Die Bundesnetzagentur hat den Wirrwarr der Fahrkarten bei Bahnunternehmen kritisiert. Allein die Bahn AG betreibt einen Wildwuchs an Fahrpreisen. Die Kontrolle darüber scheint niemand zu besitzen. Doch Fehler eingestehen, das tut der Konzern nicht.
Durch Zufall bin ich darauf gestoßen, dass die Deutsche Bahn AG für eine Strecke von Berlin nach Stuttgart einen falschen, überteuerten Fahrpreis verlangt: 129 Euro statt 118 Euro. Die Rechnung geht so: Die Fahrt von Berlin über Göttingen, Kassel und Frankfurt nach Stuttgart, durchgehend mit dem ICE, kostet 129 Euro. Das ist die schnellste und komfortabelste Verbindung. Man kann aber auch für 118 Euro von Berlin nach Stuttgart fahren: zum Beispiel mit dem ICE nach Bamberg und dann mit Regionalzügen über Würzburg und Heilbronn.
Und dann gibt es die Strecke von Berlin über Leipzig, Fulda und ebenfalls nach Würzburg mit dem ICE, von dort mit dem Regionalzug nach Heilbronn und Stuttgart. Wie bei der Fahrt über Bamberg kostet das Ticket bis Würzburg 96 Euro, und auch für alle weiteren Bahnhöfe auf dem Weg nach Stuttgart sind die Preise identisch: zum Beispiel bis Heilbronn 113 Euro und bis Ludwigsburg 118 Euro.
Doch dann tut sich Mysteriöses: Während die Verbindung über Bamberg bis Stuttgart weiterhin 118 Euro kostet, macht die über Leipzig und Fulda plötzlich einen Preissprung auf 129 Euro. So, als ob die Fahrt von Ludwigsburg vor den Toren der Landeshauptstadt bis nach Stuttgart sagenhafte elf Euro kosten würde. Ein Einzelfahrschein von Ludwigsburg nach Stuttgart kostet aber nur 3,40 Euro.
Realsatire mit Fortsetzung
Das bedeutet: zwei gestückelte Fahrscheine sind billiger als ein durchgehender. Wer also ein Ticket von Berlin über Leipzig und Fulda nach Ludwigsburg kauft und dann ein zweites von Ludwigsburg nach Stuttgart, spart 7,60 Euro.
Nun pflegt die Bahn allerdings ein sogenanntes degressives Fahrpreissystem, was heißt: die einzelnen Kilometer werden billiger, je weiter man fährt. Hier werden sie aber teurer – ein progressives Fahrpreissystem sozusagen. Das ist systemwidrig. Zwei ist weniger als eins, so die losgelöste bahneigene Mathematik.
Eine Realsatire mit Fortsetzung. Die Pressestelle der Bahn benötigt einige Tage für ihre Antwort, die da lautet: Der Fahrpreis von 129 Euro sei "vollkommen korrekt". Das Eisenbahnbundesamt, das als Aufsichtsbehörde der Deutschen Bahn gilt, findet ebenfalls nichts auszusetzen und erklärt stattdessen: "Wenn für Teilstrecken einer Verbindung Züge unterschiedlicher Produktklassen benutzt werden, berechnet sich der Normalpreis für die Gesamtstrecke nach der höchsten Produktklasse." In Normaldeutsch übersetzt heißt das: ICE-Preise auch für die Klapperzüge im Regionalverkehr.
Unfreiwilliges Eingeständnis eines Regelverstoßes
Nur Zeugnis einer Art professioneller Ignoranz, oder kann die Bahn den Fehler nicht zugeben, um ihrem Ruf nicht noch weiter zu schaden? Da stellen sich weitere Fragen: Seit wann wird dieser überteuerte Fahrpreis verlangt? Wie viele Fahrgäste sind bisher davon betroffen? Und gibt es noch mehr solcher Strecken?
Ich wollte wissen, was Bahnmitarbeiter von der Sache halten. Am Schalter habe ich mit einer Angestellten den Fall durchexerziert. Die Frau war perplex und meinte, das dürfe eigentlich nicht sein, da müsse ein Fehler vorliegen. Ich war irgendwie erleichtert. Es gibt noch Menschen, die wissen, dass zwei mehr ist als eins. Nur in der Konzernspitze rechnet man nach wie vor anders. Auch der Fahrgastverband Pro Bahn hat einen solchen Fall noch nicht erlebt und die Bahn damit konfrontiert.
Die Antwort kam von der Chefin der für die Fahrpreise zuständigen Vertriebsabteilung selbst. Alles sei vollkommen korrekt, erklärt sie unerschüttert. Als Grund für die Widersprüche gibt sie, O-Ton, "Stückelungs-Inkonsistenzen" an. Ein Wortmonstrum, hinter dem sich aber das unfreiwillige Eingeständnis eines Regelverstoßes versteckt. Zwei bleibt also weniger als eins – und die Erde ist eine Scheibe.
1 Kommentar verfügbar
Brechtle
am 07.12.2011Wieso gibt es eigentlich…