Wolf wusste es: Es war ein fast schon perfides Spiel, das er mit Stefan trieb. Der smarte Manager, der ihn höhnisch als "Ivanhoe, den Ritter der Romantiker" bezeichnet hatte, sollte überrumpelt werden. Wolf wollte ihm unterjubeln, dass es spannend und gar nicht antiquiert ist, sich mit überlieferten Denkmustern zu befassen und die Lebendigkeit von Vergangenem zu vergegenwärtigen. Eine Strategie über den Rücken durch die Brust ins Auge. Der Hattrick und die Dreier-Formel, von der er ihm in der Nürtinger Weinstube erzählt hatte, war ein Stoff, der zu Stefan passte – party- und kantinentauglich.
Und Wolfs Plan war aufgegangen. Als sie das Lokal verlassen hatten, war Stefan bester Laune. "Künftig sollten wir nicht einen Doppelten, sondern einen Dreifachen kippen", sagte er strahlend, "da muss man schon konsequent sein." Doch das Spiel war noch nicht zu Ende. Wolf wartete, bis sie Stefans Cabrio erreicht hatten. Dann stellte er die Frage, die er minutiös vorbereitet hatte. Sie sollte so beiläufig klingen wie nur irgendwie möglich: "Was bedeutet für dich eigentlich Glück?"
"Du stellst vielleicht Fragen", sagte Stefan. Doch er schien gar nicht verwundert zu sein. Jedenfalls antwortete er rasch. "Ich habe mir das schon öfters überlegt. Für mich ist Glück, Erfolg zu haben. Im Job und im Privaten."
"Und worin zeigt sich Erfolg?"
"Dass es in der Firma so weitergeht wie bisher."
"Du meinst, dass du weiter Karriere machst?"
"Klar. Wer sagt, dass er nicht weiterkommen will, lügt sich doch in die eigene Tasche. Ich bin da ehrlich. Jetzt bin ich Anfang 40. Wenn ich in ein paar Jahren Chef des Ladens werde, arbeite ich bis 57, dann höre ich auf und mache mir einen schönen Lenz. Bis dahin bin ich finanziell ausstaffiert. Dann lebe ich glücklich bis ans Ende meiner Tage."
"Du denkst, du bist da auf einem guten Weg?", fragte Wolf – und betonte bewusst das Wort "Weg".
"Klar, so ist es."
"Und was ist für dich Erfolg im Privaten?"
Stefans Stimme wurde leiser. "Willst du das ehrlich wissen?"
"Natürlich."
Jetzt flüsterte er fast nur noch. "Dass ich die große Liebe finde."
Stefan nahm die Autoschlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür seines Cabrios. "Glück", sagte Wolf, "ist das Gegenteil eines Weges, mit zielgerichteter Weiterentwicklung hat es nichts zu tun."
Stefan ließ die Autotür wieder zuknallen. "Was?"
Wolf kostete seine Überraschung aus. "Seit ewigen Zeiten wird Glück von einer Frauenfigur verkörpert, die Glück verteilt und wieder nimmt, wie's ihr beliebt – Fortuna."
"Klar, Fortuna, das heißt Glück."
"Dieser großen alten Dame aus der Antike wurden symbolische Gegenstände zugeschrieben: das Steuerrad, das Füllhorn, die Kugel. Vor allem aber das sich drehende Rad."
Wolf blickte in das erstaunte Gesicht von Stefan. Jetzt waren die letzten Minuten seines Spiels angebrochen. "Überliefert hat sich vor allem ein konkretes Bild: Fortuna treibt ihr Rad an, das sich unaufhörlich dreht. Die Herrscher der Welt steigen darauf hoch – und purzeln herunter."
Stefan runzelte die Stirn, sagte nichts.
"Bis heute hat sich dieses Drehmoment als Motiv erhalten", fuhr Wolf fort, "im Roulette zum Beispiel, also im Glücksspiel, in der Trommel der Fernsehlotterie oder bei der Ziehung der Lottozahlen. Das Glücksrad hat es sogar zu einer eigenen Sendung gebracht." Wolf ließ Stefan nicht aus den Augen. Jetzt wollte er die Geschichte noch ein entscheidendes Stück weiterdrehen.
"In dieser alten Vorstellung bedeutet nicht das Immer-weiter oder Immer-mehr das größte Glück, sondern das krasse Gegenteil: Der Stillstand ist buchstäblich das Höchste – wenn das Rad für einen kurzen Moment stillsteht und der aufsteigende Mensch am Höhepunkt angelangt ist."
Das Wort "Stillstand" hatte Wolf mit Nachdruck betont. Nach einer kurzen Pause sagte er: "Das bedeutet aber: das Rad dreht sich im nächsten Augenblick weiter – von nun geht's bergab. Da kommt man schnell unters Rad!"
Stefan wurde plötzlich blass. Tatsächlich, er wirkte geschockt. So, als ob er gerade erfahren hätte, dass sein Vorstandschef ihn ins Zweigwerk Meppen versetzen wollte oder der VfB Stuttgart in die zweite Liga abgestiegen war.
"Was ist? Du wirkst irgendwie gerädert", sagte Wolf und lachte.
Stefan reagierte nicht. Noch immer stand er wie erstarrt vor seinem Cabrio.
Dann sagte er: "Darüber müssen wir noch einmal reden." Gedankenverloren stieg er in seinen Wagen und ließ den Motor an. "Mach's gut."
Langsam, fast bedächtig lenkte Stefan seinen Wagen aus der Parklücke und fuhr weg. Kein aufheulender Motor, keine quietschenden Reifen. Das war untypisch für Stefan.
Wolf ging durch die Nürtinger Nacht, ohne Ziel. Das Kopfsteinpflaster der historischen Altstadt knallte unter seinen Füßen, klack, klack. Seine Gedanken kreisten um dieses merkwürdige Drehmoment. Auch er war irritiert und verunsichert gewesen, als er zum ersten Mal darauf gestoßen war. So wie Stefan jetzt. "Glück, das geht merkwürdig auf und ab", stand beim mittelalterlichen Dichter Gottfried von Straßburg. Glück als Bewegung, was sollte das?
Wenn Fortuna kurbelt, fällt der Mächtige vom Rad
Das Bild im mittelalterlichen Buch "Hortus Deliciarum" der Herrad von Landsberg hatte ihn fasziniert: Fortuna sitzt am langen Hebel und treibt ihr Rad an. Ungerührt, fast triumphierend schaut sie zu, wie ein Adliger auf dem Rad aufsteigt, den Höhe-Punkt fest im Blick. Es sind Momentaufnahmen des Aufstiegs zu Macht und Regierungsgewalt. Ganz oben thront der Herrscher, er hat es geschafft, stolz trägt er die Krone und andere Insignien seiner Macht. Doch schon eine Umdrehung später hängt ihm die Krone schief auf dem Kopf. Fortuna kurbelt weiter, der Mächtige droht vom Rad zu fallen, nur noch eine Hand umklammert den hölzernen Radreif, mit der anderen will er nach der Krone greifen, die von seinem Kopf gefallen ist. Ein letzter Versuch, sich auf dem Rad, an der Macht zu halten. Doch der freie Fall ist nicht aufzuhalten. Am Ende berühren nur noch die Füße den Radreif, die Hände greifen haltlos ins Leere – der Herrscher stürzt, alle Macht-Zeichen sind verschwunden. Jetzt wirkt er wie ein hilfloses Bündel Mensch. Krasser könnte der bildliche Kontrast zur Hoch-Phase nicht sein.
"Glück geht mächtig auf den Kreislauf", sagte Wolf vor sich hin, als er durch die nächtliche Altstadt ging. Wie oft sprach oder las man vom "Teufelskreis", wenn Menschen in den Abstiegsstrudel geraten waren, wieder nach oben kommen wollten, aber dann noch tiefer fielen. Der gut situierte Kaufmann aus dem Nachbarhaus zum Beispiel. Plötzlich hatte er seinen Job verloren, begann zu trinken, soff immer mehr, kümmerte sich um nichts mehr, bis er sein Haus nicht mehr halten konnte und die Stadtverwaltung ihm eine kleine, verschimmelte Sozialwohnung zuwies. Der Mittvierziger begann zu kämpfen, er rappelte sich hoch, machte eine Entziehungskur, bewarb sich, ging trocken und gut gekleidet zu Vorstellungsgesprächen. "Zu alt", hieß es oder: "Tut uns leid, wir haben uns für einen anderen Bewerber entschieden." Nach der achtzehnten Absage ging er in die Kneipe und soff sich den Frust aus dem Schädel. Zu Hause wartete niemand mehr, seine Frau hatte das Auf und Ab nicht mehr ausgehalten ...
Im Teufelskreis, oder: vom Taxifahrer zum Minister
Oder der Junkie, der zu stehlen begonnen hatte, um neuen Stoff bezahlen zu können, immer härtere Dinger drehte und jetzt vor Gericht stand. "Ein Drogen-Teufelskreis", hieß es im Bericht der Lokalzeitung.
Wolf sammelte seit Langem solche "Fälle" – und die Geschichten von Aufsteigern, die ihren Weg machten und dafür bestaunt und beneidet wurden: vom Taxifahrer zum ersten grünen Außenminister, vom Bäckerburschen zum Fußballidol, vom Tellerwäscher zum Milliardär.
Gleichzeitig biss er sich bei der Lektüre von Literatur fest, wenn er glaubte, auf das alte Glücksmotiv gestoßen zu sein – wenn im beschriebenen Leben Menschen durch das Perpetuum mobile gejagt werden. Hermann Hesses autobiografischer Roman "Unterm Rad" war für ihn ein solcher Fund. Oder Franz Kafkas Erzählung "Auf der Galerie": das Publikum schaut zu, wie die lungensüchtige Kunstreiterin "ohne Unterbrechung im Kreis rundum getrieben würde" und "dieses Spiel unter dem nichtaussetzenden Brausen des Orchesters und der Ventilatoren in die immerfort weiter sich öffnende graue Zukunft sich fortsetzte".
Nicht nur ein literarisches Motiv
Selbst als Wolf in einem Naturtheater saß und Amateurschauspieler Ödön von Horváths "Dorf ohne Männer" aufführten, zuckte er zusammen: "Es dreht sich im ganzen Leben immer alles so umeinander herum", sagt in dem Stück die Figur der "Schönen". Wolf kritzelte den Satz sofort auf das Programmheft, damit er ihn nicht vergaß.
Diese zwiespältige, zweifelhafte Fortuna und ihr Rad, so war ihm damals immer bewusster geworden, ist nicht nur ein literarisches Motiv, es ist viel mehr. Es gehört zum Leben wie Liebe und Hass, Nähe und Ferne, Geboren werden und Sterben. "Glück, das geht merkwürdig auf und ab." Die Beständigkeit des Unbeständigen. Kreis und Weg, das sind zwei existenzielle Grundstrukturen. Und Denkstrukturen.
Wie kommt man aus dem Kreis? Kann man ihn durchbrechen? Wie wird aus dem Kreis ein Weg? Und wer oder was bestimmt, ob ich Glück im positiven Sinne habe? Kann ich es selbst beeinflussen?
Bei Brecht macht das Volk den fatalen Rundkurs nicht mehr mit
Beim nächtlichen Spaziergang erinnerte sich Wolf daran, wie er als Student im Tübinger Brechtbau diese Fragen in Großbuchstaben auf ein Blatt Papier geschrieben hatte. Im christlichen Mittelalter und zur Barockzeit, so lernte er, ist es Gott, dem sich Fortuna unterordnen muss – und der in die Speichen des Rades greift. Was aber ist mit der Neuzeit? Wie wird da Glück gesehen, Kreis und Weg?
Es musste Schickal sein – oder Glück? –, dass ihn ausgerechnet Bert Brecht weiterbrachte. Der politische "Jahrhundertdichter" und gerissene Parodist hat sich intensiv mit der Fortuna-Tradition auseinandergesetzt und sie weitergedreht. Auf seine Weise. Vor allem in der "Ballade vom Wasserrad" aus dem Stück "Die Rundköpfe und die Spitzköpfe", die erstmals 1934 veröffentlicht wird. Das Fortunamotiv klingt sofort an, pointiert im Refrain:
Von den Großen dieser Erde
Melden uns die Heldenlieder:
Steigen auf so wie Gestirne
Gehen sie wie Gestirne nieder.
Das klingt tröstlich und man muss es wissen.
Nur: für uns, die wir sie ernähren müssen
Ist das leider ziemlich gleich gewesen.
Aufstieg oder Fall: wer trägt die Spesen?
Freilich dreht das Rad sich immer weiter
Dass, was oben ist, nicht oben bleibt.
Aber für das Wasser heißt das leider
Nur: dass es das Rad halt ewig treibt.
Die ewig kurbelnde Fortuna lässt schön grüßen. In dieser Fassung der Ballade drückt sich noch eine zyklische Geschichtsauffassung aus, die fatalistisch wirkt: das Wasser treibt ewig das Rad. Fast zwanzig Jahre später legt Brecht aber noch mal Hand an den Text. Als selbstständiges "Lied vom Wasserrad" steht er in seinen "Neuen Gedichten" von 1951. Der Refrain der letzten Strophe ist entscheidend geändert:
Und sie schlagen sich die Köpfe
Blutig, raufend um die Beute
Nennen andre gierige Tröpfe
Und sich selber gute Leute.
Unaufhörlich sehn wir sie einander grollen
Und bekämpfen. Einzig und alleinig
Wenn wir sie nicht mehr ernähren wollen
Sind sie auf einmal völlig einig.
Denn dann dreht das Rad sich nicht mehr weiter
Und das heitre Spiel, es unterbleibt
Wenn das Wasser endlich mit befreiter
Stärke seine eigne Sach betreibt.
Na also, es geht doch. Wenn Brecht nur will: der Weg aus dem Kreis. Jetzt wird eine lineare, progressive Geschichtsauffassung greifbar. Nicht Gott stoppt bei Brecht das fatale Treiben der Fortuna, sondern – wie es sich für einen überzeugten Marxisten gehört – das Volk, die Arbeiter, die geschundenen Armen und Geplagten. Sie machen den zermürbenden Rundkurs nicht mehr mit, der nur den Mächtigen und Großkopfeten nützt.
Monatelang spürte Wolf der Fortuna nach. Überall, wo er war, sah er Räder, Speichen, Drehmomente. Als es in Stuttgart noch das Sechstagerennen gab, ging er hin, schaute von der Tribüne auf die Kurvenjagd der Radprofis. Sie drehten Runde für Runde, strampelten sich ab, traten in die Pedale und legten sich in die Kurven – von der Symbolik des heißen Kreisverkehrs wurde ihm ganz schwindlig. Egon Erwin Kisch, die Reporter-Legende, hat in den zwanziger Jahren die Sechstage-Matadore mit "lebenden Roulettebällen" verglichen. Glück in der Tretmühle. Der Fahrertross rollt. Nichts geht mehr. Und Manfred Rommel, der legendäre Philosoph auf dem Stuttgarter Oberbürgermeistersessel, stellte einmal beim Sixdays-Besuch erstaunt die alles entscheidende Frage: "Wo ist hier eigentlich vorne und hinten?"
Wenn das Riesenrad ganz oben ist: Stillstand, Glücksmoment
Freunde schleppten Wolf mit aufs Cannstatter Volksfest. Selbst da konnte er es nicht lassen. Das Riesenrad zog ihn magisch an. Der Metall-Koloss mit seinen tausend bunten Lämpchen war Dreh- und Angelpunkt der glitzernden Vergnügungswelt. Wolf kaufte sich ein Ticket. Die Frau hinter der Kasse blickte ihn ungerührt, fast triumphierend an. Nein, jetzt nicht durchdrehen. Litt er schon an einer kafkaesken Glücks-Assoziation? "Bitte einsteigen." Der Kreislauf führte steil nach oben. Die Leute unten schrumpften fast zu Ameisen. Als der luftige Höhepunkt erreicht war, hörte das Riesenrad für einen Augenblick auf, sich zu drehen. Stillstand! Glücksmoment!
Auch beim Schriftsteller Peter Härtling wurde Wolf fündig. Unter anderem in dessen Roman "Felix Guttmann" – schon der Vorname der Romanfigur ist Fortuna-Programm. Es ist die Lebensgeschichte des jüdischen Rechtsanwaltes Dr. B., eines Freundes Härtlings, der 1977 bei einem Unfall in Frankfurt starb. Von dessen Vergangenheit hatte Härtling nur erfahren, dass er 1948 mit einem israelischen Pass nach Deutschland zurückgekehrt war.
"Ich habe ihn, um ihn zu finden, einen anderen Namen gegeben: Felix Guttmann", schreibt Härtling im ersten Kapitel. Es entsteht eine Geschichte, in der immer wieder die "Bewegung von Zeit", Geschehnisse, Entwicklungen von den zwanziger Jahren bis zu Hitlers Machtergreifung und der NS-Herrschaft im persönlichen Schicksal von Felix Guttmann aufgezeigt werden. Felix, der Glückliche, "eingepuppt in seine Geschichte", steht dem allem passiv gegenüber. Er zaudert, handelt nicht, auch als sich der Naziterror immer stärker abzeichnet. Erst am 5. April 1933 – einem konkreten Zeit-Punkt – "richtete er sich auf, handelte, verließ seine Insel". Nach einem Verhör bei SS-Hauptscharführer Adolf Eichmann wird die Gefahr für den jüdischen Anwalt immer größer. Er kann fliehen.
Bittere Ironie auf die traditionelle Glücksvorstellung
Felix, der Zauderer, entkommt den Fängen der Nazis. Sein engster Freund und seine Geliebte – beides Menschen, die handeln – sterben in Gestapohaft. "Zwar wird ihn das Glück, das mit seinem Namen verschrieben wurde, nie verlassen. Doch angefochten wird es werden", heißt es im Roman. Felix, der durch seinen Namen Glück verkörpert, bleibt verschont – weil er die Bewegung von Zeit und Geschichte unbeachtet lässt und damit unbewusst negiert. Eine Ironie auf die traditionelle Glücksvorstellung. Eine bittere Ironie.
Am Ende des Romans vereinigt Härtling die Figur Felix Guttmann mit der historischen Gestalt des jüdischen Rechtsanwalts Dr. B., der im Juni 1977 in Frankfurt Opfer eines Verkehrsunfalles wird. Im Schlusskapitel steht: "Der Rettungswagen wird ihn ins Krankenhaus fahren, wo er drei Tage später stirbt. Aber ich komme allen zuvor, hebe ihn auf, er wird leicht auf meinen Armen, und bringe ihn zurück zu dem grünen Floß im Hof." Eine Kreisbewegung zurück an den Romananfang, markiert im allerletzten Satz, dem Ruf des Kindermädchens: "Felix, ruft Elena."
Als Wolf Härtlings Bücher gelesen hatte, traf er ihn. Der Schriftsteller war damals gerade in Nürtingen, der Stadt, in der er seine Jugend verbrachte. "Sind Sie ein Fortuna-Autor?", fragte ihn Wolf, als sie durch die Stadt gingen.
Härtling schmunzelte. Dann sagte er: "Ich wollte diesen realen Lebenslauf für die Gegenwart und Zukunft aufheben und damit die gelebte Person noch einmal leben lassen."
"Man liest aber eine fatalistische Sichtweise aus Ihrem Roman heraus, am Ende der Geschichte von Felix Guttmann schließt sich der Kreis, als sei er hermetisch", drängte Wolf.
Härtling überlegte. "Das ist einerseits richtig, aber es ist nur ein Teil der Wahrheit. Ich hebe ihn am Ende auf."
"Heißt das, dass Sie die Figuren, über die Sie schreiben, aus ihrer Zeit-Gefangenschaft befreien wollen, die Kreisbewegung von Zeit und Geschichte also aufheben?" Wolf verschluckte sich fast vor Aufregung.
Härtling schmunzelte wieder. Und beließ es dabei.
Klack, klack. Wolf hörte wieder seine Schritte auf dem Kopfsteinpflaster der Nürtinger Altstadt. Langsam war er aus seinen nächtlichen Fortuna-Gedanken erwacht. Er blickte zur Uhr an der mächtigen Laurentiuskirche. Es war kurz nach zwei Uhr. Wolf begann laut zu lachen. Wie konnte man einen Schriftsteller nur solche Fragen stellen: Was wollen Sie uns damit sagen? Zum Glück war es verjährt. Aber ein wenig gerädert fühlte er sich immer noch.
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