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"Die Gier steckt in uns allen"

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Der einstige Baulöwe Jürgen Schneider fordert im Interview mit Kontext von der Politik, "die Banken an die Kette zu legen". Der in den 90er-Jahren wegen Kreditbetrugs zu einer mehrjährigen Haftstrafe Verurteilte ist die Hauptperson in dem aktuell gespielten Stück "Doktor Utz oder die wundersame Läuterung des Jürgen Schneider" im Stuttgarter Theaterhaus.

Jürgen Schneider war erst der Baulöwe, der historische Bausubstanz in der ganzen Republik aufwendig sanierte – und dafür von der Politik gefeiert wurde. Dann war er der Milliardenbetrüger, der Banken mit falschen Flächenangaben und hinzufantasierten Stockwerken geprellt hat.

1994 floh Schneider mit seiner Frau nach Miami, wurde dort Monate später gefasst, nach Deutschland ausgeliefert, vor Gericht gestellt und zu sechs Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt. Die allgemein als milde bewertete Strafe verdankte Schneider der fragwürdigen Rolle der deutschen Kreditinstitute. Legendär wurde in dem Skandal um die Hochstapelei und das Bankenversagen die Vokabel "Peanuts", mit der Deutsche-Bank-Boss Hilmar Kopper offene Handwerkerrechnungen in Höhe von 50 Millionen Mark titulierte. Heute lebt Schneider (79) mit seiner Frau im Taunus ("meine Heimat") bei Frankfurt oder bei Tochter und Enkelkind in Bonn.

 

Herr Schneider, Herr Küster, wie sind der Immobilienmensch und der Theatermacher zusammengekommen? 

Küster: Ich habe auf einer Urlaubsreise in dem alten österreichischen Kurort Bad Gastein gesehen, wie ein Investor die wunderschöne Innenstadt verfallen lässt. Da fiel mir Jürgen Schneider ein, der Gebäude – bei allen Fehlern – nicht erworben hat, um damit zu spekulieren. Herr Schneider hätte sicher das Herz geblutet bei diesem Anblick. 

Schneider: Ich habe kulturhistorische Denkmäler in Deutschland hinterlassen, und auf darauf bin ich sehr stolz. 

Darauf kommen wir noch, und wie ging es weiter?

Küster: Ich habe festgestellt, dass in dem "Fall Schneider" eine Menge theatralischer Stoff steckt: der strenge Vater, die durchs berufliche Scheitern gerettete Ehe, die Macht der Banken. Das dann entstandene Stück "Doktor Utz oder die wundersame Läuterung des Jürgen Schneider" ist Teil einer Projektreihe zum Thema Glück, und da bietet Schneiders Lebensgeschichte viele Höhen und Tiefen.

Schneider: Als mich Herr Küster angerufen hat, wollte ich erst nicht mitmachen, aber dann habe ich in Herrn Küster einen jungen Unternehmer gesehen, der meine Unterstützung verdient. Irgendwie wollte ich auch nicht als Feigling dastehen, und deshalb freue ich mich, dass aus dem Projekt etwas geworden ist. 

Welchen Einfluss haben Sie auf das Stück genommen, Herr Schneider? 

Schneider: Gar keinen. Ich kenne den konkreten Inhalt des Stücks überhaupt nicht. Wir haben uns einen Nachmittag lang unterhalten. Ich respektiere die künstlerische Freiheit, ich bin mit meiner Geschichte einfach nur ganz offen umgegangen. Mir ist aber wichtig, dass ich ein Lebenswerk hinterlassen habe, mit meinen Gebäuden in bester Qualität in Hamburg, Leipzig, München, Frankfurt ...

... wofür Sie allerdings wegen Betrugs und Urkundenfälschung zu sechs Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt wurden ...

Schneider: Ich habe Fehler gemacht, ich habe Unrecht getan, und ich bin dafür eingestanden. Es war allerdings auch eine besondere Zeit mit einer unglaublichen Euphorie. Wir hatten die Wiedervereinigung, und dann kam Kohl mit seinen blühenden Landschaften. Die warnenden Stimmen wollte doch niemand hören.

Lafontaine war so ein Warner.

Schneider: Viele wollten damals in dieser Euphorie nicht erkennen, dass es sehr viel mehr Steine als Brot gab. Und ich habe mit meinen Objekten in die Zukunft spekuliert – mit meinen Mitstreitern von den Banken.

Mit schier unglaublichem Leichtsinn rannten die Banken Ihnen die Türen ein, um ihre Kredite loszuwerden. So weit der Richter am Landgericht Frankfurt, Heinrich Gehrke, in seiner Urteilsbegründung in Ihrem Prozess.

Schneider: Der Richter hat das durchschaut, aber nur ich bin verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft hat niemanden sonst angeklagt. Aber die Banken waren damals eine heilige Kuh. Ich habe in meinem Prozess als Erster an diesem Lack gekratzt. Aber ich habe es mit aufgeblähten Kalkulationen am weitesten getrieben, und mich hat es als Ersten erwischt.

Aufgeblähte Kalkulationen zeichneten auch die Immobilienkrise in den USA aus, den Auslöser der aktuellen Weltfinanzkrise.

Schneider: Da haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Wenn man meine Story damals weltweit publiziert hätte, wäre das alles nicht passiert. So weit war man damals aber noch nicht. Die massiven Folgen der Globalisierung hat übrigens der damalige Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, in den 80er-Jahren bereits erkannt. Und heute erleben wir das Problem der aufgeblähten Werte beispielsweise auch in Griechenland. Natürlich haben die Griechen auch geschummelt. Aber das Land wurde von den Bankern überbewertet, weil die Gier nach Boni und Provisionen so mächtig war.

Gehört Gier in unserem System nicht dazu?

Schneider: Die Gier steckt in uns allen drin wie bei den wilden Tieren. Aber wir sind keine wilden Tiere, wir haben eine Kultur und wir haben den Staat, und der muss für Ordnung sorgen.

Banken gelten im Gegensatz zu Ihnen, Herr Schneider, mittlerweile als "systemisch", da wird es mit dem Für-Ordnung-Sorgen offenbar etwas schwieriger.

Schneider: Wir brauchen wirksame Gesetze. Die Banken darf man nicht frei herumlaufen lassen, die müssen an die Kette gelegt werden, und das ist möglich.

Da könnten Sie doch mit Ihrer Expertise helfen.

Schneider: Ich habe schon einen Fulltime-Job. Ich berate junge Unternehmer, damit sie nicht von den Banken über den Tisch gezogen werden. Niemand kennt dieses Haifischbecken besser als ich.

Vielleicht haben Sie noch einen guten Rat für den gerade gestrauchelten Fußballpräsidenten Uli Hoeneß und andere Delinquenten?

Schneider: Es gibt nur einen Weg.

Und der wäre?

Schneider: Ab zum Staatsanwalt, die Dinge klären und die Öffentlichkeit draußen lassen. Sie müssen mit den Staatsanwälten zusammenarbeiten und die Dinge sauber klären. Und erst nach dem Richterspruch kann man in der Öffentlichkeit die Hosen runterlassen. Aber nur, wenn man auch den Mut hat, sein Problem zu diskutieren. Vorher diskutieren bringt nichts, aber nach dem Urteil. Die wollen ja weiter in der Gesellschaft leben.

Herr Küster, steckt da nicht bereits der Stoff für Ihr nächstes Stück?

Küster: Um mit dem Kaiser zu sprechen: Schaun wir mal.

 

Vom 8. bis 12. Mai spielt das Theaterhaus Stuttgart das Stück von Christof Küster, "Doktor Utz oder die wundersame Läuterung des Jürgen Schneider". Am 9. Mai stellt sich Schneider nach der Aufführung dem Publikum.


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