KONTEXT:Wochenzeitung
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Manifest zur Verkehrswende

Manifest zur Verkehrswende
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"Die Zeit der unkalkulierbaren Großprojekte mit zweifelhaftem Nutzen geht zu Ende", sagt der Heiner Monheim von der Universität Trier. Anfang der Woche hat der Verkehrswissenschaftler in Stuttgart den Entwurf eines bundesweiten Bahnmanifestes vorgelegt, das eine "Verkehrswende in Stadt und Land" fordert. Ziel: der massenhafte Umstieg vom Auto auf die Bahn – bürgernah, also mit intensiver Beteiligung der Bevölkerung. Die Kontext:Wochenzeitung dokumentiert das Manifest.

Umweltfreundliche Verkehrsmittel werden integriert ...

Der bevorstehende Baustopp für S 21 markiert einen wichtigen Wendepunkt in der deutschen Bahnpolitik der Nachkriegszeit. Die Zeit der unkalkulierbaren Großprojekte mit zweifelhaftem Nutzen und unklarer Wirtschaftlichkeit geht zu Ende. Jetzt beginnt endlich wieder eine Phase fundierter Bahnpolitik. Die Parlamente von Bund und Ländern geben dem Bahnsystem endlich den angemessenen Stellenwert und leiten damit die längst überfällige Verkehrswende in Stadt und Land ein. Und die Bahnen in Deutschland bekommen eine neue strategische Ausrichtung.

In einem Sofortprogramm werden Tausende von dringend erforderlichen Modernisierungs- und Ausbauprojekten finanziell und planerisch gesichert. Schwerpunkt bilden Streckenreaktivierungen, der Ausbau regionaler Netze, der Ausbau der Knoten, die Einführung des landesweiten integralen Deutschlandtakts, die Schaffung zahlreicher neuer Bahnhöfe und Haltepunkte, eine Wiedereinführung eines modernen Interregio-Systems, eine systematische Elektrifizierung des Netzes und ein innovativer, stadt- und landschaftsgerechter Lärmschutz. Auch die Güterbahn wird regionalisiert, um mit einem dezentralen System vieler Güter-S-Bahnen und Güter-Regionalbahnen und Güterverkehrszentren auch den regionalen Güterverkehr für die Bahn zurückzuerobern.

Mit dem beschleunigten Abarbeiten solcher Notwendigkeiten für eine erfolgreiche, wirtschaftliche, kundennahe Bahn im ganzen Land beginnt ein echtes Infrastruktur- und Konjunkturprogramm im Verkehr. Auf diese stetige Angebotsoffensive können sich die Bahnindustrie und die Bauindustrie einstellen. Eine Beschäftigungsoffensive führt zu zahlreichen Neueinstellungen und einer breiten Qualifizierung für modernen Mobilitätsservice im ganzen Netz. Damit wird endlich die dringend erforderliche Verkehrswende in Deutschland eingeleitet. Sie bewirkt, dass Menschen massenhaft vom Auto auf die Bahn umsteigen, auch weil die neue Tarifpolitik nach dem Motto "BC 100 für alle" aus den Deutschen ein Volk von Bahnfahrern macht. Dadurch können die Einnahmen der deutschen Bahnen massiv gesteigert werden.

Die öffentlichen Hände schichten ihre Verkehrsinvestitionen zunehmend vom Straßenverkehr auf den öffentlichen Verkehr um. Vor allem aber lernen Politik und Planung aus dem Fiasko von S 21: Planung muss bürgernah erfolgen, mit intensiver Beteiligung von Anfang an.

Deutschlands Verkehrspolitik in globaler Verantwortung

Deutschland hat als Wirtschaftsmacht für viele Länder eine Vorbildfunktion. Das Modell "Autoland = Stauland" hat ausgedient. Künftig bringt Deutschland mit innovativen Konzepten die nachhaltige, effiziente Mobilität entscheidend voran. Es wird endlich seiner besonderen Verantwortung für eine postfossile Verkehrs-, Klima- und Energiepolitik gerecht und gibt dem Umweltverbund aus öffentlichem Verkehr, Fuß- und Fahrradverkehr sowie den neuen, intelligenten Konzepten für einen reduzierten, effizienten Autoverkehr mit Car2Go, Carsharing, differenziertem, individualisiertem öffentlichem Verkehr die höchste Priorität. Autoverkehr wird als Energieverschwender, Klimakiller und Stauverursacher stark reduziert. Deshalb kann der Infrastrukturaufwand für den Autoverkehr stark zurückgefahren und vorrangig auf den Unterhalt bestehender Netze konzentriert werden. Das entlastet entscheidend die Haushalte des Bundes, der Länder, der Regionen und Kommunen.

... die Autobahnen leerer ...Verträgliche Geschwindigkeiten

Die Gesetze der Physik sind eindeutig: Hohe Geschwindigkeiten sind schädlich und gefährlich und verringern die Effizienz im Verkehr. Infrastruktur für hohe Geschwindigkeiten ist im Straßenverkehr und im Bahnverkehr extrem teuer. All das spricht für Maßhalten bei der Geschwindigkeit. Diese Strategie dient dem Klimaschutz, der Luftreinhaltung, der Lärmminderung, der Energieeinsparung, der Unfallverhütung, der Stauvermeidung und dem Flächensparen. Der Autoverkehr wird durch dringend erforderliche Tempolimits und systematische Verkehrsberuhigung entschleunigt. Im Bahnverkehr werden anstelle der Hochgeschwindigkeitsphilosophie für teure Bolzstrecken auf wenigen Korridoren mit Priorität Langsamfahrstellen und Zeitverluste an Knoten und Streckenengpässen abgebaut. Integrale Taktfahrpläne sichern eine angemessene Systemgeschwindigkeit. Eine Begrenzung der Ausbaugeschwindigkeit auf 200 km/h ist ein Gebot der Wirtschaftlichkeit.

Öffentlicher Verkehr als attraktives Gesamtsystem

Unabhängig von Landes-, Regional- und Kommunalgrenzen und unterschiedlicher Aufgabenträgerschaft wird öffentlicher Verkehr als integriertes Gesamtsystem geplant und finanziert. Deutschland erhält einen gesamthaften Verkehrsverbund. Das Deutschland-Generalabo integriert alle Teilsysteme und wird nach der Logik eines Bürgertickets sehr preiswert ("BC 100 für alle"). Problemloses Reisen durch alle Tarif- und Fahrplansysteme wird so garantiert. Die Zeit der Kleinstaaterei, des Partikularismus und der Systembrüche ist zu Ende. Unterstützt wird die Verkehrswende durch die bundesweite Einrichtung lokaler und regionaler Mobilitätszentralen, die alle Angebote der nachhaltigen Mobilität über eine zentrale Webadresse und Telefonnummer zusammenfassen.

Schluss mit dem Defizitgerede

Der öffentliche Verkehr verliert sein Image als defizitärer Subventionsempfänger. Er wird zum Wachstumsmotor. Die Netze werden nicht mehr ausgedünnt, keine Bahnhöfe mehr geschlossen und verkauft, keine Straßenbahnen mehr stillgelegt. Denn öffentlicher Verkehr ist bei fairer Kostenanrechnung sehr viel wirtschaftlicher als der Autoverkehr. Öffentlicher Verkehr ist für eine schrumpfende und alternde Gesellschaft und ein strapaziertes Weltklima überlebenswichtig. Öffentlicher Verkehr wird auch in ländlichen Regionen und Klein- und Mittelstädten attraktiv gestaltet. Gerade dort sind große Erfolge im öffentlichen Verkehr möglich.

Ehrgeizige, kundenorientierte Angebotsstandards, Renaissance der Bahnen 

Jedes Wohn- und Gewerbegebiet wird an den ÖPNV angeschlossen. Die Güterbahn wird auch im Nah- und Regionalbereich leistungsfähig gemacht. Im Interesse kurzer Wege wird die Zahl der Haltestellen und Bahnhöfe deutlich gesteigert. Bahnen sind die attraktivsten Teile des öffentlichen Verkehrs. Der eigene Fahrweg macht sie unabhängig und besonders verkehrssicher. Die Schienen garantieren hohe Laufruhe und eine gute Sichtbarkeit und Merkbarkeit des Fahrweges. Die Fahrzeuge sind besonders komfortabel und wirtschaftlich wegen der großen Kapazität. Bahnen haben einen besonderen Akzeptanzbonus unter den öffentlichen Verkehrsmitteln. Deshalb braucht Deutschland eine Renaissance der Bahnen.

Priorität für die Flächenbahn

Die Konzentration der Bahninvestitionen auf wenige Großprojekte der Hochgeschwindigkeitsbahn wird beendet. Bahninvestitionen erfolgen systemwirksam mit dem größtmöglichen Netzeffekt. Höchste Priorität bekommen kleinteilige Bahnprojekte für den Ausbau der ländlichen Regionalbahnen und städtischen S-Bahnen. Daneben ist auch ein neuerlicher Ausbau des Interregio-Systems dringend erforderlich, um die vielen von der Fernbahn abgehängten Ober- und Mittelzentren wieder sinnvoll anzubinden. Für den Markterfolg sind der Ausbau und die systematische Modernisierung mittlerer und kleiner Bahnhöfe sowie die Einrichtung vieler neuer Haltepunkte (bei kleinen Haltepunkten und Regionalbahnen kostengünstiger Ausbau nach Standards der BO Strab statt teurer und unattraktiver Unterführungen) nötig. Die Schiene wird so den heutigen Raum- und Siedlungsstrukturen angepasst. Damit wird die Bahn kundennah.

Deutschlandtakt als Maßstab

Maßstab für die räumliche Verteilung der Investitionen ist der integrale Deutschlandtakt, der durch optimale Verknüpfung in den Knotenbahnhöfen eine hohe Systemgeschwindigkeit sichert. Durch die enge Verknüpfung von Fernbahn, Regionalbahn und lokalem ÖPNV erreicht das System seine volle Wirkung. Besondere Kapazitätsengpässe bestehen in vielen Großstädten. Hier werden für den Ausbau der S-Bahnen Trassen erweitert und die Bahnhöfe für die Aufnahme zusätzlicher Züge ausgebaut.

Bahnnetze in Grenzregionen zusammenführen

In europäischen Grenzregionen werden attraktive grenzüberschreitende Zugverbindungen angeboten. Die Euregios bilden grenzüberschreitende Verkehrsverbünde mit attraktiven Euregio-Tarifen und Fahrplänen. Die Technik- und Personalstandards werden harmonisiert. Die "kleinen Grenzverkehre" erhalten Vorrang vor dem Ausbau der transeuropäischen Hochgeschwindigkeitsnetze.

Ausbau von S-Bahnen und Regionalbahnen

Lange Zeit hat sich die Deutsche Bahn aus der Fläche zurückgezogen. Der Nahverkehr war ihr ungeliebtes "Stiefkind". Nach der Regionalisierung gab es aber zahlreiche erfolgreiche Streckenreaktivierungen und Systemmodernisierungen. Neue Fahrzeuge und bedarfsgerechte neu Haltepunkte sowie klare Taktfahrpläne, eine Tarifintegration in regionalen Verbunden und ein engagiertes Marketing haben zu einer Renaissance der Regionalbahnen geführt. Dagegen ist in den letzten Jahrzehnten der S-Bahn-Ausbau in Deutschlands Großstädten kaum noch vorangekommen, obwohl die bestehenden S-Bahnen sehr erfolgreich sind. Dichter Taktverkehr und viele neue Haltepunkte sorgen für eine massive Nachfragesteigerung. Diese positive Entwicklung im Schienennahverkehr wird weiter forciert, viele Regionalbahnen warten noch auf ihre Reaktivierung und Modernisierung, viele potenzielle S-Bahn-Netze auf ihren Ausbau. Hierfür wird ein eigenes Investitionsprogramm aufgelegt.

Renaissance der Straßenbahn

Die Straßenbahn ist ein kostengünstiges, leistungsfähiges Schienenverkehrsmittel, das städtebaulich gut integriert werden kann. Deshalb werden bestehende Straßenbahnnetze ausgebaut und neue Straßenbahnsysteme in Mittel- und Kleinstädten eingeführt. Die kostenintensiven und autoorientierten Standards für Stadtbahnen werden gesenkt und flexibilisiert. Die Zeit der teuren Tunnelprojekte und Hochbahnsteige ist vorbei. Niederflur wird überall Standard.

... der Autoverkehr reduziert ...

Öffentlicher Verkehr als Basis der Elektromobilität

Die Elektromobilität begann mit der "Elektrischen", der Straßenbahn. Später kam der O-Bus dazu. Die Elektrifizierung des Bahnnetzes kam in Deutschland lange zu kurz. In Zukunft konzentriert sich die Förderung der Elektromobilität auf den öffentlichen Verkehr. Die lang bewährten Straßenbahnen und O-Busse werden systematisch ausgebaut. Die Elektrifizierung des Bahnnetzes wird konsequent zu Ende geführt.

Bussysteme für das ganze Land – Dorf-, Orts- und Quartierbus für die Feinerschließung

Die Zweiteilung Deutschlands in urbane Räume mit ÖPNV-Priorität und ländliche Räume mit Autopriorität ist fatal. Auch in Kleinstädten und Dörfern ist ein differenzierter und attraktiver ÖPNV möglich. Bussysteme eignen sich besonders für eine hierarchische Differenzierung. Dafür werden Mini- und Midibusse stärker gefördert. Sie sind besonders wichtig für die Feinerschließung der Quartiere sowie Dörfer und Streusiedlungslagen. Die bisherige Nahverkehrsplanung ignoriert die lokale Feinerschließung. Das ändert sich jetzt mit der Einführung vieler neuer Dorf- und Ortsbussysteme. Die Länder verankern fein erschließende ÖPNV-Systeme in den Nahverkehrsgesetzen und fördern ihren Ausbau. Dorf-, Orts- und Quartiersbussysteme fahren kundennah in kleinste Straßen und Gassen und halten oft. In einer alternden Gesellschaft wird diese sprichwörtliche Kundennähe zum zentralen Qualitätskriterium.

Stadt- und Regionalbus für die Hauptverbindungen

Für die gesamtstädtische und die regionale Mobilität sind Stadtbusnetze, Regio- und Schnellbusnetze entscheidend. Sie gehören zum Regelbestandteil der Nahverkehrsplanung. Regionale Busnetze werden kreisgrenzenübergreifend mit den lokalen Systemen verknüpft. Sie können in ländlichen Regionen kombinierten Personen- und Gütertransport leisten. Für ihre Fahrzeiten sind Beschleunigungsmaßnahmen (eigene Trassen, BRT, Signalbeeinflussung) entscheidend. Sie konzentrieren sich auf die Hauptachsen, die Feinverteilung in die Fläche wird durch kleinteiligen ÖPNV gesichert.

Flexible Angebotsformen

Die kleinen Nachfragevolumina mit ihren räumlichen und zeitlichen Schwankungen werden flexibel durch Rufbusse, AST, Zugtaxi, Bürgerbusse bedient und über Mobilitätszentralen koordiniert. Hierfür werden die gesetzlichen Grundlagen verbessert und die Finanzierung gesichert. Flexible Angebote werden Regelbestandteil in den Nahverkehrsgesetzen und Nahverkehrsplänen.

Kommunikation und Marketing

Der öffentliche Verkehr leidet an der großen psychologischen Distanz vieler Menschen, die ihn nie oder selten nutzen. Sie gewinnt man mit einem großen Engagement für professionelle Werbung, Marketing und Information. Fahrplan- und Tarifinformationen gehören in jeden Haushalt. Moderne Fahrgastinformationssysteme mit Echtzeitauskunft gehören an jede Haltestelle. Neue Online-Dienste sind eine Bereicherung, aber sie können die konventionellen Informationen nicht ersetzen. Zielgruppe für Information und Werbung sind auch die Selten- oder Garnichtnutzer, die man an Tankstellen, in Autohandlungen oder im Stau erreicht. Marketing und Werbung erfolgen professionell und nutzen auch die emotionale Seite im Mobilitätsgeschehen. Modernes Dialogmarketing sichert die stärksten Verhaltensänderungen.

Deutschlandabo als Basis universeller öffentlicher Systemnutzung

Am erfolgreichsten ist der öffentliche Verkehr mit seinen Zeitkarten. Das Deutschlandabo beendet die Zersplitterung in die verschiedenen Verbünde und Teilsysteme und macht aus vielen Deutschen Dauerkunden. Vorbild hierfür ist das Schweizer Generalabo. Es gilt auf allen Teilsystemen des öffentlichen Verkehrs im ganzen Lande. Das neue Deutschlandabo bietet eine preisgünstige Flatrate-Reglung für massenhaften Absatz als Personenticket, Haushaltsticket, Jobticket und Semesterticket. Es gilt bundesweit auf allen Zuggattungen und ÖV-Systemen. Es wird steuerlich gefördert. Wer sein Auto verschrottet und dafür das Deutschlandabo kauft, erhält eine "Abschlachtprämie".

Fahrrad als Kombinationsverkehrsmittel

Das Fahrrad eignet sich hervorragend für die Kombination mit Bus und Bahn. Dem dienen Radstationen an mittleren und großen Bahnhöfen und Bike-&-Ride-Anlagen an den übrigen Haltestellen. Bund, Länder, Kommunen und die ÖV-Unternehmen verstärken ihre Anstrengungen für den Ausbau solcher Schnittstellen erheblich durch eigene Förderprogramme. Die Verkehrsunternehmen unterstützen die Fahrradmitnahme tariflich und durch Umbau der Fahrzeuge und Bahnhöfe. Kommunale Leihfahrradsysteme werden schnell und systematisch ausgebaut und mit dem ÖPNV eng verknüpft. Der ÖPNV tritt als Betreiber auf. Leihfahrradsysteme werden städteübergreifend organisiert. Sie werden in die ÖPNV-Förderung integriert und erhalten einheitliche Standards für die Logistik.

Neuer Ordnungsrahmen

Der bestehende Ordnungsrahmen im Verkehrsrecht, Planungsrecht und Steuerrecht ist autofixiert. Er wird für die Verkehrswende reformiert. Die Straßenverkehrsordnung wird entrümpelt von allen autodominierten Regelungen mit Nachteilen für die übrigen Verkehrsarten. In den Straßenbaurichtlinien werden die Standards für die Entwurfsgeschwindigkeiten, die Zahl und Breite von Fahrstreifen und die Kurvenausrundungen für den Autoverkehr reduziert. Sparsam dimensionierte Straßen werden die Regel. Die Geschwindigkeitslimits werden abgestuft nach den Prinzipien der Verkehrsberuhigung und Sparsamkeit. Das neue Baurecht fördert autofreies, kompaktes, nutzungsdurchmischtes Bauen zum Wohle der Nahmobilität. Die Forderungen kommunaler Stellplatzsatzungen werden reduziert. Erschließungsbeiträge werden zur Mitfinanzierung von ÖPNV-Investitionen genutzt (Nahverkehrsabgabe). Im Steuerrecht werden die vielen Vorteile für Autofahrer und Dienstwagenbeschaffung sowie -nutzung abgeschafft.

... Bike & Ride für alle. Fotos: Martin StorzUmschichtung der Verkehrsinvestitionen und Reform der Verkehrsfinanzierung

Das für die Stärkung des Umweltverbunds notwenige Geld wird durch Umverteilung der Investitionsmittel beschafft – weg vom Autosystem und von Großprojekten hin zum Umweltverbund auf der kommunalen und regionalen Ebene. Auch der ÖV achtet auf sparsam dimensionierte Ausbaustandards. Denn es geht um die Gesamtqualität der Netze, um ihren Systemcharakter und ihr optimales Zusammenwirken. Übertriebener Perfektionismus an einzelnen Stellen hilft wenig. Teure Großprojekte sind nicht akzeptabel, ihre Kosten "explodieren" häufig, und die Betriebskosten werden "übersehen". Die Verkehrsfinanzierung wird grundlegend reformiert. Die Tarife für umweltverträgliche Mobilität bleiben bezahlbar für alle. Der Mobilitätssicherung von Menschen mit geringem Einkommen dienen Sondertarife. Die Verkehrsfinanzierung trägt auch zur Schadenskompensation bei. Der Autoverkehr ist der größte Schadensverursacher. Er muss seine Folgekosten vollständig tragen. Dies zwingt zu neuen Mautregelungen, die verursachergerechte Preise festlegen, auch für die Pkw-Nutzung. Automobilität wird deutlich teurer. Die direkten und indirekten Subventionen für den Autoverkehr und die Abwälzung der Folgekosten auf die Allgemeinheit werden beendet. Wahre Preise sind der Schlüssel zu einer sinnvollen Verkehrsentwicklung.

Die Verkehrswende braucht andere Finanzprioritäten. Die Ausgaben für Verkehr werden reduziert. Die öffentlichen Hände müssen sparen. Mehr Geld bekommen Fuß- und Radverkehr, ÖV, Schnittstellen im Umweltverbund und Mobilitätszentralen. Zentral für die Verkehrswende ist eine Stärkung der kommunalen Finanzausstattung und eine Verbesserung der kommunalen Einnahmemöglichkeiten im Verkehr. Deutlich weniger Geld braucht der Fernstraßenbau. Auch beim Parkraum wird gespart. Die Mineralölsteuer orientiert sich künftig auch am Verursacherprinzip und dient damit auch der Kompensation der Schäden des Autoverkehrs. Der Hauptschaden entsteht in den Städten und Gemeinden. Dorthin muss der Hauptteil der Mineralölsteuer fließen. Städte und Gemeinden, die ihren Autoverkehr wirkungsvoll vermindern und damit das Klima schützen, müssen aus der Mineralölsteuer begünstigt werden. Parallel dazu wird eine Bodenversiegelungsabgabe eingeführt, um die weitere Asphaltierung des Landes zu bremsen und die Entsiegelung und Renaturierung überdimensionierter Verkehrsflächen zu finanzieren.

Die ÖPNV-Finanzierung erhält als neues Instrument eine Nahverkehrsabgabe, die von den Nutznießern einer ÖV-Anbindung wie Unternehmen und Grundstückseigentümern erhoben wird. Für die Straßenerschließung gibt es schon lange solche Erschließungsbeiträge. Mit Nahverkehrsabgaben kann die Qualität des ÖPNV auch in kleinen Gemeinden gesichert und verbessert werden. Frankreich hat mit dieser Abgabe ("versement transport") sehr gute Erfahrungen gemacht.

Als neues Finanzierungs- und Steuerungsinstrument wird europaweit eine Maut für Lkw und Pkw eingeführt, und zwar für das gesamte Straßennetz und fahrleistungsabhängig. Ein Teil der Einnahmen dient der Schadenskompensation, als Ausgleichzahlung an Menschen, die stark unter dem Autoverkehr leiden. Die Tarifierung erfolgt nach ökologisch-marktwirtschaftlichen Prinzipien im Interesse einer hohen Lenkungswirkung als effektives Antistaumittel. Vorbild ist diesbezüglich das Singapur-Modell mit einer räumlichen, zeitlichen und umweltmäßigen Staffelung. Fahren im Stau wird am teuersten. Ein Großteil des Mautaufkommens kommt den Kommunen zugute, denn auf sie konzentrierte sich der Autoverkehr, sie leiden am meisten unter seinen Schadensfolgen.

Im Autoverkehr kann viel gespart werden: beim Fernstraßenbau, beim Parkraumbau. Deswegen muss es der Bauwirtschaft nicht schlecht gehen. Die kleinteiligen Investitionen in den Umweltverbund sichern je eingesetztem Euro mehr Arbeitsplätze als die durchrationalisierten Großprojekte. Gespart werden kann auch in der autofixierten Forschung (Pkw-Leitsysteme, Elektroautos, Akkuladesysteme). Und gespart werden kann durch Abbau der steuerlichen Begünstigungen für Dienstwagen.

 

Heiner Monheim, geboren 1946, ist Verkehrswissenschaftler und Professor an der Universität Trier. Der ausgewiesene Experte ist ein Verfechter der sanften Mobilität. Zuletzt war er Vize-Bundesvorsitzender von Pro Bahn. Von diesem Amt ist er zurückgetreten. Er wirft dem Fahrgastverband eine zu große Nähe zur DB AG vor.


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2 Kommentare verfügbar

  • Dr. Stefan+Kissinger
    am 18.03.2017
    Antworten
    Bravo. Insbesondere das Thema Bahn ist vortrefflich analysiert. Allerdings bedarf das Deutschlandabo noch eine sorgfältige Betrachtung. Ich fahre z.B. nie nach Lörrach nicht einmal nach Görlitz. Mir reicht völlig ein Großraum-Berlin-Ticket. Herr Gruna hat wohl nix begriffen - aber das ist nicht so…
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