Man muss das feiern, wenn es gelingt. Manche schimpfen dann gleich wieder darüber, dass man es nicht als "normal" behandelt, dass man, indem man sich daran übermäßig freut, im Grunde wieder Differenzen schafft. Ja, das stimmt. Man schafft Differenzen, man betont sie, man hebt sie vor und lernt über sie: weil man sie nicht fürchtet. So schlicht und einfach ist es. Natürlich dürfen und sollen wir darüber reden, dass hier zwei Menschen in Europa ihren Weg gegangen sind in Zeiten, in denen man von Europa ebendiese Offenheit nicht erwartet hätte. Sie machen Hoffnung, auch den jungen Menschen in Europa, und es ist an uns, die Hoffnungen dieser Jugend nicht zu enttäuschen, weil wir in alten Klischees hängen bleiben.
Man darf sich nur von diesen beiden Ausnahmesiegen nicht hinters Licht führen lassen. Angela Merkel hat die Frauenfrage nicht gelöst. Obama hat die Schwarzen leider nicht so weit gebracht, wie man dachte. Im Gegenteil, viele meinen, Trump sei ein Phänomen der Weißen, die sich nun fürchten, in Zukunft von den Minderheiten regiert zu werden oder gar die Minderheit zu stellen. Wahrscheinlich haben sie Angst, dass die neuen Mehrheiten so mit ihnen als Minderheiten umgehen könnten, wie sie selbst es einst getan haben.
Stuttgarter Kabinett – niemand mit Migrationsgeschichte
Ich sehe mir an dieser Stelle das neue Stuttgarter Kabinett genauer an. Die Grünen, die sich seit jeher Integration auf die Fahnen schreiben, haben für das Kabinett keinen Kandidaten mit Migrationsgeschichte gefunden. Gibt es kein politisches Talent im Ländle, dem man einen Posten hätte anbieten können? Und wenn nicht, dann bleibt die Frage, weshalb sich in den letzten Jahrzehnten niemand um entsprechenden Nachwuchs gekümmert hat. Baden-Württemberg hat dreißig Prozent Menschen mit Migrationsgeschichte, die Landeshauptstadt sogar mehr, die Regierung hat null. In der Frauenfrage wäre diese Bilanz inakzeptabel. Bei Migranten wird sie einfach hingenommen. Diese Bilanz ist auch durch eine Landtagspräsidentin nicht zu glätten, ganz so billig sind wir nicht zu haben.
Das Ländle ist – neben Bayern – das Land der Gastarbeiter und das Land der Einwandererkinder. Die Industrie hat unser Schicksal geprägt wie kaum eine andere. Der Offsetdruck, Klett. Porsche. Bosch. "Halt dei Gosch, i schaff bei Bosch", das hat mein Vater gesagt, wenn er mir beibringen wollte, worüber Schwaben lachen. Ich hab es nicht verstanden, für mich klang es nach Klangwitz, etwas wie Limerick. Es geht mir bis heute so, ich verstehe vieles nicht, aber ein Klangwitz ist es nicht, zu sehen, dass die Regierenden es sich leisten, den Nachwuchs mit Migrationshintergrund nicht mitzunehmen.
Integration heißt auch Macht teilen
Integration, das heißt nicht nur helfen, Toleranz fordern und Maßnahmenpakete schnüren. Integration heißt teilhaben lassen, fördern und letztlich: Macht teilen. Das Integrationsministerium als Motor der Integration wurde geopfert. Es hat mehr auf den Weg gebracht, als ihm nachgesagt wird. Vor allem hat dieses Ministerium wie kein anderes an Maßnahmen für ein würdevolles Altern der ersten Gastarbeitergenerationen gearbeitet.
Baden-Württemberg wäre ohne die Industrie nicht das, was es ist. Und die Industrie wäre ohne die Einwandererfamilien nicht das, was sie ist. Made in Germany ist auch die Marke der Menschen, die jetzt alt werden. Ich erhoffe mir eine würdige Politik, denn es geht um Lebenswerke. Wir alle arbeiten an diesem Land. Der Aufstieg von Migranten berührt mich, weil er zeigt, dass wir als Gesellschaft zusammenwachsen können. Wir sind wir. Damit meine ich nicht nur: wir Migranten. Sondern uns alle, die wir in Deutschland zusammenleben. Und den Seehofer kriegen wir auch noch integriert. Gleich nach Kretschmann.
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Die Lerche
am 23.05.2016