In der Notaufnahme des Krankenhauses findet die Betroffene ratloses Personal vor. Ob sie schlafwandle, sich in einem psychotischen Zustand womöglich selbst den Finger abgetrennt und verschluckt habe, wird die 77-Jährige gefragt. Der Magen wird geröntgt – ohne Ergebnis. Immerhin: In einer Gewebeprobe findet sich tierischer Speichel. Eine genauere Bestimmung, heißt es später, lasse das Material nicht zu. Der städtische Wildtierbeauftragte sagt, aller Wahrscheinlichkeit nach habe es sich um einen Waschbär gehandelt, der invasive Allesfresser werde immer dreister und vermehre sich rasant.
Das Fernsehen steigt ein, der SWR fragt: Was tun, wenn die "putzigen Nager" zur Plage werden? Im Hörfunk werden neue Studien vorgestellt, die nahelegen, dass die Biester bald zu Haustieren werden könnten, weil ihre Scheu vor Menschen immer kleiner werde. Ein Merkmal könnten die um 3,5 Prozent kürzeren Schnauzen bei urbanen Waschbären sein, die auf weniger Stress, sprich Nahrung im Überfluss hindeuten.
Sollte dies den Kuschelfaktor erhöhen, dann nicht bei der Stuttgarter Galeristin. Sie hätte wahrscheinlich nichts dagegen, als down to earth charakterisiert zu werden, durchaus bodenständig, auch in der Lage, mit einer gebrochenen Schulter eine Auktion in London durchzustehen. Ohne Scheu präsentiert sie ihren abgebissenen Mittelfinger: "Spüren Sie, wie kalt er ist?" Ziemlich cool. Eine befreundete Psychologin, die sie aufgesucht hat, weil man ja nie wissen kann, ob im Oberstübchen noch alles in Ordnung ist, hat ihr eine große "innere Stabilität" bescheinigt.
Dazu passt auch die Geschichte mit ihrem Doktorvater, der kein Geringerer als Heinz Schlaffer war. Der vor zwei Jahren verstorbene Stuttgarter Ordinarius für Literaturwissenschaft, ein enfant terrible seiner Disziplin, hatte einen Ruf wie Donnerhall und ein besonderes Kleidungsstück, an das sich Edith S. noch gut erinnert: einen Waschbärmantel. Ein Kürschner braucht dafür um die 30 Felle.
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