oder gerade deshalb-- bin ich 2018 aus der evangelischen Kirche ausgetreten und gelte seitdem als "Ungläubige".

    All diese Kommentare kann ich nur schreiben, weil ich die Zusage habe, sollte ich alles, mein ganzes Leben in Gottes Hände legen, er dafür…
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