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Landvermessung

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Mehr Aufmerksamkeit geht kaum. Man schaut auf Baden-Württemberg. Als demokratisches Labor. Sogar der Papst hat sich über Stuttgart 21 erkundigt. Wie tickt dieses Land, in dem so viele aufgebrochen sind, die Politik mitzugestalten? Wir starten dazu heute eine Serie: Landvermessung.

Mehr Aufmerksamkeit und neue Wertschätzung für ein Bundesland geht kaum. Seit vielen Monaten schaut man in Deutschland, aber auch im Ausland auf Baden-Württemberg, interessiert, gespannt, auch verwundert. Als demokratisches Labor gilt es ja schon bei manchen prominenten Denkern nördlich von Heilbronn, also aus dem Rest der Republik. Doch dass sich jetzt auch noch der Papst beim Tête-à-Tête mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann über Stuttgart 21 erkundigt hat, zeigt endgültig: viel Neues im Südwesten. Anlass genug, einer Frage nachzugehen, die hinter diesem breiten Interesse steht, die in die Tiefe geht: Wie tickt dieses Land, in dem so viele Menschen aufgebrochen sind, um den Mächtigen Mores zu lehren und Politik selbst aktiv mitzugestalten, und in dem ähnlich heftig gestritten wird wie in der katholischen Kirche, um mit Benedikt XVI. zu sprechen?

Es ist Zeit, dieses Baden-Württemberg und seine Menschen intensiv zu beleuchten, dem Land buchstäblich nach-zu-denken und es dort aufzuspüren, wo seine Tiefenstrukturen, Eigenheiten, auch seine Ambivalenzen liegen – es also neu zu vermessen. Aus möglichst originellen Blickwinkeln, an spannenden Orten und mit markanten Geschichten und Gesichtern.

"Landvermessung" heißt die Serie, die wir heute starten. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden sich darin treffen, Kristallisations- und auch Brennpunkte des politischen, sozialen und religiösen Lebens bündeln. Und vielleicht auch Visionen, wie sich dieses neue, andere Baden-Württemberg weiter entwickeln kann oder sollte, jenseits seines gängigen Etiketts als Land der Tüftler, Schaffer und Cleverle. Und auch mit ihnen. Mit 60 Jahren ist man heutzutage nicht alt, sondern fast (noch) im besten Alter, also fähig zu Aufbrüchen, Veränderungen, auch Unbequemlichkeiten und Garstigkeiten. Baden-Württemberg wird im nächsten Jahr 60. Als demokratisches Labor ist es jedenfalls sehr jung und gerade jetzt, in diesen Zeiten des Streites, so spannend, um mitunter vielleicht neu entdeckt zu werden – bevor die traditionellen Jubelarien zum Landesjubiläum angestimmt werden.

Vor fast 200 Jahren gab es eine historisch-reale Landesvermessung des Königreiches Württemberg, sie startete offiziell auf Solitude, im September. Also liegt es nahe, dort auch den Auftakt zu dieser anderen Landvermessung zu machen, mit einem Beitrag von Jean-Baptiste Joly, dem Direktor der Akademie Schloss Solitude. Es ist ein hintergründiger, chronistischer Blick auf "<link internal-link>Das Septemberland".

In den Geschichten, Reportagen, Essays oder Porträts zur Landvermessung, die wir in den nächsten Wochen und Monaten veröffentlichen, soll die Denkreise immer tiefer hinein in dieses Land gehen, das so stark von der Gleichzeitigkeit des Gegensätzlichen geprägt ist wie kaum ein anderes. Rebellisch und obrigkeitsgläubig, verhockt und weltoffen, reizend und räs, barock und postmodern, närrisch und todernst, spendabel und päb, rational und romantisch, blitzsauber und dunkel, verfilzt und sehr korrekt, rechtschaffen und wild, zockend und bausparsam, lyrisch und dramatisch – am Ende könnten es jubiläumsträchtig gar 60 verschiedene Eigenschaften sein, die in den Beiträgen aufscheinen.

Diese Land-und-Befindlichkeits-Vermessung im ebenso traditionsreichen wie aufmüpfigen Baden-Württemberg wollen wir nutzen, um die Kontext:Wochenzeitung zu öffnen. In einer Art Werkstatt werden Studierende der Stuttgarter Kunstakademie mit ihrem Professor, dem Kommunikationsdesigner Uli Cluss, die Kontext-Idee grafisch aufgreifen. In einem Seminar vor Semesterbeginn werden sie nicht nur die Biennale in Venedig besuchen, sondern sich auch Gedanken machen zu einem Serien-Signet. Es soll jede Folge die Landvermessung begleiten und damit ein grafisches Ausrufezeichen setzen.

Anfang Oktober werden die Studierenden bei einem Kontext-Redaktionsbesuch ihre Ideen diskutieren und am Computer in Feinarbeit grafisch umsetzen. Das beste Signet wird unsere Serie bis ins nächste Jahr begleiten. Alle anderen Entwürfe werden wir unseren Leserinnen und Lesern vorstellen.

Diese Werkstatt könnte der Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit sein. Denn wir von der Kontext:Wochenzeitung denken auch daran, die Darstellung von Inhalten in Text und Bild zu erweitern um wöchentliche Illustrationen. Vielleicht entwickelt sich daraus eine konstante Mitarbeit? Das ist ja das Schöne bei Werkstätten: Man darf immer gespannt sein, was dabei herauskommt.

Aber nun freuen wir uns erst einmal auf die künstlerische Begleitung bei unserer Landvermessung.


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