Auch die neue Regierung aus CDU/CSU und SPD bleibt dabei – siehe Koalitionsvertrag, Seite 30: "Ein Totalverbot ganzer chemischer Stoffgruppen wie per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) lehnen wir ab." Das wiederum freut die Wirtschaftsminister:innen der Länder, die erst Anfang Juni auf ihrer Konferenz die Koalition in Berlin ausdrücklich dafür lobten.
Bei der BUND-Veranstaltung in Bad Wimpfen kritisierte auch Michael Müller, Professor an der Uni Freiburg und einer der führenden PFAS-Forscher, wie Politiker:innen auf die Lobbyarbeit der Industrie hereinfallen. Er erläuterte vor den rund 100 Interessierten, dass es für fast alle PFAS-Anwendungen Alternativen gebe, besonders in der Medikamentenherstellung. Doch nur klare Verbote würden die Industrie dazu bringen, Alternativen auch einzusetzen oder weitere zu entwickeln. Einfach an alten TFA-/PFAS-Zöpfen festzuhalten, dürfte wohl eher zu einer Deindustrialisierung führen. Müller: "Manche Versicherer versichern schon gar nicht mehr gegen PFAS-Schäden."
Versicherungen fürchten Schadenersatzforderungen
In der Tat ist die Versicherungs- und Finanzwirtschaft weiter als die Politik. 2024 veröffentlichte die Landesbank Baden-Württemberg eine Pressemitteilung, in der sie vor den Kosten der PFAS-Ausbreitung warnt. Es bestehe "das Risiko, dass Schadenersatzforderungen wegen extrem langlebiger per- und polyfluorierter Chemikalien (PFAS) zu einer größeren finanziellen Belastung als der weltweite Asbest-Skandal Mitte des vergangenen Jahrhunderts werden könnten", schreibt die Landesbank. Und warnt: "Investoren sollten das Thema im Auge behalten."
Und der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) informierte im April dieses Jahres, dass er eine neue Vertragsklausel anbietet. "Mithilfe dieser PFAS-Klausel können Versicherer Schäden durch diese Chemikalien grundsätzlich erst einmal ausschließen", lässt sich Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des GDV, zitieren. Grund ist das hohe finanzielle Risiko.
Wahrscheinlich hat der Verband gen USA geschaut: Der US-Bundesstaat Maryland klagt gegen Gore-Tex, weil der Outdoorhersteller die gesundheitlichen Risiken von PFAS-Chemikalien ignoriert haben soll und jahrelang Luft und Wasser mit PFAS-Substanzen verschmutzt habe. Etwa 12,5 Milliarden Dollar zahlte 2023 der US-Konzern 3M, nachdem Wasserversorger ihn wegen langfristiger Belastung des Grundwassers mit PFAS-Chemikalien durch seine Feuerlöschschäume verklagt hatten. Bis Ende diesen Jahres will 3M nach eigenen Angaben aus der PFAS-Produktion und -Verwendung aussteigen. 2024 einigte sich BASF mit mehreren US-Wasserversorgern auf einen Vergleich und zahlte 300 Millionen Dollar wegen der Verunreinigung von Trinkwasser mit Ewigkeitschemikalien. Vergleiche wegen PFAS-Verunreinigungsklagen schlossen auch die Unternehmen DuPont, Chemours und Corteva und zahlten insgesamt knapp 1,2 Milliarden Dollar.
Zwar sind in Deutschland Verursacher von Umweltschäden schwer zu verklagen, dennoch bereitet nach Medienberichten der deutsche Jurist Klaus Nieding eine Klage gegen Chemiekonzerne vor. Bekannt ist Nieding, weil er Anleger im VW-Dieselskandal vertritt. Nun kündigt er an, einen Umweg über die USA nutzen zu wollen, um PFAS-Produzenten zu verklagen. Er glaubt, das könnte vor allem für Kommunen und Wasserwerke interessant werden.
Derweil häufen sich die Meldungen über TFA/PFAS-Verschmutzungen. Rund um den Flughafen Basel-Mulhouse trinken 60.000 Anwohner:innen seit Jahren PFAS-belastetes Trinkwasser, auch im Blut einiger Anrainer:innen wurde es nachgewiesen. Offenbar kommt die Wasserverseuchung vom Feuerlöschschaum, den der Flughafen nutzt. Laut einer Recherche von NDR, WDR und SZ vor zwei Jahren sind mehr als 1.500 Orte in Deutschland PFAS-belastet, in ganz Europa mehr als 17.000 Orte, "darunter gut 2.000 Hotspots mit erheblichen Gefahren für die menschliche Gesundheit".
Viel zu hohe PFAS-Werte wurden im Blut der Inuit, der Bewohner:innen Grönlands, gemessen. Offenbar weil sie Eisbären und Ringelrobben essen und gerade deren Leber besonders stark mit PFAS belastet ist. Rat der Forscher:innen: Die Inuit sollen etwas anderes essen.
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Stefan Weidle
vor 2 Tagen