Die Provokation ist so perfekt, dass sich die Plakatierer weigerten, die Sprüche aufzuhängen. "Die Würde des Menschen ist auch beim Ficken unantastbar" oder "Nutten sind Menschen" – das konnte doch nur eine Guerillaaktion sein. OB Fritz Kuhn himself musste zum Hörer greifen, um die Reklameaufhänger davon zu überzeugen, dass es keineswegs um Schweinkram geht: "<link http: stuttgart-sagt-stopp.de external-link-new-window>Stuttgart sagt stopp" heißt die offizielle Kampagne der Stadt. Das Ziel ist ambitioniert: Armutsprostitution stoppen, Freiern ins Gewissen und über das gesellschaftliche Frauenbild reden. Mag Kuhn beim Pressetermin auch etwas linkisch neben dem Plakat stehen – der grüne OB hat die Kampagne zu seiner Aktion gemacht. Dazu gehört Mut.
Bei den Prostituierten kommen die drastischen Sprüche gut an, weiß Sabine Constabel. Und wenn die Lobby der Bordellbetreiber aufgeregt twittert und Einbußen im Sexgeschäft fürchtet, denkt sie nur cool: "Wunderbar, hat doch geklappt." Sabine Constabel, Leiterin der Beratungsstelle für Prostituierte beim Gesundheitsamt und so etwas wie die Jeanne d'Arc des Stuttgarter Rotlichtviertels, hofft auf eine breite Diskussion. "Kondome benutzt man, Frauen nicht" – den Spruch finden nicht nur Prostituierte ganz prima. Darüber könnte man doch in der Oberstufe eine Erörterung schreiben, meint die Frau, die seit 20 Jahren Prostituierte berät. Eine gute Idee für die Deutschstunde.
Auch die 56-Jährige hat erst mal trocken geschluckt. Das Wort Nutten gehört nun mal nicht zu ihrem Sprachgebrauch, Nutten ist wie Neger, sagt sie, no go. Sie wollte es softer, der OB härter. Nun ist Stuttgart die erste Großstadt in Deutschland, die eine solche Kampagne startet und Kuhn der erste Oberbürgermeister, der sich das traut. "Das ist revolutionär und verdient Respekt", sagt Constabel. Stuttgart – von der Hauptstadt des Widerstands zur Hauptstadt der sexuellen Revolution. Sage noch einer, die Schwaben seien spießig.
Gestritten wird auf allen Kanälen, auch auf unserer Facebook-Seite gehen die Posts durch die Decke. "Ich bezweifle, ob sich Herr Kuhn mit diesen primitiven Sprüchen einen Gefallen tut", "armes Deutschland", meinen die einen, "Sexkauf verstößt gegen die Menschenwürde", kontern die anderen. Und selbstverständlich gibt es die üblichen Verdächtigen, die Armuts- und Zwangsprostitution anzweifeln.
Nun hoffen die Initiatoren auf eine kritische Bürgerschaft, die den städtischen Impuls aufgreift, um über Menschenwürde, Armutsprostitution und Freier zu diskutieren. Das La Strada hat schon reagiert: Das Prostituiertencafè in der Jakobstraße lädt an den kommenden zwei Freitagen zur Bürgersprechstunde ins Leonhardsviertel. Auch Sabine Constabel wird dort sein.
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Rano64
am 03.05.2016Zwangsregistrierungen und Verbote (schwedisches Modell) helfen nur heuchelnden und…